Erinnerungen an Silvia
Kerstin und ihre kleine Silvia.

Der dritte Stern neben dem Mond

Publiziert in 45 / 2016 - Erschienen am 14. Dezember 2016
2004 verstarb die kleine Silvia in Sulden an der seltenen Niemann-Pick-Krankheit. Ihre Mutter, Kerstin Ender Ortler, denkt dankbar an das kleine tapfere Mädchen zurück. Sulden - Wenn der Nachthimmel klar ist, Mond und Sterne zu sehen sind, dann weiß Kerstin: „Silvia schaut auf uns herab und passt auf uns auf“. Es war der 29. Jänner 2004. Ein Donnerstag im winterlichen Sulden. Ein Tag, den Kerstin Ender Ortler niemals vergessen wird. Der Tag, an dem Silvia, ein tapferes kleines Mädchen, die erste und einzige Tochter von Kerstin und Oswald, verstarb. „Jahre lang hat sie ihre schwere Krankheit ertragen, und gelacht. Noch kurz vor ihrem Tod schenkte sie uns ein Lächeln“, erzählt ihre Mutter heute. Worte, die ihr schwer fallen. Erinnerungen, welche die heute 55-jährige Suldnerin noch stark mit­nehmen. „Aber ich bin bereit, die Geschichte meiner lieben Silvia zu erzählen“. 1998 wurde Silvia Ortler geboren. Ein Wunschkind. Das erste Kind der damals 38-jährigen, in Deutschland aufgewachsenen Kerstin Ender und ihres Mannes, dem Suldner Oswald Ortler. Silvia war der ganze Stolz der kleinen Familie. Doch schon bald änderte sich das Leben der Familie schlagartig. Im Alter von drei Jahren musste Silvia an der Innsbrucker Universitäts-Klinik am Gehirn operiert werden. „Aufgrund einer verformten, zu früh geschlossenen Fontanelle“, erzählt Kerstin. Es war zu dieser Zeit, als sich das Verhalten von Silvia verändert hat. „Sie konnte kaum mehr Radfahren, krachte mit dem ­Bobby-Car gegen die Wand“, so die Mutter. Lange glaubte man an eine Entwicklungsverzögerung. „Im Kindergarten hieß es, sie sei lernschwach. Dann lernbehindert. Wir wussten nicht weiter“, blickt die Suldnerin auf eine schwere Zeit der Ungewissheit zurück. Die Schock-Diagnose Die kleine Silvia war kaum vier Jahre alt, als die schreck­liche ­Diagnose feststand: Niemann Pick Typ C. Eine sehr seltene Krankheit. So selten, dass sie sogar vielen Ärzten kein Begriff ist. Die Häufigkeit der Krankheit, die durch Veränderung in den Genen verursacht wird bzw. wobei es sich in den meisten Fällen um eine Erbkrankheit handelt, wird gerade mal auf eine Erkrankung pro 150.000 Menschen geschätzt. Im frühen Kindesalter zeigen die Betroffenen motorische Entwicklungsverzögerung und Muskelschwächen. Später gehen immer mehr erlernte Fähigkeiten verloren. Symptome sind unter anderem Sturzneigung, Schulversagen, Einnässen und Ver­haltensstörungen. Die tödlich verlaufende Krankheit endet schließlich mit einem weitgehenden Verlust körperlicher und geistiger Fähigkeiten. „Als wir nach vielen Über­prüfungen diese Diagnose erhielten, war es für uns ein Schock. Es ist immer noch ein Schock“, so ­Kerstin. Für die Eltern war es schwer, mit der Krankheit umzugehen. „Die Ärztin in Innsbruck knallte uns die Diagnose ins Gesicht. Es könnte sein, dass sie keine sechs Jahre alt werden würde - und wenn, würde es sich danach um einen völligen Pflegefall handeln, meinte sie damals. Das tat so weh“, erzählt Kerstin. Die kleine Familie machte sich auf den Heimweg. Am Reschensee machten sie Halt, um Windeln zu wechseln. Daran erinnert sich Kerstin noch gut. Ihr Mann Oswald weinte. Tapfere kleine Silvia