Gruppenbild der 28. Marienberger Klausurgespräche.

Bedrohte Demokratie

Wie sich bei den 28. Marienberger Klausurgesprächen zeigte,gerät die Demokratie weltweit immer stärker unter Druck.

Publiziert in 7 / 2024 - Erschienen am 9. April 2024

Marienberg - Auch heuer trafen sich Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Politik, Schule und Kirche im Kloster Marienberg zu den Marienberger Klausurgesprächen. Bei der heurigen 28. Auflage stand das Thema Demokratie im Mittelpunkt. Wie der Präsident des Kuratoriums Marienberger Klausurgespräche, Günther Andergassen, bei der Eröffnung unterstrich, gerät die Demokratie weltweit unter Druck. Die Zahl der autoritären Regierungen steigt. „Auch in Europa verliert die Demokratie in Besorgnis erregender Weise an Attraktivität. Denn gerade in Krisenzeiten schlägt die Stunde von Demagogen und Populisten. So stellt sich zunehmend die Frage, wie sich eine demokratische Gesellschaft rechtzeitig vor autoritären Tendenzen schützen, dem Vertrauensverlust entgegenwirken und eine erneuerte Lust auf die Freiheiten und die Sicherheit der Demokratie wecken lässt“, so Andergassen. Den Reigen der Vorträge eröffnete der ehemalige Landtagsabgeordnete Hans Heiss, der zum Thema „Abgehängt? Rückzugsgefechte der Demokratie in Italien und Südtirol“ sprach. Laut Heiss geben der Grundzustand und die Akzeptanz von Demokratie europaweit Anlass zur Sorge, auch in Italien und Südtirol. Gesellschaftliche Leitwerte seien zunehmend die drei großen „S“: Sicherheit im öffentlichen Raum, Stabilität der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sowie Souveränität nach außen, teilweise in Abkehr von Internationalität und Globalisierung. Das sei eine Folge der Krisenballung des vergangenen Jahrzehnts: Migrationskrise, Pandemie und der Kriegsfolgen von Ukraine bis Gaza, „untermalt von der chronischen, sich verschärfenden Klimaerwärmung und sozialer Verwerfungen.“ Hinzu kommen der Schwund und Schrumpfung wichtiger Funktionsträger: der Parteien, der Presse bzw. klassische Medien und der Partizipation.

Demontage der Demokratie

„In Italien ist die Demontage von Demokratie durch die rechte Regierung Meloni spürbar, da die Rolle der Exekutive gestärkt, Parteien und parlamentarische Institutionen systematisch geschwächt werden“, sagte Heiss. In Südtirol stehe ein Check-up demokratischer Verhältnisse aufgrund der Parteienkrise, vor allem der Mehrheit, auf der Tagesordnung, begleitet von grundlegenden Orientierungsfragen.“ Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar referierte zum Thema „Keine falsche Toleranz! Warum sich die Demokratie stärker als bisher zur Wehr setzen muss“. Er sieht die Demokratie vor einer Bewährungsprobe, weil vor allem die Rechte eine fundamentale Revision unseres Wertekodex will. „Die Potsdamer Geheimtagung zur Massendeportation von ethnischen Nichtdeutschen war ein Weckruf. Die radikale Rechte ist weiter auf dem Vormarsch, im Verborgenen insbesondere mit den Reichsbürgern, im politischen Raum vor allem mit der AfD“, so Kraushaar.

„Wehrhafte Demokratie“

Um sie zu stoppen, bedürfe es laut Kraushaar der Wiederbelebung eines bereits im Grundgesetz verankerten Konzepts, dem der „Wehrhaften Demokratie“. Dies umzusetzen, kann allerdings nicht allein Aufgabe des Staates und seiner Behörden sein. Erst wenn auch in der Zivilgesellschaft ein Bewusstsein von der angewachsenen Demokratiefeindlichkeit existiert, wächst die Chance, die Gefahrenherde wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Der Referent schloss nach der nüchternen Analyse trotzdem mit einem Lichtblick: „Die hunderttausenden Menschen, die zum Jahresbeginn in Deutschland gegen die AfD auf die Straßen gegangen sind, stellen jedenfalls ein Signal der Hoffnung dar.“ Die stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Nachrichtenmagazins „Profil“, Eva Linsinger, beschäftigte sich in ihrem Referat mit dem Thema „Demokratiekrise, Medienkrise: Das gefährliche Rutschen im Superwahljahr 2024“. Dieses Jahr werde laut Linsinger turbulent, die Demokratie stehe auf dem Prüfstand. „Die Polykrisen verunsichern die Bevölkerung und stärken (Rechts)Populisten und deren vermeintlich einfache Antworten. Die hektische Daueraufgeregtheit, die Populisten verbreiten und Medien mitentfachen, sorgen für ständige Gereiztheit, und damit Politikverdrossenheit. Die Krise der Demokratie und die Krise der Medien bedingen und verstärken einander.“ Was können Rezepte sein, die Säulen der Demokratie wieder zu stärken? Populisten verbreiten einfache Antworten, deshalb ist es umso wichtiger, dass sich Bürger informieren, denn eine Demokratie lebt von informierten Bürgern. Demokratie kann laut Linsinger nur gestärkt werden, wenn die Bürger aktiv werden und sich auch bei Wahlen beteiligen. Ihr Appell: „Mischen wir uns ein!“

