Der lange Weg in die Formel 1
Publiziert in 34 / 2010 - Erschienen am 29. September 2010
Schlanders/Monza – Er vergleicht seine Karriere mit der eines Schiedsrichters. Zuerst pfeift man irgendein Spiel in irgendeinem kleinen Dorf und irgendwann - wenn alles passt und man noch dazu ein wenig Glück hat - steht man plötzlich auf dem Rasen, auf dem die zwei Finalisten-Mannschaften um den Fußballweltmeisterpokal kämpfen. Für Heinz Unterholzer aus Schlanders wurde der Karrieretraum wahr. Allerdings nicht in der Welt des Fußballs, sondern im Motorsport. Als 20-Jähriger hatte er 1972 die Prüfung als technischer Kommissar für Autorennen bestanden. 38 Jahre nachher setzte er seiner Karriere die Krone auf: 4 Tage lang stand er vom 9. bis zum 12. September im Auftrag des Automobil-Weltverbandes FIA (Fédération Internationale de l’Automobile) beim Formel-1 Rennen in Monza als technischer Kommissar im Einsatz. Zuständig war er für Kontrolle in der Mercedes-Box, und zwar für den „Silberschlitten“ von Michael Schuhmacher.
Neben Schumi, dem siebenfachen Weltmeister, der heuer mit dem Mercedes-Team in den Formel-1-Zirkus zurückgekehrt ist, kam Heinz Unterholzer in Monza noch mit vielen anderen Piloten und weiteren Größen der Formel 1 ins Gespräch, etwa mit Mercedes-Sportchef Norbert Haug oder „Superhirn“ Ross Brawn. Ebenso plauderte er mit dem Safety Car-Fahrer Bernd Mailänder, Ralf Schuhmacher und vielen anderen. Sein Hauptaugenmerk galt aber nicht den Piloten, Rennstallbesitzern oder Formel-1-Mangern, sondern den „Maschinen“ und Motoren.
Den Motorsport hat Heinz Unterholzer seit jeher im Blut. Mit in die Wiege gelegt hatte ihm diese Leidenschaft sein Vater Ludwig, der schon in den 50-er Jahren Motorradrennen bestritt. 1972 bildete sich Heinz als technischer Kommissar für Autorennen aus. Die Prüfung bestand er mit Bravour. Diese ehrenamtliche Arbeit übte er mit viel Herzblut aus. Anfangs war er als Kommissar bei Autorennen in Südtirol tätig, später in ganz Italien bei Rallyes, Bergrennen, Formel 3 und seit etlichen Jahren ist er technischer Referent der Autocross-Italienmeisterschaft, wobei er dann auch die Koordination der technischen Kommissäre beim Europameisterschaftslauf, der in Italien stattfindet, inne hat. „Der Einsatz in Monza war für mich wie der Aufstieg in die Serie A“, verrät er nicht ohne Stolz dem „Vinschger“.
Von 1970 bis 1980 war Heinz Unterholzer übrigens selbst hinter dem Steuer. Er dominierte in dieser Zeit als Vorzeigepilot des Meraner Rennstalls die lokale Slalomszene. Weiters organisiere er von 1978 bis 1989 die legendären Martellrennen, zu denen einst bis zu 6.000 Zuschauer ins Martelltal kamen. 1989 wurde dem Motorsport in Südtirol allerdings ein Riegel vorgeschoben. Für das Martellrennen bedeutete dies ebenso das abrupte Aus wie für die berühmte Mendel und weitere Motorsportveranstaltungen.
