Adelige Bäuerinnen
Publiziert in 6 / 2002 - Erschienen am 28. März 2002
Viele Partschinser machen einen weiten Bogen um die “Baronin” Alexandra von Goldegg, genauso wie um ihren bissigen Wachhund “Jessy”. Ich war gewarnt.
Der Ansitz Spauregg zeigt sich seinen Hausgästen Mitte März von der kühlen Seite. Lachend winkt Alexandra von Goldegg aus dem Fenster im ersten Stock. An der Tür steht Diana, die den fürchterlich bellenden “Jessy” mit leisen Worten besänftigt. Sie begleitet mich zu ihrer Mutter. Die Fensterflügel stehen weit offen, damit der stürmende Föhnwind die schattigen, leicht nach Moder riechenden Räume auftaut. Von den dicken, abgetretenen Steinstufen steigt Kälte auf. Das Rot von Dianas Fleecepullover wärmt. Mit einem Lächeln und einem kräftigen Händedruck begrüßt mich Alexandra von Goldegg und führt uns durch einen Salon auf die Holzterrasse. Es knackt und knarrt. Die beiden haushohen Bäume - Kastanie und Rotbuche - seien erst gestutzt worden, beruhigt die Hausherrin.
Bei einer Tasse Kaffee wird Alexandra von Goldegg nachdenklich. Ihr gegenüber sitzt Diana, die sie allein erzieht. Das Verhältnis zum “Papi” ist sehr gut. Ihr Blick schweift von ihrer Tochter über die ausladende Kastanie zu ihrem in der Ferne gelegenen Gutshof.
“Ich bin nicht einordenbar. Vielleicht halten deshalb viele Partschinser Abstand zu mir”, versucht Alexandra ihr Außenseiterdasein im Heimatdorf zu erklären. Als Herrin über Spauregg hat sie viele Aufgaben und wechselt im Laufe eines Tages oft ihre Rolle. Sie sieht sich als “kämpferische Ritterin”, Bäuerin, Adelige und als Germanistin.
Nachdenklich hebt sie den Kopf zu den Wipfeln der hundertjährigen Bäume, die im Wind krächzen. Ihr Blick folgt einem Vogel. Vormittags war sie am Gericht. “Seit 1984 arbeite ich auf dem Anwesen und viel Zeit verbringe ich damit, meinen Grund und Boden zu verteidigen”, wiederum schaut sie konzentriert zum Gutshof hin. Geht es nach dem Willen des Bürgermeisters und seiner Gemeinderäte, dann wird ihr Blick von der Holzterrasse aus bald halb soweit reichen. Der Kindergarten wird erweitert. Und die Verwalter wollen dafür ein Grundstück der “Baronin” enteignen. Im Gesicht von Alexandra von Goldegg kann ich trotz der kommunalen Willkür keine Zornesfalten entdecken. Nur Melancholie.
Es ist immer was los auf Spauregg. Immer kommt irgend jemand, will irgendwas. In einem ruhigen Moment drücke ich auf den Auslöser: Eine Mutter hält ihre Tochter auf dem Schoß und heimlich wünscht sie sich, - wie alle besorgten Mütter - dass sie das Erbe ihres Vaters über die Jahre für ihre Tochter erhalten kann. Dafür kämpft sie. Manchmal überkommt Alexandra von Goldegg das Gefühl, als “Ritterin” um einige Jahrhunderte zu spät geboren zu sein.
“Mir sitzt eine jahrhundertealte Verpflichtung im Nacken, ein stummer Auftrag meiner Ahnen”, sinniert sie. Würde sie kapitulieren, käme das einem Verrat an der Familie gleich und die distanzierte Haltung der Partschinser bleibt, das weiß sie aus Erfahrung.
Die für sie unliebsame Rolle der Ritterin tauscht sie gern gegen die der Pferdenärrin. Das ist ihre Passion. Im Stall des Gutshofs stehen drei stattliche Pferde: zwei in die Jahre gekommene Rennpferde und der Araberhengst von Reinhold Messner. Sie warten auf den morgendlichen Austritt. Die Pferdeliebe hat zusätzlich einen sozialen Aspekt. Bereits seit Jahren setzt sie sich für das Projekt “Therapeutisches Reiten” ein, das in Zusammenarbeit mit der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt entstehen soll. “Das Lachen eines behinderten Kindes auf einem Pferderücken wäre Lohn genug für die Mühe und Arbeit”, gibt sie sich bescheiden.
Im Hauptberuf ist sie Bäuerin, obwohl sie einen Gutteil ihrer Wiesen verpachtet hat. Alexandra von Goldegg begegnet ihren Apfel- und Birnbäumen mit viel Aufmerksamkeit. Sie liebt alte Apfelsorten, deren Namen heute kaum jemand kennt: Ananasrenette, weißer Rosmarin, Gravensteiner, Lederer, Belle fleur, Calville. Gemeinsam mit Diana schneidet sie diese Bäume. Ihr sonnengebräuntes Gesicht und ihre trockenen, schwieligen Hände können es bezeugen. “Oft sehe ich wild aus”, sagt sie und lacht über sich. Sie schüttelt ihr Haar, das auch jetzt vom Wind zerzaust ist. Wenn sie ihre Bäume “o-raft”, dann vergisst sie ihre Sorgen und ihre Ängste. Und die Einsamkeit? Alexandra überlegt: “Das ist eine schwierige Frage. Nur selten fühle ich sie. Ich versuche mich zu beschäftigen, dass mir keine Zeit zum Nachdenken bleibt”.
Hörbar nobel an Diana und Alexandra von Goldegg ist ihre Ausdrucksweise. Meist sprechen die beiden in der Schriftsprache. Diana will auch in der Schule nicht Dialekt reden, obwohl, wie Alexandra von Goldegg betont, sie nicht dazu angehalten wird. Vor Jahren hat die Partschinserin an der Universität von Florenz Sprachen studiert, sich einige Jahre im Ausland aufgehalten. Aber sie wusste, dass sie irgendwann nach Spauregg zurückkehren will und muss, um das Erbe der Goldeggs anzutreten.
Das herzliche Lachen und der abwägende, nachdenkliche Ausdruck im Gesicht von Alexandra von Goldegg und Lindenburg, Herrin auf Spauregg, sind der Spiegel ihrer Seele.
Ich bin froh, dass ich nicht auf die Meinung anderer gehört habe.
Andrea Kuntner