„Politisch (un-)gleich?

Die Politologin und Armutsforscherin Elisabeth Kapferer sprach über „Politisch (un-)gleich? Evidenzen und Innenperspektiven zum bedrohten Verhältnis von Armut und Demokratie.“ Vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit geraten zentrale Versprechen der Demokratie in Schieflage, nämlich unabhängig vom sozioökonomischen Status als Bürger gleichwertig zu zählen und damit in gleichwertiger Weise mitgestalten zu können. Dies belegen wissenschaftliche Studien wie auch autosoziobiographische Quellen, also Zeugnisse von Menschen mit eigener Armutserfahrung. Die Referentin stellte die Frage: „Wie werden Entwicklungen zu einer demokratischeren Demokratie (wieder) möglich?“ Die Zustimmung zur Demokratie ist laut Kapferer unabhängig vom sozioökonomischen Status. Aufgabe der Politik und Gesellschaft müsse es sein, der sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken. Die Referentin plädierte in diesem Zusammenhang auch für eine breitere politische Bildung, die schon in der Schule ansetzen muss.

Rechtsextremismus als Gefahr

Der Historiker und Leiter des Instituts für Ideengeschichte in Innsbruck, Helmut Reinalter, sprach über „Rechtsextremismus als Gefahr für die Demokratie“. Die Demokratie sei weltweit auf dem Rückzug und Gefahren ausgesetzt, die mit dem Aufkommen populistischer Bewegungen und autoritär-autokratischer Regime sowie mit dem Rechtsextremismus eng zusammenhängen. Laut Reinalter hat der Rechtsextremismus keine fest umrissene Weltanschauung, wohl aber eine extreme Ausprägung als politische Ideologie. „Er umfasst ultranationalistische, faschistische, neonazistische und rassistische Ideen, orientiert sich an einer stark ethnischen Zugehörigkeit und hat ein antidemokratisches Gesellschaftsverständnis. Politisch versucht er, den demokratischen Nationalstaat zu einer autoritär geführten Volksgemeinschaft umzugestalten. Volk und Nation werden dabei rassistisch, intolerant und fremdenfeindlich beschrieben.“ In Zeiten großer Umbrüche ist laut Reinalter die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus eine wichtige Aufgabe. Was die liberale Demokratie heute benötigt, sind kompetente und engagierte Bürgerinnen und Bürger, die der Logik der Ängste entgegentreten, für die Demokratie werben und ihre Vorteile bzw. Stärken besonders hervorheben. Dabei geht es darum, die Methoden und Schwachstellen des Rechtsextremismus aufzuzeigen und für ein neues Aufklärungsdenken einzutreten.

„Europa braucht wieder eine große Erzählung“

Zum Abschluss der Klausurgespräche war der ehemalige Außenminister von Luxemburg Jean Asselborn zu Gast. Er referierte zum Thema „Die Herausforderungen der EU heute – Europa braucht wieder eine große Erzählung“. In seinem Vortrag spannte er einen Bogen von der europäischen Einigung über die oft schwierigen zwischenstaatlichen Beziehungen der EU-Mitgliedsländer bis hin zum Ukrainekrieg, zum Krieg in Gaza und zu den aktuellen Gefahren durch den Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa. Besonders die Gefahr von rechts sei nicht zu unterschätzen, denn Parteien wie die AfD in Deutschland zerstören die demokratischen Institutionen von innen. Diese Gefahr besteht vor allem bei den bevorstehenden Europawahlen. „Die Rechten wollen die Europäische Union kaputtschlagen, deshalb dürfen sie diese Wahl nicht gewinnen“, so Asselborn.

Redaktion

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