Walter Tschenett: „Man geht mit dem Baum durch die Jahreszeit.“

Fünffingerstrauch (Potentilla), frei aufrechte Form

Publiziert in 18 / 2009 - Erschienen am 13. Mai 2009
Prad – Im Garten von Walter Tschenett wird es in Zukunft nicht langweilig: Einen kleinen japanischen Garten will er sich anlegen. Ein Wunsch, der nahe liegt, denn Walter Tschenett hat nicht nur 2001 den Yamadori Bonsai Club Vinschgau ins Leben gerufen, sondern ist seit über 20 Jahren Bonsaianer. Eine Leidenschaft, die weiter wächst – in jedem Sinne des Wortes. Wen er durch seinen Garten führt, der bekommt sie zu sehen: Bäume, die wie Bäumchen aussehen und dabei ehrwürdige Bonsai sind. Hinter der in China entstandenen, in Japan weiterentwickelten Kultur des Bonsai steht eine Philosophie, die Lebensanschauung, Ästhetik und Kunst miteinander verbindet. Für Bonsaianer hat das Formen der Triebe und Äste nichts mit Zwang zu tun: „Es ärgert mich wahnsinnig,“ so der kunstsinnige Leiter einer Bankfiliale in Sulden, „wenn es heißt, wir würden die Bäume vergewaltigen. Die Bäume haben es hier besser als in der Natur.“ Wenn man bedenkt, wie der Bonsaianer Otmar Auer vom Bonsai Club Brixen, Meister seines Faches, im Sommer von morgens um 5 Uhr bis abends um 22 Uhr mit dem Bewässern seiner Schätze beschäftigt ist, wenn man bedenkt, dass Walter Tschenett aus dem Urlaub jeden zweiten Tag anruft, um zu sehen, wie die Betreuer mit seinen Lieblingen umgehen, dann hat er damit Recht. Für Walter Tschenett sind die Bäume „Kunstwerke, die nie fertig werden“ und das „ist Entspannung pur.“ Eher intuitiv schien der Weg des 58-Jährigen zum Bon-Sai, der „Bepflanzung in der Schale.“ In Bozen wollte er vor über 20 Jahren einen Baum kaufen, fand einen, der ihm gefiel. „Das ist aber ein Bonsai,“ so die Verkäuferin. Walter Tschenett wusste das nicht, woraufhin die Verkäuferin ihm den Baum nicht verkaufen wollte. Und ob er denn wisse, was so ein Bonsai koste? Aber da war er schon entschlossen, kaufte die einzige Taschenbuchausgabe, die er über Bonsai finden konnte, reiste zum Bonsai Zentrum in Heidelberg, erarbeitete sich sein Wissen selbst, mit steigender Faszination. Bis er schließlich Gleichgesinnte suchte und fand: Bei den heutigen, monatlichen Bonsai-Treffen im Prader Pfarrsaal sind die Liebhaber der kleinen Bäume des Yamadori Bonsai Club Vinschgau mittlerweile zu neunt. Die auch in diesem Jahr stattfindende Sommerausstellung im Hotel Post ist schon die sechste Auflage. Apropos Yamadori: Das ist das japanische Wort für Findlinge, wobei schnell klar wird, was Bonsai eben auch ist, wenn alles Philosophische beiseite gestellt wird: Ein Kunstwerk, das aus jedem Baum entstehen kann, selbst aus heimischen Findlingen. Walter Tschenett liebt seine einheimischen Bonsai: So pflegt er Lärche, Wacholder, Zierapfel, Steinweichsel, Ahorn, Potentilla und Linde. Neben den Findlingen aus Wäldern und Auen geben allerdings auch Gärtnereien gutes Material für den künftigen Bonsai. Spaziergänge durch die Natur sind nicht nur Rekrutierungsläufe für zukünftige Lebens­aufgaben in Pflanzenform: „Wenn ich durch den Wald gehe, habe ich immer eine kleine Nylon­tasche dabei, für Moos oder andere Bepflanzungen.“ Welch gestochen scharfes Auge Tschenett für die Natur hat, beweist nicht nur der Inhalt seiner Nylontasche. Eine andere Leidenschaft treibt ihn schon seit drei Jahrzehnten an Flussböschungen und Sümpfe, lässt ihn auf Knien durch den Waldboden rutschen und stundenlang vor einem von Schmetterlingen besuchten Hain ausharren: Die Fotografie. Die erste Canon kostete ihn damals vier Monatsgehälter, die Begeisterung ist sichtbar: So manchen Profi ließe er erblassen. Auf den Bildern gibt es Wespen mit ausgestreckten Beinen im Landeanflug und Schmetterlinge, die aussehen, als seien sie aus einem Science-Fiction mit Ästhetikanspruch. Käfer, Blätter, Beeren und Tau verwandelt er in seinen Bildern nicht nur in eine technisch perfekte Fotografie. Mit seinen Bildern wird klar, welch Universum sich unter des Wanderers Füßen verbirgt, welch Reichtum sich im Makrobereich des Lebens tummelt. Neben diesem Können hat der Autodidakt gelernt, wie mit Tiffanyglas gestaltet werden kann und lange Zeit mit Öl gemalt. Eines ist sicher: Beim nächsten Aufenthalt in der Bank ist es vorbei damit, sich nur mit den Finanzen zu beschäftigen. „Was macht mein Filialleiter in seiner Freizeit?“, wäre da logischer. In der Hoffnung, dass er nicht im Keller sitzt und mein Geld zählt. Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein

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