Mit der Studie der Gemeinde Schluderns im Rücken: Hubert Pinggera, Erwin Wegmann, Erich Wallnöfer, Günther Kiem, Florian Mussner, Eberhard Daum, Hans Moriggl, Ulrich Veith und Helmut Schönthaler (von links).

„Weg weisende“ Mobilmachung

Publiziert in 11 / 2010 - Erschienen am 24. März 2010
Schluderns – Bürgermeister Erwin Wegmann hoffte auf „wahrheitsgemäße Information und eine zivilisierte Diskussion“, als er „Starmoderator“ Eberhard Daum, Landesrat ­Florian Mussner, den Vorsitzenden der Umweltschutzgruppe Vinschgau, Helmut Schönthaler, den Direktor des Straßenbauamtes West, Günther Kiem, den Bezirksvorsitzenden der Unternehmer, Hans Moriggl, die Bürgermeisterkollegen Erich Wallnöfer (Glurns), Ulrich Veith (Mals) und Hubert ­Pinggera (Prad) zur Podiumsdiskussion „Mobilität im Oberen Vinschgau“ begrüßte. von Günther Schöpf Landesrat Mussner versuchte den Erregungspegel von vornherein tief zu halten, als er einleitete: „Die Bezirksgemeinschaft hat mit dem Knoflacher-Konzept gute Arbeit geleistet, aber wir dürfen nicht nur an das eigene Dorf denken“. Die Zeiten, in denen sich Südtirol den Bau und die Erhaltung von Tunnels mit über drei Kilo­metern Länge leisten konnte, seien endgültig vorbei. „Wir müssen auf den Talstraßen bleiben und wir müssen Lösungen suchen, die allen mehr Lebensqualität bringen.“ Unschwer war herauszuhören, dass der Landesrat der so genannten großen Umfahrung einiges abgewinnen könnte. Bürgermeister Erich Wallnöfer gebrauchte als erster den Ausdruck „große Umfahrung“, die für Glurns ein großes Problem darstelle. Bürgermeister Hubert Pinggera begründete die Ablehnung seitens von Prad: „Wir sind gegen die große Umfahrung, weil 1. der Gemeinderat einstimmig hinter der Studie steht, 2. schon zwei Kreisverkehre und der Ausbau der Agumser Gasse umgesetzt worden sind, weil sich 3. die Bevölkerung gegen die Umfahrung ausgesprochen und 4. weil zu viel Kulturgrund verloren geht.“ Er machte aufmerksam, dass trotz der großen Umfahrung 60 Prozent des Verkehrs in den Dörfern blieben, die Gewerbezonen von Schluderns und Glurns nicht berücksichtig wären, dass Kaufkraft abfließen und die Konkurrenz für kleine Handwerker zunehmen würde. Bürgermeister Ulrich Veith rief auf, die Diskussion auf die Entwicklung des ganzen Tales zu beziehen. Wenn jetzt alles über Bord geworfen und einzeln betrachtet werden würde, müssten wir eine neue Studie in Auftrag geben. Auch Mals stehe hinter der Knoflacher-Studie, die die beiden Umfahrungen von Kastelbell und Tartsch vorsähe. Der Unternehmer Hans Moriggl verlas ein Schreiben, das sein Verband schon vor drei Jahren an die Landesregierung geschickt habe und in dem auf das Recht der Peripherie auf eine leistungsfähige Verkehrsstruktur gepocht wurde. „Es muss eine Gesamtlösung her,“ war der Kern der Aussage. „Flickwerk haben wir bis jetzt genug gehabt.“ Umweltschützer ­Helmut Schönthaler holte weit aus, präsentierte Verkehrszählungen und Vergleiche mit dem Pustertal und zitierte eine kanadische Studie, nach der auf Straßenausbau Verkehrszuwachs folge. Sein Verband sei klar gegen die große Umfahrung. So klar wie die Umwelt­schützer gegen, seien die Schludernser für die große Umfahrung, erklärte Bürgermeister Wegmann. Alle für Schluderns vorgesehenen Maßnahmen in der Knoflacher-Studie seien unsinnig, der Kreisverkehr mit zu engem Radius ebenso, wie die Beschränkung auf 30 Stundenkilometer oder die meterhohen Lärmschutzwände, die alle 20 Meter wegen Zufahrten zu Wohnvierteln unterbrochen werden müssten. Außerdem wäre es eine Katastrophe für Schluderns, wenn die Umfahrung von Tartsch genehmigt würde. Damit wäre der Zug für seine Gemeinde abgefahren. Aus den Wortmeldungen war unschwer