Mit einem Bein im Gefängnis

Publiziert in 16 / 2002 - Erschienen am 29. August 2002
Vor kurzem hat der Staatsanwalt Dr. Giancarlo Bramante gegen das Urteil des Strafrichters bei der Außenstelle Schlanders des Landesgerichts Bozen, mit welchem der Partschinser Bergführeranwärter Kuno Kaserer von der Anklage auf fahrlässige Auslösung einer Lawine freigesprochen wurde, Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Wir haben den Rechtsanwalt Peter Tappeiner aus Schlanders um eine Würdigung des Falles aus rechtlicher Sicht gebeten. Hier sein Beitrag: Der 19. November 2000 wird dem Partschinser Kuno Kaserer wohl Zeit seines Lebens in Erinnerung bleiben. Der begeisterte Skitourengeher stieg gegen 13 Uhr auf den Gipfel der Grawand neben der Bergstation der Schnalser Gletscherbahn, um von dort durch das sog. "Kurzenkar" in Richtung Parkplatz bei Kurzras abzufahren. Kaserer hatte jedoch noch keine drei Schwünge getan, als sich unter ihm in einer Breite von 160 Metern ein Schneebrett löste. Die abgeglittenen Schneemassen teilten sich: Ein Teil des Bretts floss nach links in südwestliche Richtung ins Kurzenkar, die restlichen Schneemassen hingegen bewegten sich in westliche Richtung, "unterquerten" die Seilbahn und lösten in der Nähe der einzigen Stütze eine größere sekundäre Lawine aus, welche als große Staublawine auf die zwar offiziell gesperrte, aber von einzelnen Skifahrern trotzdem benutzte Talabfahrt nach Kurzras, die sog. "Schmugglerabfahrt", niederging. Kaserer kam mit dem Schrecken davon und beteiligte sich anschließend an der Suchaktion. Als diese zum Glück ergebnislos abgeschlossen war, wurde er unter dem Vorwurf der fahrlässigen Auslösung einer Lawine für ein paar Tage in Untersuchungshaft genommen und anschließend in einem Schnellverfahren vor der Außenstelle Schlanders des Landesgerichts Bozen unter Anklage gestellt. Das Verfahren hat für große Aufregung innerhalb der alpinen Vereine und der Bergführerorganisationen gesorgt. Entsprechend groß war auch das Interesse der Medien. Mittlerweile ist "die Luft weg" und der Weg frei für eine distanzierte Betrachtung des ganzen Verfahrens. Zunächst muss, klargestellt werden, dass die Anklageerhebung als solche mit dem Strafgesetzbuch konform ging. Dieses stellt nämlich im Art. 449 unter anderem die fahrlässige Auslösung einer Lawine unter Strafe. Es handelt sich dabei um ein sog. abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. für dessen tatbeständliche Verwirklichung muss keine konkrete Gefährdung von Personen oder Sachen eintreten, es ist vielmehr die bloße Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung ausreichend. Das bedeutet, dass beim Auslösen einer Lawine die Gefährdung einer unbestimmten Anzahl von Personen unwiderlegbar vermutet wird und dass der Täter sich auch nicht dadurch "aus der Schlinge" ziehen kann, dass er z.B. beweist, die Lawine wäre in einem unwegsamen und menschenleeren Gelände abgegangen und hätte damit keine Gefahr für Personen darstellen können. Somit konnte die Verteidigung Kaserers nur in eine Richtung zielen, nämlich die Frage nach der Vorhersehbarkeit des Lawinenabgangs zu stellen. Denn Fahrlässigkeit ist nur dann gegeben, wenn die Gefahr voraussehbar ist. Das Gericht beauftragte das renommierte Institut für Schnee und Lawinenforschung in Davos mit der Klärung dieser Frage. Die Schweizer Experten kamen zum Schluuss, dass Kaserer den Abgang der Lawine nicht voraussehen konnte, was dann zu seinem Freispruch führte, weil er im Sinne des Strafrechts nicht schuldhaft gehandelt hatte. In seiner Berufungsschrift wiederholt der Staatsanwalt sein Hauptargument aus der Hauptverhandlung: Kaserer hätte dadurch fahrlässig gehandelt, dass er das am Ausgang der Bergstation aufgestellte Schild "HALT – LAWINENGEFAHR" nicht beachtete. Die Nichteinhaltung dieses Verbotsschilds käme einer Übertretung von "Gesetzen, Verordnungen, Befehlen und Regelungen" nach Art. 43 St.G.B gleich. Der Staatsanwalt geht dann sogar so weit, dass er die Betreiber von Aufstiegsanlagen zu "Behörden" erhebt und ihnen das Recht einräumt, über das gesamte zum Einzugsbereich des Skigebiets gehörende Gelände zu verfügen und jedermann "Befehle" in Form von Verbotsschildern zu erteilen, deren Einhaltung bei Strafe verpflichtend wäre. Dieser absurden Ansicht hat schon der Erstrichter in dem Sinne widersprochen, dass er dem Schild reinen Hinweischarakter zubilligte. Es beinhalte lediglich die Warnung, dass der Skifahrer nun die gesicherte Piste verlasse und sich ins freie Skigelände begebe. Der Staatsanwalt übersieht in seiner wirklichkeitsfremden Sicht der Dinge, dass außerhalb der Pisten und deren Nebenflächen das freie Skigelände beginnt, in welchem eine weitgehend uneingeschränkte Wegefreiheit herrscht, weshalb es rechtlich ein Unding ist zu meinen, man könne den freien Skiraum sperren und das Tiefschneefahren abseits der Pisten verbieten. Wie immer das Verfahren vor dem Berufungsrichter ausgehen mag, einige Lehren können und müssen aus dem Prozess Kaserer gezogen werden: Ob uns das gefällt oder nicht, das winterliche Tourengelände ist kein rechtsfreier Raum, auch strafrechtlich nicht. Die so oft beklagte Verrechtlichung der Berge und die damit verbundene Beschneidung des alpinen Freiraumes ist leider unaufhaltsam. Wer eine Lawine auslöst, sei dies in der Nähe einer Skipiste oder auch nur im unwegsamen Gelände, muss mit dem Staatsanwalt und mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Allerdings gibt es im Strafrecht keine Erfolgshaftung. Der Anklagevertreter kann sich nämlich nicht darauf beschränken, auf den Lawinenabgang zu verweisen und aus einer selbstherrlichen ex – post –Betrachtungsweise heraus – im Nachhinein sind bekanntlich alle klüger ! – die Verurteilung des Angeklagten verlangen. Es ist und bleibt zu prüfen, ob der Angeschuldigte den Lawinenabgang hätte voraussehen können. Und eindeutige Beweise für die Vorhersehbarkeit liegen nur bei akuter Gefahr vor, eben weil Unsicherheit im Gebirge die Regel ist.

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