Gruppenbild der 25. Marienberger Klausurgespräche

Marienberger Klausurgespräche

„Der Wert des Teilens - Der Preis der Zukunft“

Publiziert in 35-36 / 2021 - Erschienen am 26. Oktober 2021

Marienberg - Im Kloster Marienberg fanden vom 14. bis zum 16. Oktober die traditionellen Marienberger Klausurgespräche statt. Die 25. Auflage der Gespräche hätte ursprünglich schon im vergangenen Jahr stattfinden sollen – die Coronapandemie hat die Jubiläumsausgabe jedoch nicht möglich gemacht. So fanden nun die Gespräche ein Jahr später statt, und zwar zum Thema „Der Wert des Teilens – Der Preis der Zukunft. In memoriam Otto Saurer“. Otto Saurer war einer der Initiatoren der Veranstaltung und Zeit seines Lebens ein großer Förderer dieses „Treffpunkts Zukunft: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Ethik und Sachzwang“, wie es im Untertitel der Marienberger Gespräche heißt. Bei der Eröffnung betonte der Präsident des Kuratoriums Marienberger Klausurgespräche, Günther Andergassen, in Bezug auf Otto Saurer, dass soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, die Achtung der Würde jedes Einzelnen seine großen politischen und persönlichen Anliegen waren. „Dafür hat er gearbeitet und viele Menschen mitgenommen. Weitblick war ein ,Markenzeichen‘ von Otto Saurer – Mentor der Marienberger Klausurgespräche von Anfang an.“

„Wir leben länger und denken kürzer“

Zu Beginn der Tagung hielt Josef Stricker ein Impulsreferat. Einleitend betonte er, welches Ziel solche Gespräche haben: „Entscheidungsträger auf den verschiedensten Ebenen brauchen Zeitfenster zum Nachdenken, und zwar abseits des jeweiligen Alltagsgeschehens. Unser Zeitgefühl hat sich in kürzester Zeit auf grundlegende und paradoxe Weise verändert, und zwar in dem Sinne: Wir leben länger und denken kürzer.“ Nachdem Stricker auf einige Besonderheiten in der gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Südtirols in den vergangenen Jahrzehnten eingegangen war, machte er Anmerkungen zur Frage: Warum ist Teilen so schwierig? Dazu stellte er folgende drei Thesen auf: ° Teilen ist schwierig und wird weiterhin schwierig bleiben, weil wir die Lebenswelt der jeweils anderen nicht mehr kennen und uns auch nicht bemühen, sie wirklich kennenzulernen. Wir denken und argumentieren viel zu viel in Schablonen. Wer den anderen verstehen will, muss dessen Lebenswelt nachempfinden können; ° Die Marktwirtschaft erreicht die Ränder der Gesellschaft nicht mehr. Diese laufen Gefahr, abgehängt zu werden; ° Die Gesellschaft wird fast nur mehr in ökonomischen Begriffen beschrieben. Abschließend stellte Stricker fest: „Nicht Werte-Rhetorik hält unsere Gesellschaft zusammen, sondern Praktiken von wechselseitigem Auf-einander-bezogen-sein und Erfahrungen des Für-einander-Daseins. Wir sind ein Wir, nicht weil wir vom Gleichen reden, sondern weil wir uns gegenseitig helfen.“

„Nationaler Egoismus und internationale Solidarität“

Landeshauptmann Arno Kompatscher sprach bei den Klausurgesprächen zum Thema „Politik im Spannungsfeld zwischen nationalem Egoismus und internationaler Solidarität“. Er spannte einen Bogen von der globalen Sicht der Dinge über die Europäische Union bis herunter auf unser Land. Zentrale Frage: Wie kann man die Bürger mitnehmen, um einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuarbeiten? Ohne Verzicht werde es laut Kompatscher nicht gehen, und es wird ein neues Denken brauchen, wobei von besonderer Bedeutung die Gemeinschaft ist, das soziale Zusammenkommen – nicht so sehr das materielle. In Bezug auf Europa betonte der Landeshauptmann, dass das europäische Projekt in Zukunft noch mehr zu einem „Projekt der Bürger“ werden müsse, wobei allerdings jeder Bürger aufgerufen ist, selbst einen Beitrag zu leisten.

