Elmar Teutsch, Bozen. Psychologe und Psychotherapeut. Leiter des Instituts für Psychologie und Wirtschaft TELOS. Nächster Workshop auf Schloss Goldrain: Fr. 14.05. bis So. 16.05.04 Foto: M. Gasser

Der Mann: Vom Jäger zum Softie?

Publiziert in 7 / 2004 - Erschienen am 8. April 2004
[F] Welche Masken tragen Männer, welche Rollen spielen sie? Eine Seminarreihe mit dem Titel „Von Mann zu Mann“ im Bildungshaus Schloss Goldrain bietet an mehreren Wochenenden Männern die Möglichkeit, sich mit ihrer Rolle und Aufgabe, mit ihren Wünschen und Bedürfnissen in einem geschützten Rahmen auseinanderzusetzen. Neben dem Arzt Wolfgang Bonell ist der Psychologe Elmar Teusch einer der Referenten. Interview: Andrea Hanni und Ludwig Fabi [/F] „Der Vinschger“: Das klassische Männerbild unterliegt schon seit Jahren einem grundlegenden Wandel. Stimmt das auch für Südtirol? ELMAR TEUTSCH: Ja. Es hat zwar ein bisschen gedauert, die Dolomiten – ich meine die Berge – haben uns einige Zeit noch geschützt und wir durften unsere alte patriarchalische Rolle im traditionellen Gefüge Südtirols noch ein wenig laufen lassen. Aber grundsätzlich ist es damit vorbei, auch bei uns. Das zeigen uns nicht nur die starken Frauen in der Politik, sondern es zeigt uns auch immer wieder der ganz normale Alltag, wo Dinge plötzlich nicht mehr "normal" sind. Die Männer erleben das als sehr verunsichernd. Das lässt sich deutlich beobachten – nicht nur in der psychologischen Praxis, sondern genau so in jedermanns Berufs- und Privatleben. Und im Speziellen im Vinschgau? Was soll ich jetzt antworten, ohne Sie und Ihre Leser zu vergrämen? Ich weiß, wie regionalbewusst ihr Vinschger seid und eure Hügelware herausstellt – auch wenn es nicht nur um Äpfel geht. Das ist ok, aber trotzdem kann ich nur feststellen, dass auch Vinschger Männer "nur" Männer sind, wie andere Südtiroler auch, mit vielen Stärken und auch mit Schwächen. Das Wichtige scheint mir dabei der Wille, Fälliges anzugehen und die Bereitschaft zu innerer Veränderung. Beides kann ich auch für Vinschgau voll bestätigen: Immer mehr Frauen und Männer lassen sich nicht von traditionellen oder geografischen Hürden hemmen und nehmen unsere Angebote an. Gerade schaue ich mir einige Teilnehmerlisten an und zitiere: Glurns, Schlanders, Prad, Tscherms, Mals, Graun, Laas, Kortsch, Kastelbell, Schluderns, Burgeis, Goldrain..... reicht das, oder soll ich weiterlesen? Lauter Menschen, die nicht mehr bereit sind, ihr Leben einfach so weiterlaufen zu lassen, sondern sich trauen, die eigene Rolle in Frage zu stellen und die Verunsicherung anzuschauen. Das nenne ich Mut und Stärke! Die Suche nach neuen männlichen Werten und Inhalten verunsichert viele Männer. Was ist falsch gelaufen? Frauenrechtlerinnen machten für das zerstörerische typisch männliche Verhalten oft Erziehung und Gesellschaft verantwortlich. Doch schon im Mutterleib wird der Fötus auf Mann - oder Frau - geeicht. Ist durch die Befruchtung das biologische Geschlecht bestimmt, bilden sich die entsprechenden Hormone. Beim männlichen Fötus beginnt die Testosteronbildung und mit ihr die spätere Neigung zu typisch männlichen Verhaltensweisen. Diese genetische Veranlagung verdanken wir unseren Vorfahren, den Steinzeitmenschen. Was die Evolution uns in die Gene geschrieben hat, bleibt auch unter dem Mantel von Kultur und Zivilisation lebendig. Der Mann ist als Jäger seit Urzeiten darauf programmiert, Probleme zu lösen, Beutetiere zu erlegen und Feinde abzuwehren. Am Ende des Tages will er nicht reden, sondern einfach in die Flammen des Lagerfeuers starren und dann auf dem Felllager ruck, zuck mittels Beischlaf den Bestand seines Stammes sicherstellen. Übersetzt ins heutige Mitteleuropa können wir das in Anlehnung an ein sehr