Die heurige Gedenkveranstaltung auf dem Soldatenfriedhof in Spondinig stand im Zeichen des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren.

„Reden wir nicht von Helden“

Welche Spuren hat der Erste Weltkrieg hinterlassen?

Publiziert in 39 / 2018 - Erschienen am 13. November 2018

Spondinig - Im Gegensatz zu früheren Jahren war die Teilnahme an der traditionellen Gedenkveranstaltung, die immer am Seelensonntag auf dem Soldatenfriedhof in Sondinig stattfindet, heuer relativ groß. Neben vielen Schützen und Marketenderinnen aus dem ganzen Tal, Abordnungen von Feuerwehren und anderen Vereinen bzw. Organisationen, der Bürgermeisterin Roselinde Gunsch Koch, den Bürgermeistern Peter Paul Trafoier, Karl Bernhart und Andreas Tappeiner konnte Engelbert Agethle im Namen des Vinschger Kameraden Verbandes auch einige Dutzend Teilnehmer aus der Bevölkerung begrüßen. Der Schludernser Pfarrer Paul Schwienbacher, der den Gottesdienst zelebrierte, las Passagen aus dem Hirtenbrief „100 Jahre Kriegsende“ von Bischof Ivo Muser vor.

Warum kam es zur Urkatastrophe?

Der Bischof hatte zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ klare Worte gefunden. Auch die Ursachen, die zum Krieg geführt haben, benennt Muser: „Ein Nationalismus, der zum Religionsersatz geworden war; Hass, Verachtung und Arroganz gegenüber anderen Völkern; die Anmaßung absoluter Macht über Leben und Tod, aber auch die Gier nach Reichtum und neuem Lebensraum. Damals wie heute wird der Friede durch massive Gerechtigkeitsdefizite und Verstöße gegen die Menschenrechte bedroht.“ Die Frage, die man sich heute - 100 Jahre nach dem Ende des Krieges - laut Herbert Raffeiner, der auf dem Soldatenfriedhof in Spondinig die Gedenkrede hielt, ist folgende: „Wie werden wir jenen Menschen gerecht, die hier in eine überschwere Opferrolle gedrängt wurden, wie werden wir den Menschen gerecht, die damals überlebt haben, als Soldaten oder in der Zivilbevölkerung, welche Spuren hat diese Urkatastrophe insgesamt hinterlassen?“

Traurige Fakten

Die Fakten fasste Raffeiner so zusammen: viereinhalb Jahre Krieg - und diesen verloren, Massen von Toten, insgesamt 10 Millionen, Not, Krankheit, Unsicherheit, beim Feind gelandet, fremde Sprache, Minderheit im neuen Staat, Zukunftsangst, Kaiser verloren, Demokratie gewonnen, mit der man nicht weiß was anfangen. Und die neue Zeit hat schon den nächsten Weltkrieg in sich.“ Auf dem Soldatenfriedhof könne man nur Demut, Trauer und umfassendes Erbarmen empfinden. Zunächst „müssen wir anerkennen, dass es diesen Erinnerungsort, den Soldatenfriedhof von Spondinig, gibt, und jenen danken, die ihn pflegen. Dann müssen wir eine neue Erinnerungskultur schaffen und dazu brauchen wir Wissen und Kenntnisse, wir müssen unseren Sinn dahin lenken, was die Menschen damals erleben und ertragen mussten, woran sie in diesem unsinnigen Krieg gescheitert sind.“ Im Zusammenhang mit Krieg dürfe nicht von Helden geredet werden, „denn im Rückblick gibt es nur Opfer.“