Die Zeit danach war schwer für die liebevollen Eltern. Doch sie taten ihr Bestes. „Und Silvia war so ein tapferes Mädchen“, erinnert sich Kerstin an die Zeit mit ihrer Tochter zurück. Die Eltern waren mit der Pflege ihrer lieben Silvia intensiv beschäftigt, Oswald hatte zudem seinen Job als Schneekatzenfahrer im Ski­gebiet Sulden. Silvia erging es immer schlechter. In den Kindergarten durfte sie noch gehen. Dann blieb sie als Pflegefall daheim. Bis auf einige Wochen, als ihre kleine Tochter aufgrund eines Missverständnisses in die Obhut anderer kam, kümmerten sich Kerstin und Oswald hingabevoll um ihr krankes Mädchen. Sie wussten, eine Chance gibt es nicht. Eine Heilung der Krankheit war ausgeschlossen. Blickt Kerstin heute zurück, erinnert sie sich vor allem an die schönen Zeiten mit Silvia. Rund um die Uhr war sie mit ihrer Tochter beschäftigt. Und hin und wieder schenkte ihr die kleine Silvia noch ein Lächeln. In den letzten Monaten, kurz vor Silvias Tod, wog auch Kerstin gerade mal 35 Kilogramm: „Sagen wir es knallhart; aber ich wäre am liebsten mit ins Grab gegangen.“ An einem Donnerstag, im Jänner 2004, verstarb Silvia schließlich. Am Helikopter-Landeplatz in Sulden. „Wo isch der Tata“, sagte Silvia, die ihre Eltern über alles liebte, noch als letztes. Er kam, sofort machte er sich vom Skigebiert auf den Weg ins Tal. Auch Rettungskräfte und Notarzt wurden noch verständigt, doch es war nichts mehr zu machen. Die fortschreitende Krankheit hatte zu diesem Zeitpunkt ihr Ende gefunden. Weinende Rettungskräfte, am Boden zerstörte Eltern. Der 29. Jänner 2004 war auch der ­Geburtstag von Silvias Opa. „Welch eine Freude der Opa mit seiner Enkelin hatte. Und ich musste ihn, meinen Vater, anrufen, um den Tod von Silvia mitzuteilen“, erzählt Kerstin traurig. Es war ein Schock für alle. Für das gesamte Umfeld. Omas, Opas. Es waren Tage, Monate, Jahre der Trauer. „Die anderen Kinder in Silvias Alter gaben uns sehr viel Kraft. Sie gestalteten zum Begräbnis einen wunderschönen Gottesdienst und weinten mit uns um unsere Kleine“. Die Zeit nach der Beerdigung sei hart gewesen. „Oswald stürzte sich in die Arbeit. Ich verbrachte die ganze Zeit am Grab auf dem Friedhof. Doch irgendwann musste ich damit aufhören. Sonst dreht man durch“, so die trauernde Mutter. Noch heute hängt sie sehr an ihrer Tochter: „Natürlich, Eltern vergessen sowas nie. Bis zu unserem Ende werden wir sie in lieber Erinnerung halten“. Doch auch Dankbarkeit empfindet sie. Einerseits für die gemeinsame Zeit mit ihrer Tochter. Andererseits für alle, die der Familie in dieser schweren Zeit geholfen haben. „Silvias Patenonkel Alfred Thöni und viele andere“, so Kerstin. Ein Stern für Silvia Wenn der Nachthimmel über Sulden klar ist, dann kann man ihn sehen. Den dritten Stern ­neben dem Mond. „Dieser Stern ist für die kleine Silvia“, freut sich Kerstin. Ihr Vater, Silvias Opa, starb vor zwei Jahren. „Und nun sind sie zusammen im Himmel und schauen auf uns herab, sie passen auf uns auf“, erzählt ­Kerstin den Tränen nahe, und fügt hinzu: „Allen, die in Südtirol das Niemann Pick Syndrom haben oder andere schwere Krankheiten, den betroffenen Eltern und Angehörigen, wünsche ich ganz viel Kraft. Silvia schaut auf euch“. Michael Andres
Michael Andres
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