Julia Frank, 2017; Photo by Sofia Bouzidi

Die Plastik aus Plastik

Publiziert in 5 / 2017 - Erschienen am 15. Februar 2017
Bei dem in diesem Jahr erstmalig ausgerichteten Museion Preis ging Julia Frank als Publikumspreisträgerin hervor. Fragen an die aus dem Vinschgau stammende Künstlerin, die, wie sie sagt, mit Kunst einschläft, mit Kunst aufwacht und seit kurzem wieder in London lebt. der Vinschger: Der Museion Preis an Verena Dengler und Invernomuto wurde mit der Energie von jeweils 7.500 Euro vergeben. Du bist Trägerin des Publikumspreises. Welche Energie wohnt diesem Preis inne? Julia Frank: Es freut mich sehr, dass die Besucher und Besucherinnen eine Verbindungen zu meiner Arbeit „The body is our general medium for having a world“ (Der Leib ist unser Mittel überhaupt, eine Welt zu haben, Maurice Merleau-Ponty, 1966) aufbauen konnten. Es bestätigt, dass die Arbeit funktioniert. Sie wird vom Betrachter aufgenommen, angenommen und verarbeitet. Das ist ein unglaublich fruchtbares Ergebnis und eine Energie, die stärker, nachhaltiger und motivierender ist als Kredit. Du hast dich mit der Gewinnung und Verarbeitung von Erdöl in deinen Arbeiten befasst. Welche dir bis dahin unbekannten Erkenntnisse hast du darüber gewonnen? Meine Recherche über Transport und Verarbeitung von Erdöl hat mich viel neues gelehrt. Der Aufwand, um die Substanz aus den Tiefen unserer Erde zu gewinnen, ist mit unvorstellbaren mechanischen, technologischen und finanziellen Mitteln verbunden. Die Logistik dieser Ressource ist ein internationales Spinnennetz, absolut surreal! Die Verarbeitung ist eine Wissenschaft hinter verschlossenen Türen und Toren in abgegrenzten Orten und verteilt über den Globus. Thesen über die voraussichtliche maximale Ausschöpfung der Ressource - Lobbyismus! Wie kann es sein, dass wir eine so vertraute Haltung gegenüber Plastik/en besitzen? Der im Jahr 2010 veröffentlichte Kinodokumentarfilm Plastic Planet von Werner Boote ist so aktuell wie vor sieben Jahren, wer hat ihn gesehen? Welche Erkenntnisse hast du über deine eigene Beschäftigung mit dem Thema gewonnen? Seit meiner Auseinandersetzung mit der Materie Erdöl nehme ich vieles anders wahr. Mein Verhalten gegenüber Mobilität, Konsum und Produkten hat sich sehr verändert. Das Betreten von Lebensmittelgeschäften ist seither eine kritische Begegnung, ich versuche mich so bewusst wie möglich durch den Alltag zu navigieren. Oft erfolgreich, doch gibt es Rückschläge, etwa wenn alternative Produkte nicht angeboten werden. Dadurch wird der Konsument vor der Qual der Wahl gestellt – kaufe, was es gibt oder verzichte. Das wirkt auf mich wie eine gesellschaftliche ­Erziehung von Seiten der Industrie, mit der ich nicht einverstanden bin. Deshalb versuche ich mit Kunst dagegen zu steuern, in der Hoffnung, dass sich die Anzahl derjenigen maximiert, die sich nicht damit abfinden wollen, Marionette unsere Industrie/n zu sein. Inwiefern steuert das künstlerische Arbeiten neue Erkenntnisse zu einem Thema bei, mit dem du dich beschäftigst? Die künstlerische Arbeit ist der Weg durch eine unbekannte oder zum Teil unverständliche Landschaft. Zu Beginn versucht man seinen Standort zu lokalisieren, später, in welche Richtung man sich fortbewegt. Der Weg aus der Orientierungslosigkeit führen Recherche, Dialoge, das Experimentieren mit Materialien und das Erproben von Techniken. Dadurch erringt man an Erkenntnisse, die Antworten ermöglichen. Die Landschaft lichtet sich, man orientiert sich und wandert hindurch. Letztlich entscheidet man, wie weit man gehen möchte. Welche gesellschaftspolitischen Themen könnten dich in Zukunft zu Kunst inspirieren? Diskriminierung und Homo­phobie werden sicherlich Themen sein, die ich früher oder später behandeln werde. Du bist zurück in London. Manifestiert sich der Brexit-Entschluss in deinem Leben oder ist er im Leben anderer Ausländer spürbar? Ich habe das Referendum und die Entscheidung Englands im Sommer von Südtirol aus verfolgt und wusste nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich habe mit hiesigen Freunden, die aus Zentral- und Osteuropa kommen, über spürbare Veränderungen und über rassistische oder xenophobe Vorfälle gesprochen. Laut ihnen hat sich ihr privates und berufliches Leben in London nicht verändert. Doch spielen einige von ihnen mit dem Gedanken, die Insel - je nach politischer Entwicklung - zu verlassen. Eine bestimmte Unsicherheit vor der Zukunft liegt definitiv in der Luft. Aber das ist noch nicht Grund genug, sofort seine Zelte abzubauen. Mit welchen Mitteln kann man deiner Meinung nach generell ein breiteres Publikum für zeit­genössische Kunst gewinnen? Wir, die wir in Kunst- und Kultur involviert sind, haben die Aufgabe, den Wert von Kunst und Kultur zu vermitteln. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, dem Einzelnen bzw. einer Gruppe zwangsweise den Stellenwert und die Energie der Kunst einzutrichtern. Kunst ist ein Angebot, mit dessen Hilfe Denkansätze, Handlungen und Haltungen reformiert werden können. Der Ausbruch aus der komfortablen Zone oder die temporäre Auszeit von Routine und Systemen. Das profitabelste Mittel dafür ist der Wunsch und die Motivation zur Zusammenarbeit. Interview: Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
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