Dorf mit Vergangenheit
Sie machen die Prünsterplatte im Neuräutl zugänglich: Franz Pircher, Toni Egger, Hermann Wenter, Michael Ganthaler, Luis und Toni Müller (v.l.)

Geschichten um die Naturnser Urgeschichte

Publiziert in 9 / 2017 - Erschienen am 15. März 2017
Der älteste, prähistorische Fundplatz des Vinschgaus erfährt eine Aufwertung und wird öffentlich zugänglich. Naturns - Es ging schon um ­Archäologie, aber nur indirekt. Was aussah, wie eine wissenschaftliche Probegrabung unter „Grabungsleiter“ Hermann ­Wenter entwickelte sich in Richtung Sanierung einer Mülldeponie. Dazu hatte Kulturreferent Michael Ganthaler in „unguten Manövern“ mit Traktor und Anhänger Müll abzutransportieren. Während Wenter Schlauchreste, rostige Drähte und Plastikteile stapelte, kämpfte und hackte sich Toni Egger den staubtrockenen Hang empor. Statt Tonscherben früherer Kulturen entdeckte er hundsgemeine Blumentöpfe, Glühbirnen, Glas- und Porzellanscherben. Am Fuße desselben Hanges bemühten sich Franz Pircher, Luis und Toni Müller, Steine freizulegen und mit einer Schubkarre Erde, Wurzeln und dürres Rebholz wegzubringen. Staubwolken stiegen auf und Schweiß lief den Heimatpflegern übers Gesicht. Dennoch herrschte Aufbruchstimmung an der „Prünsterplatte“ im Neuräutl. „Nach mehr als 20 Jahren sind wir endlich dabei, das umzusetzen, was mein Vorgänger Valentin Stocker über erste Absprachen mit den Grundbesitzern auf Neuräutl vorbereitet hat“, erklärte Ganthaler. Neuräutl wird Thema Tatsächlich hatte der damalige Kulturreferent Valentin Stocker den Gemeinderat am 27. November 1995 in Kenntnis gesetzt, dass „Schritte zur Aufwertung der prähistorischen Siedlungsstätte Neuräutl in die Wege geleitet“ worden seien und dass „mehrere Partner zusammenarbeiten“ würden. Auch Bürgermeister Andreas Heidegger nahm 2005 die „Aufwertung der Ausgrabungsstätte Neuräutl“ in seine programmatische Erklärung auf. Damals schrieb er: „Wir sind ein Ort mit Geschichte und Tradition, dies schafft Identität; die Erhaltung der kulturellen Eigenart, der Heimatpflege (…) sind für uns Auftrag und Verpflichtung, denn sie stellen unseren natürlichen Reichtum dar.“ Ganz vergessen hatten die Naturnser das Neuräutl ja nie. Da hat doch der ­Naturnser Professor für Geschichte der Neuzeit, Helmuth Gritsch, mehrfach über die Feuersteinfragmente (Silex-Stücke) aus dem Neolithikum, also aus dem 4. bis 3. Jahrtausend v. Chr. geschrieben. Später stellte sich heraus, dass man um Jahrtausende zu spät dran war. Heute schwanken die Wissenschaftler zwischen „junge Altsteinzeit“ und „frühe Mittelsteinzeit“. Fachleute der Universität Ferrara plädieren für die ältere Variante. Andere Archäologen trauen der Fundstelle so nahe am Talboden dieses Alter nicht zu. Demnach saßen die ersten Naturnser auf Neuräutl schon um 9.000 vor unserer Zeitrechnung gemütlich in der Sonne, hielten die Angeln in die knapp darunter fließenden Wasser der Etsch oder nagten die Knochen einer fetten Wildente. Die Talsohle war ja viel höher. Der Tablander Murkegel hatte aufgefüllt und die Etsch gegen den Sonnenhang geschoben. Südtirols größter Fluss nahm sich dann 11.000 Jahre Zeit, um die Talsohle auf die heutige Tiefe auszufräsen. Entdeckungen eines Kellermeisters An einem Spätwintertag des Jahres 1959 hat der Grieser ­Kellermeister und Hobby-Archäologe, Luis Oberrauch, den „vorgeschichtlichen Wohnplatz bei Naturns“ entdeckt. Seine Standortbeschreibung klingt poetisch: „Ungefähr 1.000 m nordwestlich der Kirche von Naturns liegt fast liebevoll zwischen Fluss und Felswand ein kleines Weingütl im trockenen Heideland eingebettet, das von den nahhausenden Kompatscher Bauern als ‚Neuräutl‘ bezeichnet wird.