Süßkirsche als „roter Tropfen“ im Apfel-Meer
Publiziert in 27 / 2007 - Erschienen am 18. Juli 2007
Glurns – Er glaubt an die Vielfalt, an die Abwechslung und an ein möglichst buntes Sortiment an Erzeugnissen. Dieses „landwirtschaftliche Credo“ hat Lukas Rizzi nicht erfunden, sondern von der Natur abgeschaut: „Wir finden in der freien Natur nicht nur Apfelbäume, sondern viele Früchte, die gleichzeitig auf engstem Raum gedeihen.“ Es sind diese Überlegungen der Vielfalt und Vielseitigkeit, die den Leiter des Betriebs „Landwirtschaft Rizzi“ dazu bewogen haben, auf einem Teil der betriebseigenen Flächen in Glurns Süßkirschen anzupflanzen. Über 20.000 Kilogramm hochwertiger Tafelkirschen wurden in Glurns kürzlich geerntet.
Erste Versuche mit dem Anbau von Kirschen hatte Lukas Rizzi bereits vor 4 Jahren unternommen. Die damals auf einer Fläche von rund 2,5 Hektar gepflanzten Kirschbäume stehen jetzt in vollem Ertrag und werfen pro Baum an die 10 Kilogramm Kirschen ab. Eine weitere Kirschen-Anlage auf zusätzlichen rund 2 Hektar folgte 2006. Das Anbaugebiet liegt auf dem Schuttkegel unterhalb des Glurnsers Köpfls auf einer Höhe von rund 950 Metern. Früher waren die Flächen zum Teil Grünwiesen bzw. wurden für den Gemüseanbau genutzt.
Für die Tafelkirsche hat sich Lukas Rizzi aus mehreren Gründen entschieden. Einer der Hauptgründe ist die Vielfalt, die er als Betriebsleiter anstrebt: „Ich glaube, dass es langfristig ein Fehler ist, wenn sich die Landwirtschaft ausschließlich auf ein einziges Produkt konzentriert, wie etwa auf den Apfel.“ Alle Monokulturen laufen Gefahr, irgendwann einzubrechen: „Was geschieht, wenn zum Beispiel der Feuerband oder eine andere Krankheit außer Kontrolle gerät? Was geschieht, wenn der Apfel-Markt plötzlich einbricht oder die Überproduktion den Preis in den Keller fallen lässt?“ Laut Lukas Rizzi ist es daher besser, wenn die Landwirtschaft auf mehreren Beinen steht.
Beim Betrieb Rizzi, der mit insgesamt knapp 40 Hektar Südtirols größter Bio-Betrieb ist, wird dieses Prinzip konsequent umgesetzt: Bio-Äpfel werden ebenso angebaut wie Gemüse und Kernobst, wie es seit wenigen Jahren die Kirsche ist. In einem nächsten Projekt soll der Südhügel von Montani mit Wein bepflanzt werden.
Der Standort Glurns eignet sich besonders gut, weil die Tafelkirschen dort zu einer Zeit reifen, in denen große Kirschproduzenten wie es etwa die Türkei, Spanien oder Italien sind, schon längst keine Kirschen mehr anzubieten haben. Um die Erntezeit zudem möglichst zu strecken, sind auf den Anbauflächen in Glurns mehrere Sorten zu finden, die eine unterschiedliche Reifezeit haben. Das Sortiment reicht von Kordia und Regina über Duroni und Sylvia bis hin zu Summit und Sweetheart. Als Unterlage wurde für alle Bäume „Gisela 5“ verwendet. Dank der unterschiedlichen Reifezeit dauert die Ernte in Glurns rund einen Monat. Sie hat Anfang Juli begonnen.
Die Ernte geht ähnlich vonstatten wie bei den Äpfeln. Anstatt der Kisten pflücken die Erntehelfer die süßen Früchte in kleine Kistchen, die rund zwei Kilogramm fassen. Kirschen, die gesprungen oder auf den Boden gefallen sind, werden ebenfalls gesammelt und der Produktion von Marmelade zugeführt.
