Dietrich Oberdörfer

Die Kultur ist immer gefährdet

Publiziert in 16 / 2006 - Erschienen am 9. August 2006
Dietrich Oberdörfer, Leiter der Orgelakademie Goldrain, über Vinschger Orgeln, Organisten und jener Gefahr, der Kultur immer ausgesetzt ist. „Der Vinschger“: Wie viele wertvolle Orgeln existieren heute im Vinschgau noch? Dietrich Oberdörfer: Eine der bedeutsamsten barocken Orgelbauer, Carlo Prati, hat die heute in der Pfarrkirche von Burgeis stehende Orgel – prunkvoll und mit Engeln verziert - ursprünglich für das Kloster Marienberg gebaut. Der Tiroler Aigner hat sie von Marienberg herunter geholt. In der Schlanderser Pfarrkirche steht eine relativ neue Orgel in einem alten Gehäuse, auf der sich hervorragend Bach spielen lässt. In St. Peter auf Tanas kümmert sich ganz freiwillig ein Orgelliebhaber um das Stück. In der Latscher Spitalkirche steht eine, es gibt noch weitere. Auf St. Luzius in Goldrain steht die 1662 gebaute Prati-Orgel, die rückgeführt wurde. Beim Restaurieren gibt es zwei Schulen: eben jene der Rückführung, in der Orgeln in ihrer Reinheit, wie sie vom ursprünglichen Orgelbauer konzipiert wurden, erklingen. Die andere Schule lässt verschiedene Moden, die in verschiedenen Epochen in eine Orgel eingeflossen sind, gelten - und erklingen. Ich bin ein Anhänger der Rückführung. Die Orgel in Goldrain klingt nun wieder so, wie sie gebaut wurde: bei den Italienischen Orgeln steht und fällt die Klangschönheit mit den Prinzipalen. Nicht zu vergessen: die älteste spielbare Orgel auf der Churburg. Viele Orgeln im Vinschgau allerdings respektieren die verschiedensten Epochen und Moden in sich: oft sind es italienische Orgeln mit einem Hauch Süddeutscher Klangfarbe. „Der Vinschger“: Neben Prati, welche anderen Orgelbauer waren von Bedeutung? Dietrich Oberdörfer: Zeitgleich mit Prati arbeitete in Glurns auch Daniel Herz, wir nehmen an, dass sich die beiden getroffen haben. Herz hat mit einheimischen Handwerkern vor Ort die Orgel gebaut. „Der Vinschger“: Wann hat man in Südtirol angefangen, die Orgeln zu restaurieren? Dietrich Oberdörfer: Der große Boom des Restaurierens hat Anfang der 80er Jahre begonnen. Weil die Pfarrkirche St. Luzius fünf Gehminuten von Goldrain entfernt ist, machten wir uns erste Gedanken über die Möglichkeiten einer Orgelakademie. Andrea Marcon, Christian Alton und ich planten 1989 die Akademie, die wir ein Jahr später gegründet haben. Vier existierende Orgeln hatten wir im Umkreis von drei bis vier Kilometern von Goldrain, dann sind wir auf Entdeckungsreise im Vinschgau gegangen. Wir kümmern uns heute noch um die Orgeln und verstehen uns als Orgelpfleger, machen eine kostenlose Generalinspektion. Leider ist es so, dass das Materielle mehr gefördert wird, als das Inhaltliche: Geist, Wissen und die Kunst kommen immer wieder zu kurz. „Der Vinschger“: Die Konzerte der vergangenen Monate, Jahre. Was wurde geboten? Dietrich Oberdörfer: Wir hatten im Juli den Domkapellmeister und Domorganisten des Doms zu Speyer, Leo Krämer, der auch Dirigent des Kammerorchesters der St. Petersburger Symphonie ist, zu Gast. Auch der Organist von Notre Dame, Olivier Latry, war bei uns. Gute Weltklasseorganisten gehen dorthin, wo die Orgel sehr gut ist: es ist eine etwas andere Situation als bei anderen Kunstformen. Kontinuierlich ist das Interesse der Bevölkerung gewachsen: das Repertoire unserer Konzerte zieht die Menschen an. Es ist erstaunlich, wie viele Geldmittel für dörfliche Kulturhäuser, die neu gebaut werden und jeder Ästhetik entbehren, ausgegeben wird, wenn man in alten Gemäuern auf authentischen Instrumenten fantastische Konzerte spielen kann. Wir tragen hohe Kultur unter die Leute, besonders die Vinschger sind offen dafür. „Der Vinschger“: Es spielen nur die ganz Großen bei den Konzerten? Dietrich Oberdörfer: Nicht nur. Wir fördern auch junge Talente. Deswegen haben wir den Internationalen Wettbewerb ins Leben gerufen, den es im nächsten Jahr wieder geben wird. Wir organisieren das Festival und wechseln das jährlich mit dem Internationalen Wettbewerb ab – beides ist in einem Jahr nicht möglich. „Der Vinschger“: Wie sieht es aus mit den Zuschüssen für die Orgelakademie? Dietrich Oberdörfer: Die Akademie finanziert sich durch Zuschüsse der Region Trentino–Südtirol, der Provinz, den Gemeinden, sowie einigen Privaten: Stiftung Südtiroler Sparkasse, Circolo Culturale, musica viva. Aber alle kulturellen Tätigkeiten sind generell gefährdet. Latsch beispielsweise hat in diesem Jahr seinen Beitrag von 4.000 Euro zurückgezogen. Es ist ein Unding, dass die Gemeinde nichts gibt, wenigstens ein kleinerer Betrag müsste drin sein. Vor allem vor dem Hintergrund, was wir schon alles für Latsch gemacht haben. Gar nichts zu geben ist die höchste Form der Unkultur. Auch macht es wenig Sinn, Organisten billig einzukaufen oder einem guten Einheimischen unverhältnismäßig schlechter zu entlohnen als einen Ausländischen. Oder die Organisten generell im Vergleich zu den Orgelbauern schlechter zu zahlen. Wir haben keine Blaskapelle, deren Förderung als Verein immer gesichert sein wird, weil das halbe Dorf mitspielt. Die ständige Suche nach dem Geld… Ich würde mich sehr viel lieber mit Inhalten beschäftigen. Nach 16 Jahren Erfolg immer noch mit finanziellen Unsicherheiten kämpfen zu müssen, ist nicht richtig. Ohne Leidenschaft, die wir für die Akademie, die Orgeln, die Konzerte und die Musik empfinden, könnte es schon zu einem Problem werden. „Der Vinschger: “Wie erklärst du dir 16 Jahre Erfolg? Dietrich Oberdörfer: Allem voran haben wir immer erstklassige Organisten organisiert. Als zweite Säule tragen uns die Überschneidungen, die wir bieten: Wir haben viel Neues probiert und keineswegs nur klassische Orgelkonzerte geboten. Arvo Pärt war bei uns zu Gast. Auch die Orte bilden einen wesentlichen Faktor: Entweder sind die Kirchen an besonders schönen Orten gelegen, meistens sind sie kunsthistorisch wertvoll, was ebenso einiges an Publikum anzieht. Wichtig ist vor allem, dass die Konzerte hochklassig besetzt sind. Der Reiz des Vinschgaus ist weniger das Klassisch-Alpenländische. Es ist ein mystischer Ort. 16 Jahre hier etwas erfolgreich durchzuziehen, ist eine Leistung. Etwas Neues anzufangen, ist immer leichter. Interview: Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
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