Johannes Graf Trapp und Architekt Jürgen Wallnöfer (1. und 2. von links) vor dem Kulturhaus von Schluderns.

Der Umgang mit Haus, Hof und Landschaft

Publiziert in 38 / 2011 - Erschienen am 26. Oktober 2011
Schluderns – Die 26. Churburger Wirtschaftsgespräche waren dem Bauen im Alpenraum gewidmet. Sie fanden erstmals nicht in der Churburg statt. Der erste Bürger von Schluderns, Erwin Wegmann, drohte scherzhaft, sie nunmehr „Schludernser Wirtschaftsgespräche“ zu ­nennen. Von einem Generationswechsel war weit und breit nichts zu bemerken, als Johannes Graf Trapp pummelwitzig wie immer sein liebstes Hobby im Vinschgau, die „Churburger Wirtschaftsgespräche“, mit organisatorischen Hinweisen einleitete. Die Tagesordnung versprach die ­Begrüßung durch Nachfolger und Sohn Graf Gaudenz, aber kaum jemand hätte sich den kommunikativen Grafen als passiven Zuschauer vorstellen können. Höchstens im Stillen bedauerten Gäste und Sponsoren die Absagen des Stararchitekten Matteo Thun und der gräflichen Nichte Marie-Therese ­Harnoncourt. Der Rest des Eröffnungstages war der Praxis gewidmet. Der Glurnser Architekt Jürgen Wallnöfer erklärte den „Genius Loci“ des Tagungsortes. Das Kulturhaus oder für die ­Schludernser das Vereinshaus als Fortschreibung einer dörflichen Realität wurde erklärt, begangen und gedeutet. Wallnöfer hatte zum Bau mit Innenhof, Foyer, Versammlungssaal und Bühne ein Schulhaus aus dem Jahre 1910 einbeziehen müssen. Als Besonderheit stellte der Architekt das Foyer als gesellschaftliches Herzstück vor mit eingebauten „anderen Realtitäten“: Wehrsteine der alten Vinschger Straße, der ehemaligen „Strada nazionale Passo Resia“, und ein Stück Terrazzo aus einem alten Bozner Gasthaus. Die zweite Station der gut 40 Reisenden in Sachen „Architektur in den Alpen gestern und heute“ war die Burg der Churer Fürstbischöfe in Burgeis und die in den Hang gebaute Landwirtschaftsschule von Architekt Werner Tscholl. Tscholl wurde von Reiseleiter Architekt Andreas Flora vorgestellt und führte persönlich. Seine klar umrissenen und provokativen Definitionen wirkten erholsam. Vor den Fresken des 16. Jahrhunderts in der Burg ebenso, wie in der genial einfachen oder einfach genialen Lösung einer „unterirdischen“ Landwirtschaftsschule für 60 Schüler, auf deren Dach Schafe weideten. „Die ­Herausforderung für den Architekten bestand darin, neben ­einer Burg etwas zu bauen, aber nichts zu hinterlassen“, erzählte Architekt Tscholl. Nach einem Lunch im Frei­sassen-Anwesen derer von ­Salvini-Plawenn folgten die Fahrt nach Hochfinstermünz und der Gang „auf dem Bierweg“ zur Straßen-Grenz- und Zoll-Festung Finstermünz. Der Bierweg war entstanden, als in der Zoll-Festung eine Brauerei betrieben worden war. Für die Teilnehmer der Churburger Wirtschaftsgespräche war es ein Erlebnis der besonderen Art, wie Begeisterung und Ausdauer eines einzelnen zu Rettung und Wiederbelebung eines völlig herunter gekommenen Architekturjuwels führten. Hermann Klapeer, Alt-Bürgermeister in Nauders, hatte zuerst sein Netz geknüpft, den Verein Altfinstermünz gegründet und mit Architekt Armin Walch und dessen Erfahrungen als Restaurator der Festung Ehrenberg das Wunder in der Innschlucht geschaffen. Das Herzstück der Gespräche zum Thema „Bauen in den Alpen“ bildeten vier Referate am Tag danach. Er wurde eingeleitet mit einem Konzert der Musikkapelle Schluderns unter Kapellmeister Ägidius Wellenzohn, mit anerkennenden Worten von Senator Manfred