Für immer ab in die Wüste

Publiziert in 9 / 2009 - Erschienen am 11. März 2009
Goldrain/Errachidia – „Hier gehöre ich her, hier will ich eines Tages für immer bleiben.“ Die Dünen, der Wind, die karge Landschaft und vor allem die Weite der Wüste haben ihr dies 1994 in die Ohren geflüstert oder besser gesagt ins Herz gebrannt. Am 1. Februar 2009 wurde der lang gehegte Traum von Irmgard Ladurner wahr. Sie zog für immer nach Marokko und betreibt jetzt zusammen mit ihrem Mann Brahim Souag zwischen den Ausläufern des Atlas und den ersten Dünen der unendlichen Sahara am Rand der Stadt Errachidia eine Herberge mit 15 Zimmern und einem Restaurant. Ihrer Heimat trauert die gebürtige Goldrainerin, die bis zu ihrer Abreise das Alten- und Pflegeheim in Latsch als Direktorin leitete, nicht nach: „Ich gehe gerne weg von Südtirol“. von Sepp Laner Von heute auf morgen hat die Wahl-Marokkanerin ihren ­Lebenswunsch natürlich nicht erfüllen können. Aus den ­Augen verloren aber hat sie ihren Traum seit 1994 nie mehr. Bereits zwei Jahre später entschied sie sich zum ersten Mal, in Marokko zu leben und lernte ihren Mann Brahim kennen. Irmgard: „Ich wollte eigentlich schon 1996 in Südtirol alles aufgeben. Ich kaufte mir einen Landrover und hielt Ausschau nach einem Lehmhaus, um mich dort niederzulassen, zu schreiben und zu malen.“ Weil Brahim die Hotelfachschule besucht hatte und sich in der touristischen Branche auskannte, haben Irmgard und er den Entschluss gefasst, für etliche Jahre hart zu arbeiten und dann am Stadtrand von Errachidia eine „Auberge“ (französisch für Gasthaus bzw. Herberge) zu bauen. Brahim kam 1997 nach Südtirol und arbeitete bis 2005 in einer Vinschger Obstge­nossenschaft. Das Leben als Marokkaner in Südtirol war zeitweise kein Zucker­schlecken, aber ­Brahim hielt durch. Viel Kraft gab ihm der gemeinsame Traum. Dasselbe galt auch für Irmgard. Sie hatte Psychologie, Betriebswirtschaft und Pädagogik studiert. Viele Jahre hindurch unterrichtete sie an Vinschger Mittelschulen, Oberschulen und auch an der Berufsschule. Später arbeitete sie haupt- und nebenberuflich im Sozialbereich und in der Erwachsenenbildung. Im November 1998 stieg sie in die sozialpädagogische Grundbetreuung im Sozialsprengel Mittelvinschgau ein und wurde alsbald die Leiterin des Sozialsprengels. Bevor es endgültig „ab in die Wüste“ ging, war sie 18 Monate lang Direktorin des Alten- und Pflegeheims in Latsch, und zwar zur vollsten Zufriedenheit der Heimbewohner/Innen, des Mitarbeiterstabs und der Verwaltung. Aus den Jahren, die sie gemeinsam mit Brahim in Südtirol verbrachte, zieht Irmgard die Lehre, „dass es für Partnerschaften, wie es die unsere ist, wichtig und positiv ist, dass jeder für längere Zeit in der Kultur des anderen lebt.“ Ist es aber nicht ein Kulturschock für sie, für immer in ein muslimisches Land zu ziehen? Irmgard Ladurner: „Nein, ganz und gar nicht. Ich kenne mittlerweile meine Wahlheimat und ich gehe gerne von Südtirol weg.“ Warum denn das? „In Südtirol fühle ich mich in meinem Wesen eingeengt. Dort, wo ich künftig anzu­treffen bin, finde ich Ruhe, kann mich ‚entstressen’, einen anderen Rhythmus pflegen und vor allem davon zehren, was ich besonders liebe, die Weite und Zeitlosigkeit der Wüste.“ Auch im Umgang mit der Religion sieht Irmgard keine Probleme: „Der Islam ist bei weitem nicht so, wie ihn uns die Medien allzu oft ver­mitteln. Wer nur in den Fernseher schaut oder Zeitungen liest, möchte meinen, jeder Muslim sei ein Fanatiker. Das ist grundfalsch. Der Islam hat ebenso viele Nuancen wie etwa das Christentum. Fanatiker gibt es überall, die große Mehrheit in Marokko ist sehr moderat. In den Städten zum Beispiel sieht man oft Frauen mit ­offenen Haaren oder Mädchen in Jeans.“ Auch ihr Mann Brahim sei sehr tolerant und weltoffen. Einer seiner Brüder ist Schriftsteller, ein weiterer lebt in Deutschland. Wenn Irmgard mit ­Brahim spricht, geschieht das in Französisch, Italienisch oder Deutsch. Von jetzt an wird sie sich bemühen, die arabische Sprache zu lernen und vor allem auch Tamazirt. ­Tamazirt ist eine der Berbersprachen in Marokko und mit der Sprache der Tuareg verwandt. Brahims Familie gehört zum Berberstamm der Ait Atta. Was wünscht sich Irgmard Ladurner für ihre „alte“ Heimat Südtirol? „Mehr Offenheit. Die Leute sollen auf die Berg­spitzen steigen und schauen, was dahinter ist.“ Idealer Ort für Trekkingtouren Die rund 100.000 Ein­wohner zählende Stadt Errachidia liegt im Südosten Marokkos, nicht unweit der Grenze zu Algerien. Im Tal der Zizoasen gelegen, ist diese Stadt ein idealer Ausgangsort für Ausflüge und Rundfahrten in die Sahara, aber auch in den Mittleren und den Hohen Atlas. Die „Auberge Tinit“ (Internet: ­ www.auberge-tinit.info; E-Mail: info@auberge-tinit.info) von Irmgard Ladurner und ­Brahim Souag liegt am Stadtrand, an der Straße nach Ouarzazate. Die Herberge wurde unter Verwendung traditioneller Materialien erbaut (Lehm) und ist seit 2005 geöffnet. Im Haus selbst fließen marokkanische Stilelemente mit europäischer Sachlichkeit zusammen. Das Haus beherbergt 15 Zimmer. Auch ein Restaurant gehört dazu, in dem vor allem Produkte aus der Region auf den Teller kommen. Zu den besonderen Angeboten gehören Trekkingtouren in der Sahara oder im Altasgebirge. Bei diesen Touren haben die Teilnehmer auch die Möglichkeit, mit den Menschen in der Wüste oder im Gebirge in Kontakt zu kommen, also mit Nomaden oder Halbnomaden. Speziell im Sommer werden Touren im berühmten M’Goun Massiv im Hohen Altas organisiert und Frühjahr Touren im Djebel Saghro. Die Wüsten, Oasen und Berge sind das Land der Imazighn (Berber), der ursprünglichen Bewohner ­Marokkos. Marokko gilt als Land voller Kontraste. Es ist rau, archaisch und zugleich farbenfroh und betörend. All das hat auch Irmgard Ladurner „verzaubert“. Zur Wüste schrieb Antoine de Saint–Exupéry: „Zuerst ist sie nur Leere und Schweigen, denn sie gibt sich nicht zu Liebschaften für einen Tag her.“
Josef Laner

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