Rosaroter Anstrich fürs braune Pack?

Publiziert in 28 / 2009 - Erschienen am 22. Juli 2009
Vinschgau/Naturns – Entdecken und Experimentieren, Versuch und Irrtum. Das ist es, was jeder in seiner Jugend macht. Manche verträgt es dabei ins braune Lager. Unlängst wurde von einer neu gegründeten Hitlerjugend in Naturns berichtet. Natürlich ist das erst mal erschreckend. Und wirft die Frage auf, was tun mit den Kiddies? Mit der Stahlbürste die braune Farbe abzukratzen versuchen, oder doch „nur“ rosarot übermalen? „Der Vinschger“ fragte nach, ob es denn überhaupt genug sein kann, braune Truppen nur durch das rosarote Weichspülprogramm der Sozialpädagogik zu schicken. von Werner Wallnöfer „Nicht seriös recherchierte Berichterstattung gefährdet die Arbeit verschiedener Insti­tutionen,“ erklärt der Naturnser Bürgermeister Andreas ­Heidegger, und fügt hinzu, „dass unausgewogene Information auch den Jugendlichen selbst schadet“. Heidegger hat in den vergangenen Tagen so ­seine Erfahrung mit den ­Medien ­machen müssen. Plötzlich verbindet die Leserschaft den Namen Naturns mit „­Hitlerjugend“ und „70 ­Burschen“. Wie sich herausstellt, ist die Situation zumindest zahlenmäßig weniger dramatisch: „Die Ordnungshüter und Streetworker sprechen von einer weitaus kleineren Kerngruppe“. Die Jugendreferentin Gudrun Pöll unterstreicht, dass das Problem dennoch keineswegs zu unterschätzen sei. Deshalb versuchen die Institutionen schon seit längerem, besondere Maßnahmen zu ergreifen, so wie etwa die Zusammenarbeit mit den Streetworkern oder die Mediationsrunde Vandalismus und Gewalt. „Die offene und vereinsgebunde Jugendarbeit allein - sei es JuZe, Feuerwehr oder Sportverein – konnte diese Jugendlichen nicht auffangen.“ Joachim Staffler von der ­Antifa Meran (Antifaschistische ­Bewegung) beschäftigt sich seit längerem mit der braunen Schwemme und meint, „dass es in Naturns etwa 10 bis 20 ­Jugendliche sein müssten“. Dabei könne eigentlich noch von Kindern gesprochen werden. Die Gruppenmitglieder seien zwischen 13 und 18 Jahre alt. „Vor allem ist das Thema aber nicht so neu, wie es in den ­Medien dargestellt wurde,“ kritisiert der Antifa-Mann die Sichtweise der Gesellschaft. „Zwischendurch werden zwar Razzien durchgeführt, die Bevölkerung schreit auf und schlussendlich passiert nichts,“ so Staffler. Das Büro der Staatspolizei ­Bozen hingegen berichtet dem „Der Vinschger“, dass „die überwachende Tätigkeit in dieser Frage konstant ausgeführt wird (...) und es behängen diesbezügliche Prozesse“. Wie erklären sich die Experten diesen Rechtsschwung? Er­­­­­­- zieh­ungswissenschaftler haben in ihren Arbeiten dokumentiert, dass Jugendliche, die in ihrer Kindheit entweder ver­hätschelt oder verwahrlost wurden, besonders dazu neigen, sich extremen Szenen anzu­schließen. Studien belegen, „dass die ­Neigung zu aggressivem Verhalten bei gewaltbereiten Patienten durchwegs von der Kindheit her auffällig ist“. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass vor allem die Beziehung im ­Elternhaus und der Schule gefragt sind. Fehlt oder krankt die natürliche Bindung zum ­Elternhaus, finden Betroffene oft die einzige Anerkennung in den extremen Jugendszenen, ganz egal ob rechts oder links. Zeno Christanell, Präsident des Jugendzentrums JuZe ­Naturns: „Das sind Erklärungsan­sätze. Wir stellen aber auch fest, dass die Jugendlichen ganz unterschiedliche, indi­viduelle Beweggründe haben.“ Die Präventionsarbeit der Jugendeinrichtungen könne vielfach erst spät oder gar zu spät angegangen werden, weil die Betroffenen in ihrem Umfeld gelernt haben, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Die Folgerung könnte also sein, dass verstärkt in die Familienarbeit investiert wird. Auch die Staatspolizei hält in diesem Sinne fest, dass „­natürlich von einem Phänomen zu sprechen ist, das nicht nur die Polizei, sondern alle ­Institutionen betrifft, wie ­Schule, Kirche, Familie und Gemeinden. Wie sieht es mit der „Genesung“ von der braunen Krankheit aus? Joachim Staffler: ­„Glücklicherweise stellen wir fest, dass ­wenige in ihrer radikalen ­Meinung gefestigt sind. Die meisten sind eben Mit­läufer“. Jugendliche können sich also aus dem rechten Sog zurückziehen. Bloß sei der Ausstieg aus der Szene mit weitaus größeren Hürden verbunden als der vergleichsweise banal einfache Einstieg: „Ein Betroffener hat davon berichtet, dass er über zwei Jahre lang in der Szene verbleiben musste, obwohl er aussteigen wollte. Die wissen wo du wohnst, wo du arbeitest und wo du gerne hingehst. Und es sind manchmal auch Waffen im Spiel,“ erzählt Staffler aus der ­Situation im Meraner Raum. Bürgermeister Heidegger möchte es so weit nicht kommen lassen: „Ich bin für eine Vorgehensweise, die bestimmt auch repressive Maßnahmen vorsieht. Aber in erster Linie wollen wir die Leute davon abhalten, der Gesellschaft Schaden zuzufügen und sich selbst ihre Zukunft zu ­verbauen,“ Deshalb steht der gesamt Ausschuss hinter dem Projekt der Streetworker. Im Unterschied zu den etablierten Jugendeinrichtungen wie das JuZe Naturns sind deren Mitarbeiter nicht an eine Lokalität gebunden. „Sie können die mobilen Randgruppen ­begleiten, sofern es gelingt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen,“ weiß die Jugendreferentin Gudrun Pöll. Klar müsse allen sein, dass das Projekt bestimmt kein Allheilmittel ist und sein kann, sondern nur das ­soziale Netz engmaschiger macht. Auch bester Einsatz ist eben ­keine Garantie für Erfolg. Die heiße Kartoffel „Hitlerjugend“ wird in Naturns also nicht nur einfach fallen gelassen. Heidegger begrüßt die Absprache weiterer Schritte beim von Landeshauptmann Durnwalder vorgeschlagenen „runden Tisch“.
Werner Wallnöfer

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