Pinzger, mit Hinweisen auf den Umgang mit alter Bausubstanz durch Bürgermeister Erwin Wegmann und einer Prämierung. Johannes Graf Trapp schenkte Zeichnungen von Paul Flora an die Architekten Armin Walch und Jürgen Wallnöfer und ehrte als „Urgestein“ der Gespräche Hans Freiherr von Schöne. Schon das erste Projekt „Vom Alpengasthof Obernbergersee zum Natur Refugia Obernbergersee“ bewirkte das, was sich Organisatoren und Teilnehmer am meisten wünschten, Diskussion und kontroverse Stellungnahmen. Die Familie Gerhard und Brigitte Stocker musste erben und zusammen mit dem Planer Franz Krissmer wollte sie daraus etwas Ungewöhnliches schaffen. Die am unberührten Bergsee vergrabenen „Refugia“ der Tankbau-Firma Kammerer im Pustertal und die ungewöhnliche Finanzierungsform der Besitzerfamilie überlappten die restlichen Vorträge. Der Alemanne Christoph Hölz, Archiv für Baukunst an der Universität Innsbruck, referierte mit optischen Gegenüberstellungen über „Verlust und Erhalt der Kulturlandschaft in den Alpen“. Der aus Mals stammende Architekt und Assistenz-Professor an der Universität Innsbruck, ­Andreas Flora, erklärte einfallsreich die Er­reichbarkeit des Standortes Obervinschgau und vermittelte seine subjektiven Zugänge zur Architektur. Mit den aktuellen Schlagworten Kapital und Kapitalismus und den Deutungen von Widerstand durch Randlage, durch Tradition und traditionelle Landschaft brach er eine Lanze für den noch nicht vom Obstbau überwucherten Obervinschgau. Die Reihe der Referate beschlossen Andres C. ­Pizzinini („Ideengeschichte der Architektur in Tirol“) und der Lungauer Diplomingenieur Arno von Watteck mit „Baukunst im Alpenraum – gestern und heute“. 26. Churburger Wirtschaftsgespräche – ein Statement Architektur in den Alpen - gestern und heute Das Thema ist kein Zufall: Über die Architektur in den Alpen wird seit einigen Jahren heiß debattiert. Es wird schließlich viel gebaut. Abgesehen von der Quantität stellt sich die Frage, wie gebaut wird. Wir leben in einem Land mit einer starken bäuerlichen Bautradition, einer inzwischen weltberühmten Landschaft und einer sehr begrenzten Siedlungsfläche. Die Fragestellung der Tagung lautete: Wie gehen wir in der Architektur damit um? Die Referenten H. Krissmer und G. Stocker stellten ihr Projekt am idyllischen Oberbergersee vor, wo eine raumschiffartige Streusiedlung als Hotel entstehen soll. Der Plan fand nicht wenig Zustimmung im Publikum. Man vergesse nicht, dass vor allem Leute aus der Wirtschaft die Reihen im Schludernser Kulturhaus besetzten; und Bauen ist ein Geschäft. Die architektonischen Überlegungen der übrigen Referenten zeugen von einer sensibleren Annährung an unser Umfeld. So zeigt Christoph Hölz von der Uni-Innsbruck, wie man alte Bausubstanz auf originelle Weise für heutige Zwecke nutzbar machen kann, anstatt sie kurzerhand abzureißen. Der gebürtige Vinschger Architekt Andreas Flora spricht vom „Bauen im oberen Vinschgau“ und kommt dabei auch auf seine Kindheitserinnerungen zu sprechen – auch das prägt unsere Architektur! Das Fazit der Tagung: Wir sind von einem wertvollen Natur- und Kulturgut umgeben, das das Bauen in der Vergangenheit geprägt hat und das es zu wahren gilt. Der Schwachpunkt der Tagung: Es fehlten jene Architekten, die dies seit Jahrzehnten ignorieren – im Auftrag sowohl privater Bauherren als auch der ­Öffentlichkeit. Andres C. Pizzinini, Innsbruck
Günther Schöpf

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