zu hören, wer den größten Anteil der gut 300 Zuhörer stellte. Man brachte den Viadukt bei Spondinig ins Gespräch, der für Prad auf ­Schludernser Grund gebaut worden sei. Man stellte die Zahl der an der Straße liegenden Wohnhäuser von Schluderns denen in Tartsch gegenüber. Unter­nehmer warteten mit Zahlen und Fakten zu Treibstoff- und Zeitverbrauch der Mitarbeiter auf, nannten die geplante Unterflurtrasse in Tartsch einen „Kinderspielplatz“ und forderten die Umweltschützer auf, „zuerst zu denken und dann zu schreien“. Zu jeder Wortmeldung aus den Reihen der Knoflacher-Befürworter folgten prompt nicht nur Gegenargumente, sondern auch Ausrufe der Entrüstung der versammelten Einheimischen. Die geplante Trasse habe die Bevölkerung in Tartsch jetzt schon gespalten, hieß es. Man sprach von Geldverschwendung bei 25 Millionen für eine Maßnahme in einer einzelnen Gemeinde, aber von mehr Lebensqualität in fünf Ortschaften durch die große Umfahrung. Andrerseits forderten Prader Gemeinderäte die Schludernser Gemeinde auf, auf eigenem Grund und Boden Lösungen zu finden, und nannten Prad den „eigentlichen Verlierer der großen Umfahrung“. Niemals wäre die MeBo gebaut, hätte man Bürger und Verbände entscheiden lassen, stellte Hans Moriggl und Altbürgermeister Kristian Klotz in den Raum. Altpfarrer Alfred Gander forderte „ein Biotop für Menschen“ und Gewerkschafter Adalbert Tschenett rief auf, die Arbeiter nicht zu vergessen. Die For­derung, in Bozen soll entschieden werden, wurde immer lauter. Man spüre eine große Mehrheit für die große Umfahrung, stellte Moderator Daum fest. Nachdem mehr als einmal der Satz zu hören war „die in der Landesregierung werden sich eins lachen, wenn die Vinschger nicht wissen, was sie wollen“, klärte Landesrat Mussner: „Wir lachen keineswegs. Wir sind froh, dass es diese Diskussion gibt; man kann nicht nur in Bozen entscheiden“. Und er äußerte sich eindeutig: „Es wäre angebracht, eine Studie zu machen, aber es gefällt der Landesregierung nicht, dass immer Leute von außen berufen werden. Wir sollten unser Potenzial nutzen.“ Dass man sich in seinem Ressort auch schon zu Detailfragen Gedanken gemachte hatte, verdeut­lichten seine Stellungnahmen zu den beiden Handwerkerzonen von Glurns und Schluderns und zur Situation in Prad, wo er überhaupt keine Probleme sehe. Erneut machte er kein Geheimnis aus seiner Einstellung zur großen Umfahrung. In ihren Schlussworten gebrauchte ­Hubert Pinggera auch einmal das Wort Kompromiss und Erwin Wegmann sprach von einem „positiven Neubeginn“. Eberhard Daum empfahl, sich noch einmal zu treffen in einer „Bürgermeisterwerkstatt“. Verkehrskonzept Vinschgau Anfangs Juni 2005 hatte ­Professor Hermann Knoflacher, seine Befragungen zur Vinschger Verkehrssituation abgeschlossen. Kurz vor Weihnachten 2005 wurden erste Ergebnisse vorgestellt. 2007 wurden sie als Verkehrskonzept Vinschgau von der Bezirksgemeinschaft abgesegnet. Der Schludernser Bürgermeister Erwin Wegmann hatte aus Soalidarität mit Kastelbell nicht dagegen, aber durch die ungenügende Berücksichtigung seiner Gemeinde auch nicht dafür gestimmt. Im Februar 2009 forderte die Umweltschutzgruppe Vinschgau die Umsetzung der Maßnahmen. Im Juli desselben Jahres äußerte sich Wegmann dem „Vinschger“ gegenüber: „Unserer Vorstellung nach würde die Vinschger Staatsstraße künftig von Meran kommend an der Überführung nach Spondinig links abbiegen und dann mit einer zu errichtenden Trasse zur Straße Richtung Glurns weiterführen. Kurz vor Glurns würde eine Unterflurtrasse in Richtung Mals gebaut. Damit würde neben Tartsch, Mals und Schluderns auch Glurns ­entlastet.“
Günther Schöpf

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