Corona-Tagebuch (12), 31.03.2020

Corona-Tagebuch (12), 31.03.2020

Verletzlich

- Trockene Grashalme, Teilstücke dünnster Ästchen, Reste von Fäden und Nylonspagat. Wer hat denn diesen Unrat hier in der Gasse hinterlassen? Des Rätsels Lösung entdecke ich unter dem Dachgesims. Es sind die Schwalben, die zurückgekommen sind. Bevor sie mit dem Bau des neuen Nestes beginnen, wird das alte entrümpelt. Auch in vielen „Nestern“ von Menschen wird derzeit aufgeräumt, geputzt, getrennt, neu geordnet und hergerichtet. Zeit für Vorbereitungen auf die Zeit danach gibt es derzeit mehr als genug. Das Coronavirus hält uns seit Wochen gefangen. Wenngleich die Tage und Nächte für viele immer länger werden, heißt es gerade jetzt Durchhalten, um aus dem Tunnel herauszukommen und das Licht, das am Ende zu flackern beginnt, nicht zu gefährden. Die erste Priorität ist weiterhin der Schutz der Gesundheit. Es ist noch immer unfassbar, wie dieses Virus das Leben von uns allen auf den Kopf gestellt hat. Es dringt in unsere Körper ein und fasst in übertragener Form auch in unseren Köpfen Fuß, im Gefühlsleben, in der Seele. Das Virus entfacht Ängste um die eigene Gesundheit und um die Gesundheit unserer Angehörigen und Freunde. Es wirft uns auch wirtschaftlich aus den Gleisen. Zurzeit sind weder die unmittelbaren Auswirkungen klar abzusehen und noch weniger die mittel- und langfristigen Folgen und Nebenwirkungen. Vielleicht klingt das etwas banal, aber ich kann einfach nicht verstehen, wie schnell die Grundfeste unseres bisher gewohnten Systems ins Wanken geraten können. Genügen tatsächlich einige Wochen bzw. Monate, um unsere „Welt“ in ihrer bisherigen Form aus den Angeln zu heben? Sind wir derart verletzlich? Besonders widerstandsfähig ist unser System offensichtlich nicht, jedenfalls nicht, wenn uns eine derartige, zugegebenermaßen neue Welle in diesem Ausmaß erfasst. Eine der Lehren der Corona-Krise wird es sein müssen, für ähnliche Szenarien in Zukunft besser gewappnet zu sein. Die Fähigkeit, derartige Krisen angemessener zu bewältigen, werden wir uns erst aneignen müssen. - Da scheinen mir die Schwalben viel widerstandfähiger zu sein … solange wir ihre „Kreise“ nicht stören.

Sepp Laner

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