Christian Stecher: „Im Atelier bin ich auf mich gestellt“

Der sesshafte Nomade

Publiziert in 36 / 2009 - Erschienen am 14. Oktober 2009
St. Valentin auf der Haide – Farben in Hülle und Fülle. Nicht nur auf dem Papier, Leinwand für Christian Stechers Gemälde und Zeichnungen, sondern auch im Garten des Malers, worin die verschiedensten Gemüse ihren Platz finden. Mexikanische Chilis allerdings wachsen hier keine. Chilis hier anzubauen, ist wegen der Höhenlage schwierig, aber nicht der eigentliche Grund, warum Christian Stecher sie dort nicht züchtet. Eigenwillig puristisch mutet es an, dass der Maler die 25 verschiedenen, am häufigsten benutzten Chili-Sorten – jede passend für ein spezifisches Gericht - in ihrer Heimat lassen will. Das verwundet, weil nicht nur sein Haus eher eklektische Züge aufweist, Stecher gerne kocht und dieser vielseitigen Cuisine viel Freude abgewinnt. Und weil seine Bilder von eher plastischer Sinnenfreude und praller Lebendigkeit geprägt sind. Die fehlenden Chilis als heimlicher Hinweis auf eher unvereinbare Gegensätze sind weit hergeholt, zugegeben. Doch was ist mit dem Nomaden, der seit zehn Jahren in Mexiko beheimatet ist, träumend von weiteren Wohnorten spricht, sei das Palermo, sei es Neapel und von sich sagt: „Ich könnte auch in Oslo heimisch werden.“ Eine Leidenschaft für das Gestalten seiner Wohnräume, für das Restaurieren von Häusern hat er bei all dem Nomadentum ebenfalls. Das Wohnhaus seiner Eltern hat er restauriert, das Atelier ebenfalls erbaut. Nun will er von Mexico-City in das wesentlich kleinere Merida wechseln, das Haus mit den herrlich kühlen fünf Meter hohen Räumen baut er momentan um. In der Malerei sind diese Gegensätze weniger präsent: Da wimmelt es von schnellen Strichen, ob gegenständliche Sujets oder nicht, von vollem Rot, Grau und einer eindeutigen Vorliebe für viel farbige Tempera auf Papier: „Je einfacher die Mittel, desto freier werde ich,“ sagt Stecher. Den Vinschger Sohn einer acht-köpfigen Haider Bauernfamilien zog es 22-jährig auf die ­„Accademia Delle Belle Arti“ nach Florenz, im Anschluss daran erhielt er 1986 ein Stipendium der „Scuola per la grafica Il Bisonte“. Die Gegensätze ­zwischen Mexiko und dem Obervinschgau pariert er mit: „Ich nutze beide Orte ohne Skrupel.“ Dabei macht er sich Gedanken über Peripherie und fotografiert seit zwei Jahren seinen Hausberg, den Ortler. „Mit diesem Berg vor der Nase, mehr Peripherie als das gibt es nicht. Aber wo hört die Peripherie auf?“ Und wurde die Afrikanische Kunst nicht ebenso als peripher erachtet, bevor sie Picasso und Konsorten sammelten? Seitdem hat sie nicht nur die europäische Malerei beeinflusst, sondern erlangte im europäischen Kunstmarkt einen nicht wegzudenkenden Status. Wo ist er also, der Sprung von der Peripherie zur kanonisierten Exotik? „Unsere Generation von Malern hat ein bestimmtes Klischee von Entwicklung mitbekommen. Fort in eine Stadt, eine Akademie aufsuchen, dann in Galerien oder Museen ausstellen.“ In der Kunstgeschichte aber, argumentiert er, habe es schon immer alle Varianten gegeben. Weiter kann man fragen, ist die „Kritik der reinen Vernunft“ von Emanuel Kant weniger wert, weil der Philosoph sein heimatliches Königsberg kaum verließ? Also müsse der Künstler eine neue Definition für sich finden. „Die mitteleuropäische Gesellschaft hat beide Extreme des Künstlers: Entweder ist ­dieser ein ganz Großer oder er ist eben nicht kontrollierbar, wie es Kippenberger beispielsweise war.“ Es gehe ihm um ein Überdenken der bisherigen Rolle des Künstlers, auch, weil das Angebot die Nachfrage zu übersteigen scheint. Am Beispiel des Projektes „El faro de oriente“ in Ixtapalapa in Mexico City wird der Kulturschaffende Künstler im weiteren Sinne Kulturarbeiter und steht somit im Gegensatz zum Künstler, der in und für einen Elfenbeinturm schafft. Für seinen Ort des Schaffens im Vinschgau gibt es klare Antworten. Wenn Atelierbevsucher fragen: Was tust du eigentlich? und damit auch die Lebens­weise, das Arbeiten und Malen an sich meinen, das Beschäftigen mit der ausschließlich selbst gewählten Arbeit meinen, dann heißt es: „Im Atelier bin ich mir selbst überlassen und auf mich reduziert, es ist ein Ort, an dem ich unabhängig bin und ­machen kann, was ich will.“ Christian Stecher arbeitet ­momentan an einem Buch zu „Sibirien“ von Felix Mitterer. Bücher produzieren reizt ihn: eines seiner vielen zeichnerischen Tagebücher hat er herausgegeben. Die Virgen de Guadalupe, religiöse Kultfigur des Mexikanischen Volkes, hat es dem 50-Jährigen angetan – in dem Katalog „La Guadalupana“ kommt er mit Zeichnungen, Fotografien und Mini-Installationen der Verehrung jener Jungfrau von Guadelupe näher, deren innerstädtischer Wallfahrtsort übrigens mit seinen 20 Millionen Besuchern zum größten der Welt gehört. Scheinbar will der Mensch ­Stecher Definitionen auflösen, auch mehrere nebeneinander jonglieren. Wie diese Entwicklung weitergehen wird, ist eine Frage der Zeit und der ständigen Veränderung – schließlich ist er nicht frei von einer ­Suche nach Eckpunkten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Christian Stecher so aussieht, als könne er in Condesa oder Insurgentes geboren sein. Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein

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