Gagliole, betroffenes Städtchen im „Erdbebenkrater“

Publiziert in 42 / 2016 - Erschienen am 23. November 2016
Karin Mecozzi, Autorin und Herboristin, berichtet aus der Provinz Macerata Noch bebt es weiter. Stündlich, halbstündlich, unregelmäßig aber kontinuierlich zittert und bebt die Erde, in den Marken und in Umbrien, nach den drei starken Erdbeben am 24. August, 26. Oktober und 30. Oktober, dem letzten, zerstörerischen Beben mit der Stärke 6,5 auf der ­Richterskala. Drei große Regionen sind betroffen, Marken, Umbrien, Latium, Städte und Dörfer mit tausendjährigen Kirchen und Klöstern, Industrieunternehmen, Bauernhöfen und touristischen Betrieben. Zusammen mit über 20.000 Menschen sind nun auch wir obdachlos, Karin Mecozzi ­Bortolussi, gebürtige Meranerin, und mein Mann Giorgio, aus dem Friaul. Unsere neue Wahlheimat, die kleine Gemeinde Gagliole, befindet sich im „Erdbeben­krater“, also im engsten Umkreis der Epizentren. Der alte und der neue Teil des winzigen Städtchens wurden schwer getroffen, der gesamte antike Stadtkern wurde zur „Roten Zone“ erklärt und abgesperrt. Unser Haus steht neben der Pfarrkirche, es ist das ehemalige Pfarrhaus, und wir verdanken es den jahrhundertealten Fundamenten, dass die Gebäude standgehalten haben. Wir waren vor kurzem „dazugezogen“, da mein Mann, Gärtner und Gemüseanbauer, den Aufbau eines sozialen Gemüseanbauprojektes in Macerata leitet. Als diplomierte Herboristin (Heilkräuterfachfrau) wollte ich gerade ein geeignetes Stück Land für den Kräuteranbau pachten, um ätherische Öle zu destillieren, neben meiner Tätigkeit als Referentin für wildwachsende Heilpflanzen und Landschaftskultur. Bis zum Beben waren wir damit beschäftigt, unser Häuschen im Zentrum von Gagliole zu sanieren, nun müssen wir warten, bis die Beben abklingen, um die tiefen Risse in den Mauern und im Dach auszubessern und, vor allem, das ganze Haus zu stabilisieren und zu sichern. Mein Buch „Ars herbaria, Heilpflanzen im Jahreslauf“, ist im Jahr 2015 im Natura Verlag in Basel erschienen und wurde zu einem der 25 „Schönsten Bücher Deutschlands“ preisgekrönt. „Ars ­herbaria“ verdankt dem Vinschgau viel: einen Teil der schriftstellerischen Arbeit konnte ich in der schönen Schlandersburg leisten, in Ruhe, Konzentriertheit und in Verbundenheit mit der Vinschger Landschaft, und während des Lektorates bin ich immer wieder nach Schlanders gereist, zu meiner lieben Freundin aus der Gymnasialzeit und ihrer Tochter, um das Buch in Ruhe fertigzu­stellen und Seminare dazu zu planen. Heute weiß ich, dass ich meine Arbeitsprojekte in Gagliole ­völlig umstellen muss. Mein Büro zuhause ist nicht mehr bewohnbar. Das Nachbarhaus in unserer Straße droht einzustürzen, der gesamte Dorfkern ist gefährdet. Das kleine, neue Umweltzentrum, die altehrwürdige Josefskapelle mit den Fresken, die mittelalterliche Festung in der Dorfmitte aus weißem Kalkstein, sie alle haben schwere Schäden, und es kann viele Monate dauern, bis die Gebäude saniert werden können. Gagliole - ein besonderer kleiner Ort, gerade im Wiederauf­leben begriffen, dank neuer Projekte wie Stadtführungen, einem kleinen Kunstmuseum und einer Jugendherberge. Derzeit knapp 650 Einwohner, mitten in einer fruchtbaren Landschaft, unweit von der Universitätsstadt ­Camerino, die heute auch sehr schwer beschädigt ist. Der Bürgermeister von Gagliole, der Anwalt Mauro Riccioni, ist im Moment ratlos: wie soll sich unsere kleine Gemeinde in den nächsten Monaten über Wasser halten? Der Winter steht vor der Tür, Notunterkünfte sollen beheizt werde, die Volksschule und der Kindergarten brauchen Unterstützung, Zufahrtstraßen zum beschädigten Städtchen müssen ausgebessert, das Altersheim muss erdbebensicher sein, und vieles mehr. Die Gemeinde Gagliole hat sich nun zu einer offiziellen Spendensammlung entschlossen, um die schwierige Notsituation in Anbetracht des anstehenden Winters in Angriff nehmen zu können. Als Vermittlerin leite ich hier beherzt den Aufruf weiter: jede auch noch so kleine Spende kann helfen, die kleine antike Stadt Gagliole weiterleben zu lassen (Spenden an Comune di Gagliole; terremoto 2016; IBAN: IT89C050356895 0431570067311). Der Spenderin, dem Spender sei hier aus Gagliole auf das Herzlichste für die Solidarität und den Einsatz gedankt! Karin Mecozzi Bortolussi (Karin.mecozzi@aruba.it)
Vinschger Sonderausgabe

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