Eine Bahn für den Krieg

Publiziert in 5 / 2004 - Erschienen am 11. März 2004
Die Vinschgaubahn ist ein Thema, das die Vinschger Bevölkerung schon seit eh und je in ihren Bann gezogen hat und es auch immer noch tut. Ursprünglich wäre eine Bahn von Meran über Mals bis nach Landeck geplant gewesen, mit Anschlüssen an die Schweiz. Es gab bereits detaillierte Vorprojekte, die diese Möglichkeiten aufs Genaueste berechneten. Man war sich auch im Klaren darüber, dass eine Sackbahn bis Mals nicht sehr rentabel sein würde. Nur eine Bahn, die offen für Nordtirol und die reiche Schweiz war, würde auch Geld einbringen. Trotzdem sollte es schließlich anders kommen, da konnte der Schlanderser Bürgermeister und Vorsitzende des Aktionskomitees der Vinschgaubahn, Dr. Josef Tinzl, noch so sehr daran rütteln - Endstation Mals. Die Konzessionsurkunde vom 7. Juli 1903 sah eindeutig eine Lokalbahn von Meran bis Mals vor, die in vier Jahren Bauzeit errichtet werden sollte. Die Enttäuschung war groß. Es folgten Protestveranstaltungen und die Tiroler Abgeordneten wurden aufgefordert „im Reichsrat schonungslos jene Machenschaften aufzudecken, die eine systematische Verschleppung des Bahnbaues bewirkt hätten und gleichzeitig auf eine Verkürzung der Bauzeit zu drängen.“ Doch was Wien in dieser politisch turbulenten Zeit nicht brauchen konnte, waren aufgebrachte Tiroler, die ihren Bahntraum schwinden sahen. Also sagte das k.u.k. Eisenbahnministerium in Wien in den folgenden Monaten eine Bauverkürzung auf zweieinhalb Jahre zu und außerdem wurde die Ausarbeitung eines Fortsetzungsprojektes bis Landeck in Auftrag gegeben. Die Bahn wurde dann zwar in zweieinhalb Jahren gebaut, doch nur bis Mals. Doch der Gedanke einer Verbindung zwischen Mals und Landeck geriet niemals ganz in Vergessenheit. Zweimal wurde sogar mit Bauarbeiten für eine Überschienung des Reschenscheideckes (wie der Reschenpass bis 1919 genannt wurde, weil er eine Wasserscheide in der Nordwestecke Südtirols darstellt) begonnen. Und zwar beide Male am Ende eines Krieges, des 1. und 2. Weltkrieges. Diese Tatsache, dass beide Male das Ende des Krieges mit einem Bahnbau verbunden war, brachten die Menschen des Tiroler Inntales ironisch glänzend zur Sprache. Der Spruch „ Jetz’ ist der Krieg bald aus, weil sie d’Bah’ baue“ war damals gang und gäbe. Braucht es also wirklich einen Krieg um den Vinschgern und Inntalern eine „ganze“ Bahn zu geben? Rund um dieses Thema schreibt auch der Ingenieur Rudolf Gomperz in seiner Studie vom Jahr 1912 zur Vinschgaubahn. Er erörtert die etwaige strategische Bedeutung der Bahn, die ohne einen Anschluss bis nach Landeck eben keine hätte. „Es geht seit Jahren das Gerücht, die Strecke Landeck-Meran habe strategische Bedeutung und werde von den hohen militärischen Stellen dringend verlangt!“. Doch zweifelt Gomperz daran, dass der Krieg in den nächsten fünfzig Jahren ausbrechen werde, so weit rechne man doch nicht voraus, denn „das ist doch sonst nicht österreichisch gewesen“ und deshalb sei „der Krieg, die militärische Bedeutung der Vinschgaubahn nur ein Bluff, ein Schreckgespenst!“ Doch da hat er sich ganz schön vertan, der Herr Gomperz! Denn nach drei Jahren brach der Krieg aus und nach knapp acht Jahren wurde schon mit den ersten Arbeiten für eine Weiterführung der Bahn begonnen. Es wurde die k.u.k. Militärbauleitung der Reschenscheideckbahn unter der Leitung von Oberst Ing. Julius Khu gebildet. Bereits 1907 waren Projektarbeiten für die nördliche Talstrecke von Landeck bis Pfunds erstellt worden, welche dann im Jahre 1918 übernommen wurden, nicht ohne vorher jedoch teilweise geändert und erweitert zu werden. Vier Zivilfirmen und eine große Zahl russischer Kriegsgefangener ermöglichten größtenteils die Fertigstellung der Bahntrasse bis Tösens, von wo auch der Anschluss an die Schweiz stattgefunden hätte. Was die Bahntrasse auf südtirolerischem Boden betrifft, so wurden nur Projekte erstellt, zu effektiven Bauarbeiten ist es nicht mehr gekommen. Für die bahntechnisch schwierige Strecke zwischen Reschen und Mals wurden allerdings drei Varianten angefertigt. Mit Kriegsende fand jedoch auch der Bahnbau ein Ende. Bis 1923 wurden noch einzelne Bauwerke fertig gestellt und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Erst 1944, wiederum in der Endphase des Krieges, entsann man sich erneut der Reschenscheideckbahn. Etwas spektakulärer fielen dieses Mal die Projektarbeiten aus. Unter Gauleiter Franz Hofer sollte die Bahnlinie nach den Grundsätzen und Vorschriften der Deutschen Reichsbahn (DR) erstellt werden. Die Entwurfs- und Bauunterlagen von 1918 wurden nur zum Teil übernommen. Für den steilen und schwierigen Weg über die Finstermünz ließen sich die Ingenieure der Deutschen Wehrmacht etwas Originelleres einfallen: nämlich eine Standseilbahn (mit den dafür nötigen Umladestellen von Eisenbahn zu Seilbahn) von Kajetansbrücke bis Nauders. Mit den Pionierbauten in Nauders wurde bereits begonnen, noch Mitte April 1945 wurden sie allerdings wieder eingestellt. Wie bereits nach dem ersten Weltkrieg, wurde es nach den nötigen Sicherungsarbeiten wieder ruhig um die Reschenscheideckbahn. Mit dem Bau der Bundesstraße zum Reschen in den 50er Jahren wurde der Bahn schließlich endgültig ihr Grab geschaufelt und die restlichen Zeugnisse eines militär-strategischen Bahnprojektes verschwanden zur Gänze. von Monika Feierabend [K] Monika Feierabend studiert Geschichte an der Leopold-Franzens Universität in Innsbruck. Sie schreibt ihre Diplomarbeit über die Geschichte der Vinschgerbahn. Bildquellen: Rothkegel, Joachim: Die Reschenscheideckbahn. [/K]
Monika Feierabend

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