Gruppenbild der Fachtagung (v.l.): Daniela Gruber, Andrea Fleckinger, Esther Ausserhofer, Rosmarie Pamer, Monika Hauser, Christa Ladurner, Michela Morandini, Sissi Prader, Ingrid Kapeller und Barbara Poggio.
Christa Ladurner

Das Unsagbare sagbar gemacht

Die tiefgreifenden und generationsübergreifenden Auswirkungen von sexualisierter Gewalt.

Publiziert in 22 / 2025 - Erschienen am 1. Dezember 2025

Vinschgau/Meran - Nach drei Jahren Forschung zu den transgenerationalen Folgen sexualisierter Gewalt wurde kürzlich die Studie TRACES (Transgenerational Consequences of Sexual Violence) im Rahmen einer Fachtagung veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen die tiefgreifenden, langfristigen und generationsübergreifenden Folgen sexualisierter Gewalt und die Notwendigkeit politischer Verantwortung und Prävention. Das ist insbesondere notwendig, wenn diese nicht anerkannt und aufgearbeitet werden, sondern die Überlebenden stattdessen mit ihren Erfahrungen allein gelassen, stigmatisiert oder zum Schweigen gebracht werden. Das zeigt die feministisch partizipative Aktionsforschung TRACES, ein gemeinsames Forschungsprojekt von medica mondiale mit der Universität Trient, dem Forum Prävention und dem Frauenmuseum Meran. Die Bezirkszeitung der Vinschger hat die Studie TRACES drei Jahre lang begleitet und mit Monika Hauser von medica mondiale sowie Andrea Fleckinger von der Universität Trient Interviews geführt. Das Interview für diese Ausgabe wurde mit Christa Ladurner vom Forum Prävention geführt.

der Vinschger: Frau Ladurner, die Studie TRACES ist abgeschlossen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit?

Christa Ladurner: 31 Frauen drei verschiedener Generationen aus dem Vinschgau haben mit großer Offenheit über ihre Traumata gesprochen, die sie erlebt haben. Dafür gilt ihnen unser großer Dank. Sie sind Vorbilder für andere und für uns, die wir nun ihre Geschichten kennen und daraus lernen wollen. Diese Frauen stehen sinnbildhaft und stellvertretend für das Leben der früheren Frauengenerationen. Wenn Traumatisierungen nicht aufgearbeitet werden, tauchen psychische oder chronische Erkrankungen auf, suizidale Gedanken, Essstörungen usw. In unseren Gesprächen mit den Frauen sind uns erstaunliche Veränderungen zwischen den Generationen aufgefallen: die Kriegsgeneration konnte mit niemandem über sexualisierte Gewalt reden, im Gegenteil, männliche Übergriffe waren ein Kavaliersdelikt. Sünde, Schuld und Unterwerfung waren tief verinnerlicht. Eine Generation später wurde das Geschehene zwar sagbarer gemacht, aber Schuld und Scham saßen noch tief. Die Kirche hat bei diesen beiden Generationen eine ambivalente Rolle gespielt: zum einen übte sie starken Druck aus und zum anderen war sie kraftgebend. Spiritualität und Glaube waren noch stark vorhanden. Die jüngere Generation suchte sich hingegen Hilfe bei den Fachdiensten oder bei Psychologen und konnte auch darüber sprechen.

Wie können Sie im Forum Prävention die Forschungsergebnisse für die Zukunft nutzen?

Die Prävention ist vielschichtig und arbeitet landesweit. In Südtirol gibt es viele Einrichtungen, die sich um Prävention bemühen. Und alle müssen verstärkt an der gesunden Emotionalität von Kindern und Jugendlichen arbeiten. Empathie, Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit und die Kompetenz zur konstruktiven Konfliktlösung sollen gestärkt werden. Es muss uns allen ein Anliegen sein, dass Kinder und Jugendliche in einem Umfeld von gesellschaftlichem Zusammenspiel und Toleranz aufwachsen. In Zukunft müssen zudem die Thematiken rund um sexualisierte Gewalt und Traumatisierung in Aus- und Fortbildungen von Personal, das in Schulen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, bei der Polizei und Justiz arbeitet, verstärkt gelehrt werden. Das Wissen über Trauma gehört zur Prävention, denn es gibt leider immer wieder Übergriffe. Und auch Politik muss weiter sensibilisiert werden. Es darf kein Wegschauen, keine Scheu, das Problem zu benennen, mehr geben!

Wie können Sensibilisierung und Enttabuisierung im gesellschaftlichen Bewusstsein manifestiert werden?

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, der die Opfer schützt und nicht stigmatisiert. Die Schuld liegt immer bei den Tätern und nicht bei den Opfern. Die Täter-Opfer-Umkehr ist ein Ausdruck eines ungleichen Machtverhältnisses in einem patriarchalen System. Wichtig ist es daher, auch mit Buben und jungen Männern an Rollenbildern zu arbeiten und mit ihnen darüber zu reden, wie wir eine Gesellschaft und ein Klima der Toleranz und des Respekts Mädchen und Frauen gegenüber schaffen können. Man soll sich vertrauen können und nicht Angst voreinander haben. 

Ingeborg Rainalter Rechenmacher

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