Anwälte, Schulen und der Stich der Tarantel
Publiziert in 16 / 2014 - Erschienen am 30. April 2014
Die Rechtsanwaltssozietät Brandstätter richtet eine Art Rundschreiben an den Landesrat Philipp Achammer, an den Schulamtsleiter und an die Direktoren der Berufsschulen Südtirols. Um was geht’s? Um gute Strafverteidiger
und gute Schulen.
Mals - Die renommierte Rechtsanwaltssozietät Brandstätter fordert alle Berufsschuldirektoren per Brief (15. Jänner 2014) auf, „Vorkehrungen zu treffen, auf dass sich solche Vorfälle nicht mehr wiederholen.“ Was ist vorgefallen? Armin Mutschlechner, tituliert im Brief als „selbsternannter ‚Rechtsextremismusexperte‘“, soll bei einem Vortrag, nach Aussage einer Schülerin des „Germanistischen Gymnasium in Bruneck“, Schüler auf die „rechtsradikale Gesinnung“ der Band Frei.Wild hingewiesen und gegen sie schon öfters „massiv“ polemisiert haben. Da staunt der interessierte Leser das erste Mal, ein Gymnasium mit dieser Bezeichnung gibt es in Bruneck nicht. War das so ein heiliger Moment, in dem sich die Anwälte gesagt haben „Scheiß drauf“ - auf digitale Suchmaschinen, die da schnell hätten weiterhelfen können?
Damit wären wir bei der Sprache und den Inhalten der Musikgruppe Frei.Wild. Bekannt sein dürfte, dass Frei.Wild keine Wanderlieder vor sich her trällert. Im Titel „Wahre Werte“ ist etwa zu lesen: „Da, wo wir leben, da wo wir stehen, ist unser Erbe, liegt unser Segen, Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache, für uns Minderheiten eine Herzenssache. (…) Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen, wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen. (…)“. Im „Land der Vollidioten“ beklagt Frei.Wild: „Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt, vor den andersgläubigen Kindern“.
Propagiert Frei.Wild rechtsradikales Gedankengut? Die angesehene Anwaltssozietät stuft die Inhalte der Liedtexte als gänzlich unbedenklich ein, gestützt auf einen Artikel aus der Neuen Presse (09.03.2013), einer Lokalzeitung aus Hannover (http://www.neuepresse.de/Menschen/Boulevard/Frei.Wild-ist-keine-politische-Band). Der Verfasser des Artikels wird nicht genannt. Da reibt sich der Leser spätestens jetzt die Augen. Von einer angesehenen Sozietät kann jeder erwarten, dass sie aus einem Gutachten eines anerkannten Experten zu „Blut- und Boden“-Liedtexten zitiert hätte, um einen Anscheinsbeleg dafür zu liefern, dass Frei.Wild keine völkisch-nationalistischen Botschaften über ihre Titel verbreite. Die Oberschulen vermitteln den Schülern Quellenkritik – zumindest in Ansätzen, also die Kompetenz zu unterscheiden, welchen Wert etwa ein geposteter Eintrag in einer Facebook-Chronik hat, wie man die Qualität eines Wikipedia-Artikels bewerten kann oder wie verlässlich die Informationen eines Artikels eines Wissenschaftsjournals sind. Was sind die Mindestanforderungen im Falle von rechtlich relevanten Informationen? Sie müssen „über den Daumen“ gerichtsfest sein. Nun, ob die Anwälte Armin Mutschlechner belangen wollen oder nicht, interessiert hier nicht. Was den Brief zum Skandal erhebt, ist, dass die Sozietät alle Berufsschuldirektoren Südtirols in Kollektivhaft nimmt. Beim besagten Brief handelt es sich um keine Abmahnung an eine bestimmte Person. Unbeteiligte Dritte, alle Berufsschuldirektoren, werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, dass Rechtsverstöße, die Herr Mutschlechner begangen haben soll, in Zukunft nicht nur nicht passieren dürfen, sondern auch nicht mehr passieren können. Ob da noch zweites Schreiben nachgedrückt wird, in dem am Ende des Schuljahres von den Schulleitern ein Bericht über die getroffenen „Vorkehrungen“ eingefordert wird? Welche Tarantel die Sozietät Brandstätter da gestochen hat, so einen Brief zu „posten“, ist schleierhaft. Schüler wollen im Unterricht mitunter wissen, ob Lehrer für den Ernstfall gute Strafverteidiger kennen. Lehrer werden keine Namen nennen, aber sagen können, welche Eigenschaften einen guten Strafverteidiger im Kern auszeichnen. Er ist eine Person mit juristischem Scharfsinn, der mit Leidenschaft im Strafprozess im Interesse seines Mandanten am entlastenden Sachdetail arbeitet und die Ungereimtheiten einer allzu glatten Beweisführung des Staatsanwaltes aufdeckt. Zum Job des Verteidigers gehört, Rechtsradikale, Kriegsverbrecher, Wirtschaftskriminelle oder Giftmörderinnen zu verteidigen. Sie alle haben Anspruch auf Schutz durch den Rechtsstaat. Wer moraline Verteidiger fordert, hat die Substanz des Rechtsstaates nicht verstanden.
Neugierige und interessierte Schüler stellen also Fragen. Was zeichnet aber die gute Schule aus, also den Ort, wo es offenbar gilt, prophylaktisch Unrecht einzudämmen? Das ist eine Schule, die Schüler befähigt, selbstbestimmt, überlegt und verantwortungsvoll zu handeln, kritisch zu sein und kompetent am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben zu partizipieren. Konsens in öffentlichen Schulen ist, dass Lehrer Schülern ihre persönliche Meinung nicht aufzwingen dürfen. Schüler sollen befähigt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Vornehmstes Ziel der Schule sind mündige Schüler. Neben dem Überwältigungsverbot gilt auch das Gebot der Gegensätzlichkeit. Die Lehrkräfte sind verpflichtet, gesellschaftliche oder politische Themen kontrovers darzustellen. Was in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft diskutiert wird, muss auch im Unterricht kontrovers behandelt werden. Die Lehrfreiheit steht auf festem juristischem Fundament, sie ist ein Grundrecht.
So gesehen kann der gute Strafverteidiger ein Vorbild für Schüler sein. Sie können von ihm lernen, wie man mit akribischer Ermittlungsarbeit eine Anklage als gegenstandslos vorführen kann. Gelingt Schule in diesem Sinne, haben wir später mündige Bürger, die um das kostbare Gut der Freiheit wissen, gesellschaftlichen Pluralismus schätzen und die Mutigen darunter stehen für die freie und rechtsstaatliche Demokratie ein. Mit einem Satz: eine gute Schule ist immer auch eine Schule der Demokratie.
Was bleibt? Die Schule ist kein geschlossenes „Teilsystem der Gesellschaft“, das mit der Welt da draußen nichts zu tun hat. Dieser „Präventivschlag“ aus dem Hause Brandstätter dürfte für erfrischende und ernüchternde Textanalysen in den Fächern Deutsch und Recht an den Oberschulen Südtirols sorgen.
Heinrich Zwischenbrugger
Lehrer, OSZ Mals