Der Kosovo ist jetzt zwar unabhängig, aber...
Publiziert in 11 / 2008 - Erschienen am 27. März 2008
Den jungen Südtiroler Hannes Gögele aus Rabland hat es in den gerade unabhängig erklärten Kosovo, wo es erst in diesen Tagen wieder im Norden des Landes zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Serben und KFOR-Truppen gekommen ist, geführt: Als OSZE-Beauftragter wohnt er in Pristina und sorgt im acht Kilometer entfernten Fushë Kosovë (Kosovo Polje) mit dafür, dass die Abläufe der Gemeinde begutachtet und kontrolliert werden. Da gibt es Gemeinderatssitzungen, Ausschusssitzungen, auch Treffen mit Dorfvorstehern, dem Bürgermeister, dem Gemeindesekretär, „um Probleme zu besprechen oder gemeinsam Lösungsvorschläge zu finden.“
von Katharina Hohenstein
Das hat sich nach dem 17. Februar 2008, dem Tag der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, nicht geändert.
Der in Rabland aufgewachsene 27-Jährige Hannes Gögele ist seit mehr als einem Jahr im Kosovo. Mit ihm zu sprechen fällt leicht, selbst wenn die Telefonleitung dreimal unterbricht, sind wir ansonsten prächtig verbunden: Er berichtet gerne über seine Arbeit. Nach dem Besuch des Johanneums stand für ihn fest: Medien- und Politikwissenschaften sollten es sein, die er anschließend in Wien studierte: ein Aufbaustudium Konfliktmanagement setzte er noch drauf. Seine Arbeit in Wien führte ihn in den Bereich Migrationsmanagement und Anti-Menschenhandel mit Kindern, dann rief ihn das Italienische Außenministerium 2006 zur OSZE in den Kosovo. Vor allem mit südeuropäischen Routen des Kinderhandels hatte Hannes Gögele zu tun: Er arbeitete für ein vom Österreichischen Innenministerium finanziertes Projekt, dass vor allem Richtlinien erstellte für alldiejenigen, die – auf der Seite der Bekämpfenden – mit Kinderhandel zu tun hatten. Ratifiziert wurde das Projekt von verschiedenen europäischen und einigen afrikanischen Staaten. Richtlinien, die vorgeben, wie mit den betroffenen Kindern umgegangen werden kann: Viele der Kinder kommen aus Gebieten, wo Polizisten nicht ungebedingt Sicherheit oder Vertrauen erwecken. Wie kann so ein erster Kontakt aussehen? Mädchen und Jungen, die nicht nur verschleppt wurden, um anschließend zur Prostitution gezwungen zu werden, sondern viele wurden von den eigenen Eltern, selbst zu mittelos, verkauft. Organhandel spielt ebenfalls eine große Rolle.
Zurück zur OSZE, zurück zu Hannes’ jetziger Aufgabe: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa baute 1999 im Kosovo einige grundlegende, demokratische Institutionen auf. Gemeinsam mit den Menschen vor Ort, versuchen Hannes und seine Kollegen zu beobachten, inwieweit die demokratischen Prinzipien nun implementiert werden. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 hat an der Arbeit der Mitarbeiter des OSZE nichts geändert. Hannes Gögele war selbst am Abend der Unabgigkeitserklärung in Pristina: Jubel bei den Kosovo-Albanern. Die Serben hatten weniger Grund zu feiern „und waren meist in ihren Enklaven in der Stadt“. An der Oberfläche habe sich nicht viel verändert, bestätigt Gögele, aber es gäbe Zeichen: Serben, die nicht mehr zur Arbeit kämen, die nicht mehr unter der internationalen Polizei arbeiten wollen. Der Berater von Minderheitenrechte arbeitet meist in der Gemeinde – dort steht auch ein PC für die OSZE Mitarbeiter bereit. Reports schreiben gehört mit zu den wichtigsten Aufgaben, die Hannes täglich erledigt: „Wir sind Zeitzeugen, wir schreiben Geschichte, wir schreiben auf, was in den Gemeinderatssitzungen passiert“. Die Gemeinden selbst sind verpflichtet, den OSZE Mitarbeitern den Tagesablauf mitzuteilen. Der Prozess innerhalb der Gemeinde wird analysiert, dabei wird auch viel mit den Menschen vor Ort gearbeitet – es komme auch vor, so Hannes Gögele, dass er als Beobachter selbst um Rat gefragt würde: „So stehen auch die Kosovaren in gutem Licht da, wenn bei Problemen Lösungen gefunden werden oder generell etwas Positives herauskommt“. Gepräche werden ins Albanische und Serbische übersetzt, die meisten der anderen Arbeitsgespräche erfolgen in Englisch. Hannes selbst hat selbst ein Jahr lang Serbisch gelernt, einen albanischen Grundwortschatz hat er sich angeeignet. Das, so Hannes, sei auch sehr wichtig: „Wie geht es der Familie?