Die Kirsche ist laut Lukas Rizzi übrigens „das einzige unserer Produkte, das wir noch nicht nach streng biologischen Anbaurichtlinien erzeugen können, wenngleich wir bemüht sind, auch die Kirschen in den nächsten Jahren in Richtung Bio-Anbau zu bringen.“ Der Hauptgrund liegt darin, dass das Risiko eines vollständigen Ernteausfalls, wie er etwa aufgrund eines Schädlingsbefalls auftreten kann, viel zu groß sei. Die Kirschen-Anlagen in Glurns sind zudem mit einem Kunststoffdach und zusätzlichem Netz abgedeckt. Das ist laut Armin Eller aus Glurns, der die dortige Landwirtschaft mit viel Einsatz betreut, unerlässlich, um die Kirschen vor Regen, Wind, Hagel und Sonne zu schützen. Auch Vögel werden damit fern gehalten. „Wir lassen die Überdachung aber jährlich nur für einige Wochen oben und rollen sie nach der Ernte wieder ein“, präzisiert Armin Eller. Dadurch wird die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes einerseits zeitlich eingeschränkt, und andererseits wird auch das Netz geschont. Auf eine gute Zusammenarbeit mit Glurns bzw. den Glurnsern legt Rizzi übrigens insgesamt besonderen Wert.
Was die Kirschbäume laut Armin Eller besonders viel brauchen, ist Stickstoff: „Daher bringen wir immer wieder Hühnermist aus.“ Besonderes zu achten sei auf das Fernhalten von Läusen.
Der Anbau von Kirschen ist zwar recht kostspielig, an und für sich aber keine Hexerei. „Jeder Bauer, der über geeignete Standorte verfügt, könnte Kirschbäume pflanzen“, sagt Lukas Rizzi. Nicht minder wichtig sei aber die Vermarktung. „Landwirtschaft Rizzi“ verfügt über ein betriebseigenes Lager in Latsch. Die Kirschen können daher sofort nach der Ernte zum Schockkühlen ins Lager gebracht und anschließend dank der eigenen Vermarktungstätigkeit direkt den Kunden zugestellt werden. „Am Morgen werden die Kirschen geerntet und am nächsten Tag in der Früh sind sie in der Regel schon in den Verkaufsregalen zu finden.“ Eine funktionierende Vermarktungsstruktur ist laut Lukas Rizzi ebenso wichtig wie der Anbau selbst. Eine solche ist beispielsweise auch durch die Marteller Erzeugergenossenschaft (MEG) gewährleistet, zumal in Martell zusätzlich zum Beerenobst vor einigen Jahren auch der Anbau von Süßkirschen angelaufen ist. Kleinere Kirschen-Anbaufelder gibt es unter anderem auch in Tanas.
Die Äpfel aus der „Landwirtschaft Rizzi“ werden übrigens über die „Bio Vinschgau“ vermarktet.
Um ein Bild von Rizzis Kirschen-Produktion in Glurns zu bekommen, muss man sich die Daten von ganz Südtirol vor Augen führen. Insgesamt werden in Südtirol derzeit auf rund 270 Hektar Stein- und Beerenobst angebaut. 110 Hektar davon sind Erdbeeren, gefolgt von Marillen (90) und Himbeeren (35). Süßkirschen werden auf rund 15 Hektar angepflanzt, knapp 5 davon von „Landwirtschaft Rizzi“ in Glurns. Wie mickrig diese Größen im Vergleich zu den Äpfeln sind, beweisen die rund 18.000 Hektar Obstwiesen, die es in Südtirol gibt.
Als ideale Höhenlagen für den Anbau von Kirschen gelten Standorte, die zwischen 800 und 1.000 Metern liegen. Kirschen sind sehr empfindlich und für extreme Lagen nicht geeignet. Der Anbau ist zwar sehr kostenintensiv, laut Lukas Rizzi zugleich aber auch „wirtschaftlich sehr interessant.“ Für die heurige Ernte erhofft er sich einen Kilo-Preis von rund 5 Euro.
Mit Kirschen aus dem Vinschgau werden zurzeit zahlreiche italienische Großmärkte im ober- und mittelitalienischen Raum beliefert. Die wichtigsten Abnehmer der Ware sind Bologna, Mailand, Turin, Verona, Genua und Rom. Den täglichen Verkauf und die Logistik organisieren Johannes Telfser und Roman Gabl von der Firma SELIMEX Latsch.
Pioniergeist lebt weiter
Dass Lukas Rizzi, Sohn von Walter Rizzi, einen „Schuss“ Pioniergeist im Blut hat, dürfte nicht von ungefähr kommen. So hat sich bereits sein Ur-Großvater Johann Tartarotti (1885 – 1943) als Wanderlehrer im Obstbau und in der Obstverwertung hervorgetan. Sein Sohn Roman Tartarotti gilt als Pionier des Erdbeeren-Anbaus im Vinschgau und Südtirol (Martell, Latsch, Ulten). Johann Tartarottis Tochter Josephine ist die Mutter von Walter Rizzi.
Josef Laner