populäres Buch so lesen: Der Mann kommt nach getaner Arbeit nach Hause. Seine Frau will sofort den Tag mit ihm besprechen und genau das will er nicht. Er will wie früher dumpf ins Feuer starren, ersatzweise in den Fernseher. Sinnlos zappt er herum, denn es geht ihm nur um das lagerfeuerähnliche Flackern. Auch auf den geschlechterspezifischen Umgang mit Sprache sind wir seit grauer Vorzeit programmiert erklärt beispielsweise das Forscherehepaar Pease in seinem Bestseller "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken". Wenn der Steinzeitmann mit seiner Horde auf die Jagd ging, beschränkte er sich auf den Austausch essenzieller Infos ("Mammut von links"). Daher redet der Mann, im Urberuf Jäger und Problemlöser, von jeher zielgerichtet und sachbezogen. Beim Sprechen bleibt auch seine Pokermiene nahezu gleich, ob er nun Trauer oder Geilheit empfindet. Auch das ein Erbe der Evolution. Der Krieger brauchte Kontrolle über sein Mienenspiel, auf dass niemand seine verwegenen Pläne durchschaute. Über Gefühle zu reden war nicht notwendig, ja sogar hinderlich. Und auch heute schottet Mann sich gänzlich ab, ist er im Stress. Er macht das so, seit er einsam auf Felskuppen saß und nach Nahrung Ausschau hielt. Das Problem ist bloß, dass wir nicht mehr in der Steinzeit leben, sondern im 21. Jahrhundert und heute sind völlig andere Verhaltensweisen gefragt. Das gilt für Frauen und das gilt erst recht für uns Männer! Der traditionelle Mann sucht also nur selten seine Innenwelt auf. Seinem Gefühlsleben weicht er aus. Welche Probleme erwachsen den Männern aus einem solchen Verhalten? Sehr viel mehr Männer als der Laie glauben würde, leiden unter Depressionen und betäuben sich mit Arbeit oder Alkohol, werden aggressiv. Erst nach dem Zusammenbruch nehmen sie Hilfe an. Schwarze Wolken, die das Gemüt verdüstern, tiefe Trauer, in der die Seele versinkt, lähmende Angst, die jeden Lebensmut raubt. Sensible und Robuste, Alte und Junge, schlichte Gemüter und brillante Geister. Und immer mehr die, bei denen man es am wenigsten vermutet: Männer. Erfolgreiche Manager, umtriebige Freiberufler, strahlende Sportskanonen. Hinter makelloser Fassade lauern oft schwerste Seelenkrisen. Da sie aber selten über Niedergeschlagenheit, sondern eher über Schlafstörungen, innere Unruhe, Abgeschlagenheit oder Magenschmerzen klagen, wird das Problem oft gar nicht erst erkannt. Wie gehen Männer damit um, über ihre Niederlagen, Schwächen und Leiden zu sprechen, sich selbst zu hinterfragen und sich selbst neu zu definieren? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht? Für viele bleibt als Allzweckwaffe gegen den Druck von innen die Flucht in die Sucht. Da ziehen sich Manager in der Konferenzpause auf dem Klo eine Nase Koks rein; da versetzen Spieler im Casino ihr Vermögen; da joggen Hobbysportler bis zum Umfallen oder baggern Sex-Besessene eine Frau nach der anderen an. Selbst hinter zwanghaftem Sammeltrieb oder chronischem Fernsehen kann sich das Übel verbergen. Iver Hand, Hamburger Professor für Psychiatrie, den ich beim letzten Weltkongress für Psychotherapie in Wien kennen und schätzen lernen durfte, hat es so formuliert: "Wenn jemand auf die Frage: Was können Sie noch wirklich genießen? keine Antwort weiß, zeigt das, dass etwas nicht stimmt." Die gängigste Droge zur Depressions-Verdrängung, die gesellschaftlich auch noch hoch angesehen ist, heißt Arbeitswut. Schuften von früh bis nachts und, wenn's geht, auch am Wochenende. Bis zum Burn-Out, dem Ausgebrannt-Sein, wo gar nichts mehr geht. Anonym befragt, geben 70 bis 80 Prozent der Männer in westlichen Industriegesellschaften an, für sie sei der Beruf das Wichtigste im Leben. Für denselben Prozentsatz der Frauen ist es die Familie. Wie schon eingangs