“ sei eine der wichtigesten Fragen, die ein Gespräch eröffneten, da müsse man schon auch antworten können, so baue man Kontakte auf. Sich mit den Menschen im Kosovo anzufreunden, sei schwierig. Die Freundschaften gehen nicht tiefer, sagt Hannes, der auch weiß, warum: „Die Menschen sind es gewöhnt, dass wir wieder gehen“. Mit den anderen Mitarbeitern der OSZE gäbe es Freundschaften, mit Menschen aus der ganzen Welt. Hannes Mitbewohnerin kommt aus Kolumbien, mit ihr sitze er schon des öfteren abends bei „grellem Neonlicht mit karibischem Cocktail und Südtiroler Knäckebrot“. Das mit dem Neonlicht kann leicht erklärt werden. Der eigens für die Wohnung installierte Invertor sorgt in der Wohnung für Energie, die abends den Fernseher und die Notstromlampen betreibt. Die Geschichte mit dem Strom ist eine ganz eigene. Es gibt ihn, nur halt nicht immer. „Morgens kommen meist gegen 7 Uhr der Storm zurück. ...gegen 15 Uhr schließt die Gemeinde und gleichzeitig wird der Strom abgestellt. Das bedeutet für uns, dass wir uns aufmachen in das OSZE Regionalbüro, einen Containerkomplex am Stadtrand von Pristina. Dort schreiben wir unsere täglichen Reports für Wien, Brüssel und New York und bereiten uns für den nächsten Tag vor.“ Zurück in Pristina trifft man sich mit Kollegen und Freunden und setzt sich in eines der vielen Cafés in Payton oder entlang der Schatzistraße (im Volksmund nennen die Kosovaren die Diaspora „Schatzi“. Im Sommer promenieren die „Schatzis“ entlang dieser Straße und fahren mit ihren teuren Autos mit ausländischen Kennzeichen vor), ergänzt Hannes Gögele die Beschreibung seines Tagesablaufes.
Sehr jung, sehr arbeitslos und sehr getrennt
Die Bevölkerung des Kosovo ist extrem jung: 33 Prozent sind unter 16 Jahren, die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre – mit einer Geburtenrate von 23 Geburten pro 1000 Einwohnern. Die Serben werfen den Albanern vor, vorsätzlich so zahlreiche Kinder zu bekommen. Aber selbst wenn die Albaner die Mehrheit im Kosovo stellen (88 Prozent), gibt es sieben Prozent Serben, aber auch Türken, Bosniaken, Torbeschen, Goranen, Janjevci (Kroaten), Roma und Aschkali (Kosovo-Ägypter). Minderheiten eben. In der Nähe Pristina’s, so Hannes Gögele, gibt es große Kohlebergwerke, was gleichzeitig für „sehr, sehr dreckige Luft“ sorgt. Doch an der Grenze des Amselfeldes (Kos bedeutet im Serbischen die Amsel, Kosovo Polje ist nach dem bei Pristina liegenden Amselfeld benannt) ist es so schön „wie bei uns in Südtiorol“. Für den jungen Mann aus Rabland ist diese Arbeit „eine Arbeit fürs Leben; ein Geben, aber auch ein großes Nehmen; zu sehen und zu verstehen, wie die Menschen hier mit ihrem Leben umgehen“. Mit jenem Leben umgehen, das die Serben und Albaner im Falle der Stadt Mitroviza durch einen Fluß trennt: An jeder Seite der Brücke stehen Brückenbeoachter, die das Ein- und Ausgehen der Bevölkerung genau beobachten. „So ist es mit den Enklaven im Zentrum des Kosovos“, meint Hannes, die Serben gehen kaum ein noch aus und ziehen es vor, in den eigenen kleinen Dörfern zu leben. Auch die Zweisprachigkeit der letzten Generationen hat sich dramatisch geändert: der Sprachaustausch ist keineswegs mehr gegeben. Die Zukunft weist daraufhin, dass die nächste Generation schon nicht mehr die