Marion Elias: „Was ist, wenn die Wirtschaftskrise weiter wächst?“

Wenn der Neo-Biedermeier anklopft

Publiziert in 37 / 2011 - Erschienen am 19. Oktober 2011
Prad/Wien – Sie hält eine Laudatio und schafft es, die Zuhörer nicht zu langweilen. Sie ist habilitierte Kunstphilosophin, und textet salopp, dass sie dem Betrachter die Kunst nicht erklären muss. Marion Elias aus Wien ist nicht nur Professorin, sondern auch Künstlerin und leitet das Gender Art Laboratory an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Seit den 90er Jahren stellte sie rund um den Globus und in Südtirol aus, organisierte Gruppenausstellungen und hob KünstlerInnengruppen aus der Taufe. Eine Frau, die genau weiß, was sie will. Mit dem „Vinschger“ sprach sie über Neo-Biedermeier und Gender, über starke Persönlichkeiten und wo die Eröffnungsreden ihren Anlauf nahmen. „Der Vinschger“: Wie kamen Sie, Frau Elias, und über welche Begeisterung für die Thematik, zum Thema Gender? Marion Elias: Als ich an die Universität kam, war Gender ein Fremdwort. Ich versuchte, die Leute überhaupt einmal mit dem Thema Gender zu konfrontieren – in Vorlesungen und in anderen praktischen Arbeitszirkeln. Nach dem Motto: Überlegt, was ihr tut, was das eigentlich ist, Gender. In Gender Studies gibt es noch kein festgelegtes Curriculum, wie das in der Philosophie, in der Kunstgeschichte der Fall ist. Was mich heute noch auf die Palme bringt: Gender ist nicht Feminismus! Ich bin Feministin, und zwar in der zweiten Generation. Aber das ist es nicht. Gender ist diese dumme Konstruktion, die wir uns selber geben und gegeben haben. Ich bin aufgewachsen als Mädchen, ohne zu wissen, dass es eigentlich einen Werteunterschied gibt zwischen Männern und Frauen und habe das erst draußen in der Welt bemerkt. Da dachte ich: Spinnt ihr alle? Das war der Zugang zu dieser ganzen Gendergeschichte. Sie wollen selbst ein Forschungsgebiet Gender etablieren? Marion Elias: Selbstverständlich. Wie kann das aussehen? Marion Elias: Indem man Leute konfrontiert mit: Wir sind nicht gleich, aber gleichwertig. Und gewöhnt euch diese Stereotypen einfach ab. Wie könnte ein kunstgeschicht­liches Seminar aussehen? Marion Elias: Ich verwirre die Leute so, dass sie endlich draufkommen, dass man etwas überlegt und hinterfragt – generell. Schauen Sie, Maler und Malerinnen sind nicht so einfach dazu zu bringen, überhaupt zu reflektieren. Das Malen ist eine konzentrierte Sache, jetzt noch zu verlangen, dass sie kiloweise Philosophie lesen, das geht gar nicht. Ich möchte nicht eine Generation erzeugen, die überall schreit: GENDER! Ein Absolvent sagte mir, er arbeite an einem Projekt einer Lawinenüberdachung, das habe nichts mit Gender zu tun. Dann fragte ich: „So, Herr Kollege, das hat nichts mit Gender zu tun“? Gut. Wieso gibt es dort Lawinen? Liegt es an der Abholzung, liegt es an der veränderten Natur? War das schon immer so? Ab wann gibt es das Lawinenproblem? Wie viele Männer und Frauen sind hier verunglückt? Waren es Touristen? Einheimische? Ab wann gibt es dort den Tourismus? Wie hat der Tourismus die ganze Region verändert? Sehen Sie, wir sind mitten im Gendering... Noch spezifischer hieße das? Marion Elias: Ich kann alles durch dieses Thema durchziehen. Ich möchte, dass die Leute großartige Kunstwerke machen, aber dass sie sich bewusst sind, es gibt eigentlich zwischen Männern und Frauen nur den Unterschied, man mag den oder die und jenen und den anderen nicht. Unser Gender-Art-Lab orientiert sich an den Künstlerwerkstätten von früher im positiven Sinn. Wir haben Produktion und Lehre in einem und die Arbeit in die Öffentlichkeit hinaus. Das gibt es sonst kaum in Meisterklassen oder Ateliers, wie man sagt. Da werden die Leute zwar unterrichtet und gebildet, bei mir schließt man ab mit einem Werk und wenigstens einer Ausstellung und wir müssen drüber reden. Nicht böse sein, wenn ich jetzt ein ganz ekliges Beispiel bringe, aber wenn ich immer wieder sehe, dass Gender gemeint sein soll, wenn eine unbekleidete Frau auf eine Bühne tritt und sich einen Dildo einführt, das ist für mich nicht Gender. Es geht nicht um den Körper, sondern es geht um das Denken. Gibt es nicht auch Bereiche, wo Gender wirklich kein Thema mehr ist? Marion Elias: Ja, wir haben auch in Island eine Staatspräsidentin, die offiziell ihre homosexuelle Lebensweise verwirklicht. Ich frage mich nur, wann wieder ein Flashback kommt: Wann kommt das neue Biedermeier? ...also Sie befürchten einen Rückwärts-Schritt? Marion Elias: Schauen Sie, man denkt oft, Alice Schwarzer und Simone de Beauvoir waren die ersten Feministinnen. Das stimmt nicht. Jede Generation hat bedeutende Frauen gehabt: in allen Bereichen. Sie wurden in der nächsten Generation entweder vergessen oder gelöscht. Die Margaret Cavendish, die mit Hobbes debattiert hat, kennt heute kein Mensch mehr. Denken Sie nur an Sofonisba ­Anguissola. Die Adelsfamilie aus ­Cremona hatte sämtlichen ihrer sechs Töchter eine humanistische Erziehung zukommen lassen. Es war für den Adel damals nicht nur ein No-go, sondern ein Abstieg, ein Handwerk zu lernen... ...Aber was ist, wenn die Wirtschaftskrise weiter wächst? Wer wird als erstes in Teilzeit geschickt werden? Raten wir mal... An der Oberfläche sieht es gut aus, ich hoffe nur, dass es bleibt. Aber die heute 16- oder 20-Jährigen machen nicht den Eindruck, als hätten sie mit der Nicht-Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft überhaupt zu tun, geschweige denn, zu leiden. Marion Elias: Es kommt sehr darauf an, wohin sie stoßen. Es gibt sehr viele Jungen und Mädchen, die eine sehr zeitgemäße, positive Einstellung haben. Wir haben allerdings wieder Neo-Biedermeier – diejenigen, die sehr emanzipiert daherkommen, dann heiraten und ein Kind bekommen, landen oft in ähnlichen Verhältnissen wie vor 500 Jahren. Es gibt ein Revival des Religiösen, bis zu einer Quasi-Orthodoxie auch im Katholischen. Kant sagte schon: Verwende deinen Verstand ohne fremde Anleitung. DAS wäre eine Sache! Merkt euch das! Interview: Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
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