Nur Opfer

Von Kriegsbegeisterung könne ebenfalls nicht gesprochen werden, „zumindest nicht hier bei uns, denn diese hat es 1915 hier kaum gegeben. Vielleicht die Illusion, dass dieser Krieg ein leichtes Spiel sein könnte. Tatsächlich war dieser Krieg ein langes und schreckliches Spiel mit dem Tod.“ Auch die Führungspersönlichkeiten, welche die Soldaten und Standschützen „unter unmenschlichen Bedingungen bis auf den Ortlerspitz hinauf in diesen Konflikt mit Feind und Natur geführt haben“, beleuchtete Raffeiner. Der erste Kommandant der Ortlerfront, der Böhme Friedrich Hradesny, sei ziemlich unvorbereitet gewesen: „Er war unsicher, wo nun die Front sei, am Stilfserjoch oder an der Sperrlinie Goldsee-Sperrfort Gomagoi-Zumpanell.“ Deswegen habe er einen Tag nach Kriegsausbruch, am 24. Mai 1915, einige Kehren der Stilfserjochstraße und das Dorf Gomagoi sprengen lassen. Erst am 31. Mai 1915 habe er die Frontlinie auf das Stilfserjoch verlegt. Der zweite Kommandant, Ludwig von Abendorf, der an der serbischen Front gedient hatte, sei seinen Aufgaben im alpinen Kriegsgebiet nicht gewachsen gewesen. Raffeiner: „Wir müssen uns fragen, was sich die Oberkommandierenden der österreichischen Heere gedacht haben, wenn sie solches Führungspersonal an die Ortlerfront geschickt haben. Die Leidtragenden waren die Soldaten und die Zivilbevölkerung.“

Was haben die Oberkommandierenden gedacht?

Der dritte Kommandant, Erwin Moritz Freiherr von Lempruch, kam von der Dolomiten-Front und „war ein Experte in Fragen des Gebirgskrieges.“ Er hielt die Front mit seiner Truppe bis zum Kriegsende. Seine größte Leistung war aber eine nicht direkt militärische, „denn er zögerte 1918 die Durchführung eines Befehls des Oberkommandos, einen Angriff durch das Brauliotal und die Valfurva, bis Kriegsende hinaus und widerstand auch dem Druck seiner Vorgesetzten.“ Ohne dieses Hinauszögern „wäre der Soldatenfriedhof von Spondinig mindestens doppelt so groß.“ Lempruch führte die Truppe nach dem Waffenstillstand „geordnet von den Bergspitzen herunter, die Standschützen gingen nach Hause und die Soldaten der Ortlerfront zogen plündernd durch den Vinschgau und durch Meran.“ An den Plünderungen habe sich auch die Zivilbevölkerung unwürdig beteiligt. Am 5. November 1918 kamen die Obervinschgauer Bürgermeister in Schluderns zusammen und ersuchten die italienische Besatzung in einem Appell, in den Dörfern für Ordnung zu sorgen. Der italienische Oberbefehlshaber Ponzi habe sich klug verhalten: „Er ging allen Konflikten aus dem Wege, er besetzte die Dörfer und sorgte für Sicherheit, aber als er in Meran gegen den Protest des Bürgermeisters Josef Gemaßmer das Rathaus und die anderen öffentlichen Gebäude besetzte, antwortete er: E` il diritto dei vincitori!“

„E` il diritto dei vincitori!“

Der Krieg ist laut Raffeiner niemals der Vater aller Dinge. Die heutige Erkenntnis sei, „dass nur unsere eigene Friedfertigkeit, der Frieden in den Familien, in den Dörfern und im Zusammenleben im Land und in der Welt das Leben und das Wohlergehen sichern können.“ Die Generaldecharge auf dem Soldatenfriedhof führte eine Ehrenformation von Vinschger Schützen unter dem Kommando von Christian Eberhart, Kommandant des Obervinschgauer Bataillons „Josef Stecher“, durch. Für die musikalische Umrahmung sorgte heuer die Musikkapelle Eyrs. Der Friedhofswart Adalbert Adalbert Tschenett dankte abschließend allen, die zum Gelingen der Gedenkveranstaltung beigetragen und an dieser teilgenommen haben.

Josef Laner
Josef Laner

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