Professor Lintner erklärt im Vortrag, warum in Indien die Kühe heilig sind.
Kulturreferent Michael Ganthaler unter der berühmten Rinderherde in der Prokulus-Kirche
Maria Kreidl, Prokulus Kulturverein, und der Moraltheologe Professor Martin Lintner OSM

Was machen die Rinder in der Kirche?

Freskofragmente in St. Prokulus als Denkanstoß in der „Langen Nacht der Kirchen“

Publiziert in 20 / 2021 - Erschienen am 10. Juni 2021

Naturns - Welche Rolle spielen Rinder, Hund und Hirte im Freskenprogramm der Kirche zum Heiligen Prokulus? An dieser Frage haben sich Theologen, Archäologen und Historiker versucht. Maria Kreidl, Vorsitzende des Prokulus Kulturvereins, hat sich wie so viele andere auch diese Frage gestellt und Antwort beim Moraltheologen Martin Lintner vom Orden der Serviten gesucht. Seine Erkenntnisse hat der Brixner Professor in ein Referat über die Beziehung Mensch-Tier im Kontext christlichen Glaubens verpackt. Es wurde ein faszinierender und vor allem überraschender Einblick in die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft Mensch und Tier. Die Ausführungen machten deutlich: Es steckt mehr als bisher gedacht in dieser Gemeinschaft. Professor Lintner ging es im Vortrag „Tiere in den Religionen – von der Heiligen Kuh bis zum Schächten“ auch um Klärung und Erklärung erstarrter Vorurteile. Dazu musste er in graue Vorzeiten zurückgreifen. Damals, vor vielleicht 30.000 Jahren, habe sich der Wolf dem Menschen angepasst, zuerst als Helfer bei der Jagd nach Nahrung, dann zum Schutz von Nahrungsvorräten oder als Wächter von Viehherden. Über verblüffend einleuchtende Erklärungen zum Totemismus und zum Stierkult der Ägypter erklärte Lintner die Begriffe Tieropfer, Sühneopfer, Sündenbock und Tierprozesse. Um auf die Frage, warum im Hinduismus und Buddhismus die Kühe heilig sind, einzugehen, erwähnte der Professor das „hohe Mitleidethos“ dieser Religionen. In der Vorstellung der Urseele und der Wiedergeburt liege das Verbot, einem Lebewesen Leid zuzufügen. Es vom Leiden zu erlösen, sei ebenfalls verboten, weil sich das leidende Wesen vom „schlechten Karma“ befreie. Ein Schwerpunkt der Ausführungen war der Begriff des „Schächtens“. Dass das Durchtrennen der Halsschlagader keineswegs eine tierfreundliche Tötungsart sei, habe man wissenschaftlich erwiesen. Inzwischen werde der Begriff für antisemitische oder antiislamische Hetze missbraucht. Der abschließende Teil des Vortrages war dem Auftreten der Tiere in der christlichen Religion gewidmet. Professor Lintner eröffnete mit der Schöpfungsgeschichte und der Arche, wo Tiere und Menschen Platz fanden. Er erklärte auch, wie Ochs und Esel zur Krippe kamen, warum Antonius der Einsiedler vom Schwein begleitet wird, warum St. Leonhard Viehpatron und Franz von Asissi Tierschutzpatron wurden. Der späten Stunde war es zuzuschreiben, dass von den Zuhörern in der Pfarrkirche zum Heiligen Zeno niemand nach der Rolle der Rinder in St. Prokulus fragte.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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