Auch mit Vergleichen versuchte Andreas Conca, das Thema Pestizide zu beleuchten: „Wenn Helmut Schmidt als Kettenraucher fast 97 Jahre alt wurde, heißt das nicht, dass Rauchen nicht schädlich ist.“

Heißes Thema Pestizide

Publiziert in 5 / 2017 - Erschienen am 15. Februar 2017
Andreas Conca plädiert für eine ethische Diskussion ohne Polarisierungen und Verblendungen. Bozen/Vinschgau - Das Thema sei aktuell, heiß, hochkomplex und widersprüchlich von der Politik bis zum Gesundheitsbereich. „Und ich fühle mich nicht recht wohl, heute über den Themenkreis Pestizide-Neurobiologie-Psyche zu referieren“, räumte Andreas ­Conca, Universitätsprofessor, Direktor des psychiatrischen Dienstes Bozen und Koordinator des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, kürzlich im Kolpinghaus in Bozen ein. Elisabeth ­Viertler, Kinderärztin in Mals, freute sich, dass Conca die Einladung der Apotheker­kammer trotzdem angenommen hatte. Neben Apothekern aus dem ganzen Land waren auch ­Ärzte, Allgemeinmediziner, Ver­treter der Landwirtschaft und weitere Interessierte gekommen. Einleitend brach Conca eine Lanze für das ­bio­psychologische Konzept. Demnach sei das Phänomen Mensch in seiner Ganzheit zu sehen. Das heiße, dass Zusammenhänge zwischen biologischen Prozessen und ­psychischen Zuständen und Vorgängen sowie gegenseitige Beeinflussungen nicht ausgeklammert werden sollten. Es sei alles zu ­sehen und kritisch zu hinterfragen: In welcher Umgebung leben wir? Gibt es externe Faktoren, denen wir ausgesetzt sind? Klar und unbestritten ist laut Conca, „dass Pestizide in die Gesundheit des Menschen eingreifen können.“ Bei bestimmten Bedingungen könnten sie mitverantwortlich für das Entstehen von Krankheiten sein. „Wir reden immer von Wahrscheinlichkeiten, nicht von fixen Ursachen“, so Conca. Viele Risikodomänen Als Risikodomänen nannte er die Gefährdung des Immunsystems, insbesondere die Abnahme der Zeugungsfähigkeit, die Gefährdung der Schilddrüse, der kognitiven und neurologischen Bereiche sowie die Gefährdung der Kindesgesundheit. Der Referent erinnerte daran, dass in Frankreich vor einigen Jahren Parkinson als durch Pestizide verursachte mögliche Berufskrankheit von Landwirten anerkannt wurde. Außerdem verwies er auf Studien in den USA in Bezug eines möglichen Zusammenhanges zwischen Pestizidkontakt und Depressionen. Aufhorchen ließ Conca mit der Feststellung, dass die Inzidenz von Parkinson-Erkrankungen sowie von Autismus und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyper­aktivitätsstörung) in Südtirol je nach geografischer Lage unterschiedlich ist. Im Großraum Bozen, Überetsch und Unterland z.B. war die Inzidenz 2015 im Vergleich zum Passeiertal, dem Obervinschgau und weiteren Gebieten höher. Als unerlässlich erachtet Conca den Miteinbezug des transgenerationalen Aspektes, auch in der Forschung. Man müsse über mehrere Generationen hinaus denken. Conca: „Es ist möglich, dass sich bestimmte Auswirkungen nicht unmittelbar, sondern erst in der zweiten oder dritten Generation bemerkbar machen.“ Insgesamt hielt Conca fest, dass er niemanden verurteilen wolle: „Ich bin kein Richter. Was ich mir wünsche, ist eine­ ­ethische Diskussion zu diesem Thema, die sich von allen Polarisierungen abhebt.“ Es handle sich um eine Diskussion, „die geführt werden muss, da kommt man nicht herum.“ Er sei sich durchaus bewusst, dass es in der Landwirtschaft zum Teil um Existenzfragen geht und dass bereits vieles unternommen wurde, um den Einsatz von Pestiziden möglichst in Grenzen zu halten. Auch in der biologischen Landwirtschaft sei nicht alles „sauber“. Conca schlug vor, sich dem Thema umsichtig und ohne Verblendungen zu nähern. Nicht zu vergessen sei, „dass die Landwirtschaft an sich in Gefahr ist. Die Viehwirtschaft könnte in 30 bis 50 Jahren fast der Vergangenheit angehören.“ Wenn es gelingt, einen klaren Blick zu gewinnen und gemeinsam neue Visionen zu ent­wickeln, „könnten beide Seiten extrem profitieren.“ Und vielleicht kommt es dann soweit, „dass sich auf sozial verträgliche Art gesundheitspolitisch etwas bewegt.“ sepp
Josef Laner
Josef Laner

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