“ Oberrauch fand mehrere Silex-Geräte und schloss auf eine „zeitweilige Benützung der Höhle“. Danach wurde es still um Neuräutl. Der damalige Direktor des Bozner Stadtmuseums, ­Reimo Lunz, nimmt Oberrauchs Entdeckung erst 1978 in seine Schriften auf. In der Novemberausgabe des Gemeindeblattes von 2010 berichtet Karin Lamprecht von Nachgrabungen im Jahre 2008 durch Hanns Oberrauch, Sohn des Entdeckers, und durch Hubert Steiner, verantwortlicher Archäologie für den Vinschgau. Im Grabungsbericht erwähnt Oberrauch weitere Silex-Splitter aus dem Weingut des Sepp Prantl, eine halbe römische Bronzemünze, zwei Münzen aus dem 16. Jahrhundert, einen Gürtelbeschlag aus dem Frühbarock, Keramik aus dem 18. Jh., eine Uhrkette und eine Sammlung runder, weißer Spielsteine. Sämtliche Fundstücke sind heute zusammen mit den vorher entdeckten Silex-Geräten im Prokulus-Museum ausgestellt. Sie sind keine „Blickfänger“, aber sie und ihre Zeit beginnen zu leben, wenn ein Fachmann sie interpretiert. Neuräutl wird öffentlich 59 Jahre nach der Entdeckung und 9 Jahre nach den letzten, wissenschaftlichen Grabungen nahmen Kulturreferent ­Michael Ganthaler und für den Heimatpflegeverein Naturns-Plaus Hermann Wenter mit Freiwilligen die Sache in die Hand. Am 2. Jänner begannen acht Mann mit der Säuberung des felsigen Unterstandes. Drei Tage später errichteten Heinrich Oberhofer, Hermann Müller, Karl Wallnöfer und Josef Kofler die ersten ­Trockenmauern. Am 26. Jänner fand ein Lokalaugenschein mit den Anrainern statt. Am 7. Februar nutzte man die Nachtübung der Freiwilligen Feuerwehr, um einen entsorgten Gastank endgültig zu entsorgen. Ganthaler hatte bereits eine Texttafel entworfen und angebracht. Es mussten Möglichkeiten gesucht und gefunden werden, das Felsendach im Neuräutl für interessierte Wanderer ohne Besitzstörungen zugänglich zu machen. Vom „Schinawaal“, der wenige Meter darunter verläuft, sei ein Zugang zum Felsdach in Form einer Treppe geplant, erklärte Ganthaler. „Wahrscheinlich greift uns die Eigenverwaltung unter die Arme“, meinte er. An sich ist „das Wegele“ viel begangen, von Spaziergängern und von Kletterern, die zum Einstieg des Klettersteiges Hoachwool marschieren. Allerdings übersieht man die kleine Säule aus rostigem Eisenblech an der Abzweigung Wallburgweg/Unterstellerweg (bzw. Patleider Kirchweg) und Schinawaalweg. Es ist der Hinweis auf den „Archäologischen Wanderweg Neuräutl“. In drei Sprachen wird festgehalten, dass sich „unter schützenden Fels­dächern des Naturnser Sonnenberges die ersten vorgeschichtlichen Siedler niedergelassen haben“. Die Touristiker im Meraner Land machten daraus einen Werbegeck und schrieben im „Naturns Magazin 2016. alpin & mediterran“ unter dem Kapitel „Geschichte zum Anfassen“: „Rund um Naturns finden sich zahlreiche Kultur- und Kultplätze. Unter anderem auch das erste Hotel im Meraner Land.“ Wer möchte es nicht kennenlernen, das vor 11.000 Jahren erbaute Felsenhotel im Neuräutl von Naturns? Günther Schöpf
Günther Schöpf
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