jeweilige andere Sprache sprechen wird. Die Arbeitslosigkeit der Menschen im Kosovo ist – wie die junge Gesellschaft – extrem: 70 Prozent. Während die Serben oft auswanderten, nach Serbien gingen, kehrten fast alle Albaner zurück. Da kommen auch Menschen, die ihre alten Wohnungen und Häuser besuchen wollen: Nicht immer seien die jetzigen Bewohner gewillt, sich des Besuches dann auch auszusetzten. Zu viel ist passiert. Aber es geht auch anders: Es gibt auch Menschen, die ihre alten Nachbarn willkommen heißen, ihnen „alle möglichen Geschenke, wie Honig oder Eier mitgeben“. Frische Wunden brauchen ihre Zeit. Manche heilen nie. Das Potential des Kosovo, so Gögele, sei allerdings enorm: Große Bodenschätze und die Möglichkeit, viel Landwirtschaft zu betreiben, würden dem derzeit ärmsten Land der Region Aufstiegsmöglichkeiten bieten. „Es erinnert mich teilweise an die Zeit in Südtirol vor vielen Jahrzehnten. Dort wurden alle möglichen Wege gegangen, um zu Geld zu kommen“. Heute warteten die Menschen im Kosovo auf ein politisches Zeichen, aber man müsse erst sehen, was noch passieren werde. Gögele wohnt am Hügel über der Stadt mit einer spektakulären Aussicht, im Haus, in dem ein paar Albaner, ansonsten Italiener, Briten und Deutsche wohnen. Und viele derjenigen, die zurückkamen nach Albanien, „kamen mit einem Koffer voller Ideen“. Im Zentrum Pristinas, mit den vielen Bars, den guten Restaurants, sind in den letzten Jahren viele Produkte eingeführt worden, Geschäfte erweitern ihr Angebot. Die Küche des Kosovo ist für Hannes, der gerne frisches Gemüse kocht, ein wenig fleischlastig: Auf einer Sportler-des-Jahres-Veranstaltung waren er und sein Kollege bei den drei verschiedenen Fleischsorten, die aufgetischt wurden, unschlüssig: Sollten sie schon anfangen, noch warten, bis die Beilagen kommen? Es kamen keine. Es gibt Fleisch in allen Varianten.
Eine Minderheit ist Gögele besonders ans Herz gewachsen: Die Ashkali, die meisten davon seit des Konfliktes nicht mehr beschäftigt. Auch sie stecken voller Ideen: Das alte Kulturzentrum der Ashkali zu renovieren, Straßenlaternen aufzustellen, Kinderspielplätze zu bauen. Wenn Hannes Gögele etwas sieht, will er helfen, etwas voranzutreiben. „Ein Glück haben wir gehabt, dass der Krankenwagen des Weißen Kreuzes Naturns eine Woche vor der Unabhängikeitserklärung angekommen ist: sonst wäre er vielleicht gar nicht mehr durchgekommen.“
„Kein Direktvergleich mit Südtirol möglich“
„Meine Arbeit in der Südosteurropa-Mission der Internationalen Organisation für Migration in Wien hat mich nach vielen Reisen in die Hauptstädte des früheren Jugoslawien, auch in den Kosovo geführt. Die Erfahrung in den Bereichen Migrationsmanagement und Kinderhandel hatten in mir das Verlangen geweckt, vom Computer weg in das Feld zu gehen. Das Angebot von der OSZE kam damals genau richtig: die Arbeit als Menschrechtsbeobachter in einer der Gemeinden und mittlerweile als Kosovo-Berater im Bereich Minderheitenrechte, erfüllt mich mit Leib und Seele. Ich versuche die Erfahrung unserer Großeltern und Eltern in Südtirol hier anzubringen, und die Leute für ein respektvolles und buntes Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen zu begeistern. Südtirol ist für die meisten Kosovaren kein Fremdwort und man kommt als Südtiroler gut durch den Kosovo. Viele Kosovaren haben Verwandte, die in Südtirol leben und arbeiten. Für viele andere ist Südtirol Schlagwort für einen ausgebauten und funktionierenden Minderheitenschutz. Die Lage im Kosovo kann man allerdings nicht direkt vergleichen.
Während es in Südtirol um das Zusammenleben dreier Volksgruppen im Rahmen einer weitreichenden Autonomie geht, verlangen die Kosovo-Albaner einen eigenen Staat und die Abgliederung von Serbien“.
Katharina Hohenstein