Umwelt- und Klimastress

Von Berlin zugeschaltet hielt der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer ein Referat zum Thema „Utopischer Realismus – Zukunftsbilder für das 21. Jahrhundert“. Laut Welzer stehen Politik und Gesellschaft im 21. Jahrhundert vor einer ungewohnten Aufgabe: Sie müssen ihr zivilisatorisches Projekt unter zunehmendem Umwelt- und Klimastress bewahren und weiterentwickeln. Aber dafür gibt es keinen Masterplan. Denn der bisherige Erfolg der modernen Gesellschaften westlichen Typs und der kapitalistischen Wirtschaft basierte auf einer uneingeschränkten Ausbeutung von Natur, die sich jetzt, im 21. Jahrhundert, als nachhaltige und nicht fortsetzbare Zerstörung erweist. Während das 19. und das 20. Jahrhundert politisch von der Sozialen Frage geprägt waren, ist das 21. von der Ökologischen Frage geprägt. Der politische Unterschied zwischen diese beiden Fragen besteht darin, dass im ersten Fall Menschen bzw. menschliche Gruppen miteinander um eine Lösung ringen, also kämpfen und verhandeln, im zweiten Fall aber den Menschen ein Akteur gegenübersteht, der nicht verhandelt: die Natur. Welzer plädierte vor diesem Hintergrund für eine erweiterte Perspektive des real-utopischen Denkens und der Ökopolitik: Denn es geht nicht um technokratische Scheinlösungen zum Unterbinden bereits laufender und zunächst nicht zu stoppender Prozesse im Klimasystem, sondern um die Frage, wie sich unser zivilisatorisches Projekt unter der Voraussetzung eines Friedensschlusses mit der Natur bewahren und fortsetzen lässt. „Diese Frage lässt sich nicht negatorisch - indem man dies und jenes nicht mehr tut - beantworten, sondern bedarf eines positiven Gesellschafsbildes, bedarf also der Entwicklung von Zukunftsbildern, die der Politik der Gegenwart einen Horizont liefern“, so Welzer.

Die Bedeutung von Minderheiten

Der Referent brach in seinem Vortrag auch eine Lanze für Minderheiten, denn Veränderungen gingen immer von Minderheiten aus. Kleine Gruppen sehen aus eigener Betroffenheit, was falsch läuft in der Gesellschaft. „Irgendwann folgen dann die Mehrheiten den Minderheiten. Welzer: „Minderheiten sind im Bereich des Politischen viel Wichtiger als Mehrheiten.“ Magdalena Holztrattner, österreichische Theologin, Armutsforscherin und Religionspädagogin, sprach zum Thema „Viel arm, wenig reich: unterm Strich sind wir alle arm dran“.  Der Wert des Teilens mit Blick auf Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaften ist laut der Referentin ein komplexer. Teilen betrifft genauso die Frage von gesellschaftlicher (Un)Gerechtigkeit wie die Frage von persönlichen Haltungen.

„Teilen muss nicht weh tun“ 

Sie betonte, dass Teilen nicht weh tun müsse. „Nein: Teilen tut gut – wenn es im Sinne des Sozialstaates passiert. Teilen tut auch gut, wenn mehr Chancengerechtigkeit möglich wird.“ Der Sozialstaat ermöglicht, dass weniger arm und mehr reich wird. Soziale Gleichheit ermöglicht die Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Für die Referentin sind Steuern ein wesentlicher Teil des Teilens. Das Abschlussreferat hielt  Peter Koenig. Der britisch/schweizerische Geldexperte sprach zum Thema „Warum gibt es nie genug (Geld), auch wenn es genug gibt? Unsere vielfältigen Beziehungen zu Geld“. Koenig forscht bereits seit mehreren Jahrzehnten über das Geld und seinen Einfluss auf Mensch und Gesellschaft.  Laut Koenig werden unsere Handlungen mit und rund ums Geld zum großen Teil durch die Gewohnheiten aus unserer Kindheit bestimmt, die wir von den Eltern und anderen Bezugspersonen mehr oder weniger automatisch übernommen haben. Die gleichen Gewohnheiten sind in Unternehmungen wie auch in der Industriegesellschaft generell eingepflanzt und werden durch die an Universitäten gelehrten Theorien verstärkt; sie gelten rundweg als „normal“ und normsetzend. Koenig plädiert für eine Veränderung nach innen und nach außen, wobei die wesentliche Veränderung nach innen gehen muss. Koenig: „Keine Veränderung ohne innere Veränderung. Wenn etwas in der Welt Wesentliches passiert, dann passiert es, wenn eine Person etwas initiiert. Man muss mit Veränderung vorangehen – es braucht Menschen, die etwas in Bewegung setzen.“

Redaktion

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