erwähnt, ändert sich allmählich das Bild: In Zusammenarbeit mit verschiedenen Zeitungen und Sendeanstalten bieten wir immer wieder Psycho-Hot-Lines an, in denen die Leser und Hörer anrufen und sich kos-tenlos über die jeweiligen Themen Rat holen können. Zunehmend nehmen diesen Service auch Männer an, die auf diese Weise anonym und vielleicht zum ersten Mal über ihre Schwächen reden können. Das ist für mich der erste Schritt zur Besserung. In den Workshops auf Schloss Goldrain arbeiten Sie mit Themenkreisen, u.a. greifen Sie die Themen Männer & Süchte, Männer & Veränderung und Männer & Lebenssinn auf. Sagen Sie uns etwas mehr zu den Inhalten? Sie haben mir ja bereits in den vorangehenden Fragen Gelegenheit gegeben, die Hauptauswege aus der männlichen Sprachlosigkeit zu erwähnen, nämlich die Süchte. Unter dem Überbegriff "Männer auf der Suche" werden wir in der Gruppe nach alternativem Verhalten suchen, das uns helfen soll, auf derartige Ersatzhandlungen wieder mehr zu verzichten. Dazu brauchen wir die grundsätzliche Bereitschaft zu Veränderung. Das klingt bei anderen selbstverständlich, bei einem selbst ist es oft schwerer nachzuvollziehen. Dazu ein Beispiel: Die Männer der Meriam, einem vor der Nordostküste Australiens lebendem Inselvolk, jagen und fischen, um zu protzen. Nahrung bringen die riskanten Jagden dagegen eher wenig. Speerfischen und Schildkrötenjagd sind wenig effektive Wege an Nahrung zu kommen. Das Sammeln von Schalentieren – bei den Meriam Frauensache – bringt viel bessere Erträge. Dennoch widmen sich die meisten Männer beinahe ausschließlich dem Fischen mit dem Speer. Die Forscher glauben, dass die Männer damit potenziellen Partnerinnen und Konkurrenten ihre Kühnheit demonstrieren wollen. So schleppen Speerfischer ihre Beute nicht wie die Sammlerinnen von Schalentieren in Eimern nach Hause, sondern tragen die Fische für alle gut sichtbar in ihren Händen. So berichten die älteren Meriam, dass man noch vor 20 oder 30 Jahren ein guter Jäger hätte sein müssen, um überhaupt verheiratet zu werden. Ein mitteleuropäischer Mann kann vielleicht darüber lachen, doch wie schaut es denn mit eigenen Gewohnheiten aus? Sind die auch so leicht zu durchschauen und über Bord zu werfen? Und so arbeiten wir gemeinsam mit dem Meraner Ganzheitsmediziner Dr. Bonell seit vielen Jahren mit Männergruppen, um genau solchen Fragen nachzuspüren. Der Weg ist für viele oft anstrengend, aber immer lohnend: Denn Männer können viel mehr als nur Arbeit, Politik oder Sport. Dies zu entdecken, nenne ich neuen Lebenssinn entdecken! Was wird denn die zukünftige Rolle der Männer in der Gesellschaft bestimmen? Wenn ich das wüsste, bräuchte ich keine Seminare anzubieten, sondern einfach eine "Gebrauchsanweisung" zu veröffentlichen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Männer, die kommen, sind auf der Suche. Und die Frauen ebenfalls. Die Suche geht dabei nicht nach außen, nach neuen Regeln oder Vorschriften, die es zu erfüllen gilt, sondern nach innen. Wir spüren den persönlichen Fragen nach, die jeder Einzelne hat, und die aus seiner Persönlichkeitsstruktur kommen, aus dem Kontext seiner Beziehungen zu Partner, Familie und Mitmenschen, kurz: aus seinen Lebensumständen. Und daher geht es nicht um "Universallösungen", die es nicht gibt, und die folglich unerreichbar bleiben, sondern vielmehr um individuelle Wege, die jeder Einzelne für sich selbst finden muss: passend zu den eigenen Wünschen, Sehnsüchten und Zielen und gleichzeitig in Wechselwirkung mit seinem Umfeld. Das "neue Mannsbild" ist also kein gerahmtes Ölbild, das hinter Glas im Zeit-Museum hängt, sondern eine Leinwand, die wir gerade gestalten. Das ist doch eine gute Nachricht!

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