Er ist da und doch nicht da
Publiziert in 39 / 2010 - Erschienen am 4. November 2010
Im Vergleich zum Wetter hat er einen schweren Stand. Täglich klagt oder freut sich fast jeder, wie kalt oder warm es heute wieder ist. Je nach Witterung eben. Das Wetter ist zu jeder Tages- und Nachtzeit ein willkommener Bruder, der immer für ein paar Worte gut ist. Vom „Bruder“ Tod aber, wie ihn der Hl. Franz von Assisi in seinem Sonnengesang nennt, wird in der Regel nur dann gesprochen, wenn er sich nähert, wenn er kommt, wenn wir unmittelbar in unserem Familien- oder Freundeskreis mit ihm konfrontiert werden oder wenn wir zu Allerheiligen - wie jedes Jahr - die Gräber und Friedhöfe besuchen.
Ansonsten wird der Tod nach Möglichkeit tot geschwiegen, verdrängt, aus dem Leben verbannt. Er passt einfach nicht zum Leben, zur Freude, zur Gesundheit. Oder doch?
Dass der Tod früher oder später jeden von uns einholt, ist sicher. „Von diesen eine ist die deine“ steht auf dem Ziffernblatt einer Kirchturmuhr in Ulten geschrieben. Ausschalten lässt sich der „Bruder“ nicht, wegschweigen schon. Das kann aber auch wehtun, vor allem jenen, die den Tod erwarten, für die er zum bestimmenden Thema im Leben geworden ist und die dennoch nicht darüber reden, weil sie sehen und fühlen, dass keiner davon sprechen will.
Dabei ist der Tod Teil des Lebens. Wer lebt, darf auch krank und schwach werden. Er muss reden dürfen, reden über Ängste und Hoffnungen. Er darf nicht alleine bleiben, nicht ungehört, wenn er vom Sterben spricht. Mit Sätzen wie „So etwas darfst du gar nicht denken“ ist den Betroffenen am allerwenigsten geholfen. Sie tragen nur dazu dabei, die Tabu-Themen Sterben und Tod weiter zu festigen. Themen also, von denen man besser nicht spricht. Themen, die so gar nicht mit unserer schnellen Leistungs-, Erfolgs- und Gesundheitsgesellschaft in Einklang zu bringen sind.
Vielleicht greift die gar nicht mehr so moderne Volkskrankheit Depression gerade deshalb immer weiter um sich, weil es für einen Teil des Lebens, den Bruder Tod, im Leben kaum noch Platz gibt.
Sepp Laner (redaktion@dervinschger.it)
Josef Laner