Der Leidenschaft von Heinz, bei Autorennen als Kampfrichter im Einsatz zu stehen, tat der in Südtirol verfügte Motorsport-Stopp allerdings keinen Abbruch. Dass die FIA ausgerechnet ihn als Kommissar nach Monza berufen hat - er war der einzige aus dem Raum von Südtirol bis Verona -, kommt nicht von ungefähr. Seine Erfahrung als Pilot fiel ebenso ins Gewicht wie seine Kompetenz und seine bisherige Kommissar-Laufbahn. Den Kampfrichtern obliegt es, die Einhaltung sämtlicher Sicherheitsvorschriften und technischen Vorgaben penibel genau zu überwachen und zu kontrollieren. Die FIA selbst beschäftigt 5 Kampfrichter, die fest angestellt sind. Weitere Kommissare werden von den jeweiligen nationalen Motorsportkommissionen zu den Formel-1-Rennen berufen. Für den heurigen Großen Preis von Italien in Monza war Heinz Unterholzer zusammen mit zwei weiteren Kommissaren ausgewählt worden, um bei den 4 Boliden der Teams Mercedes und McLaren bereits vor Beginn der Trainingsfahrten die Sicherheitsvorrichtungen zu checken. Ab der ersten Proberunde war Heinz dann ausschließlich für das Auto von Michael Schumacher zuständig.
Was sich hinter der Tätigkeit eines technischen Kommissars verbirgt, bleibt dem Laien in der Regel schleierhaft. Das Grundprinzip lässt sich so formulieren: Die Rennautos stehen ab der ersten Ankunft in der Box bis nach dem Abschluss des Rennens kontinuierlich unter strengster Beobachtung. Heinz Unterholzer: „Es geht um den Aspekt der Sicherheit und vor allem auch darum, dass an den Autos nicht irgendwelche Veränderungen vorgenommen werden, die verboten sind.“ Das sei auch der Grund dafür, dass die Kommissare die Rennautos auf der Startlinie als letzte Personen verlassen. Wenn nur mehr drei der 5 Ampelpaare vor dem Start auf rot sind, müssen die Mechaniker das Feld verlassen, die Kommissare müssen erst dann „abmarschieren“, wenn nur mehr zwei Ampelpaare auf rot sind.
Das Klima zwischen Mechanikern und Kommissaren ist naturgemäß etwas „kühl“. Das liegt auf der Hand, denn die Mechaniker dürfen nur das tun, was erlaubt ist und müssen das tun, was vorgeschrieben ist. Den Kommissaren werden schon zu Beginn ihrer Arbeit detaillierte Checklisten übergeben. In punkto Sicherheit sind besonders viele Vorschriften zu überprüfen. Die Einhaltung der Vorgaben bezüglich des Helms sind ebenso zu überwachen wie die Feuerfestigkeit der Kleidung und Unterwäsche der Piloten, die sicherheitstechnischen Vorschriften im Cockpit und unzählige weitere Maßnahmen mehr. Gedacht wird an so ziemlich alles. Heinz Unterholzer: „Es mag zwar etwas banal klingen, aber wenn zum Beispiel der Knopf, der für die Betätigung der Schaumlöschanlage dient, sich nicht genau dort befindet, wo er sich laut der Checkliste, über die der Streckenposten verfügt, zu befinden hat, kann das im Notfall zu einem großen Problem werden.“ Ein weiteres Beispiel: Verfügt das Auto tatsächlich genau über die mit den Geräten des Rettungspersonals abgestimmten Halterungen und Vorrichtungen, um den Piloten im Notfall zusammen mit dem Fahrersitz schnell aus dem Auto holen zu können? Und noch mit vielen weiteren Details, an die man normalerweise nicht denkt, haben sich die Kommissare zu befassen. Heinz: „Wer weiß schon, ob die Halterung eines Abschleppkrans genau in die für das Abschleppen vorgesehene Öffnung des Autos passt? Wer weiß schon, ob der Kabel, der bei Bedarf ein davon fliegendes Rad zurückhalten soll, tatsächlich stark genug und auch richtig befestigt ist? Noch spannender gestalten sich die technischen Überwachungen: In welcher Zeit wird wie viel getankt? Warum ist das Auto um einen Zentimeter höher? Warum machen sich die Mechaniker ohne Erlaubnis am Getriebe zu schaffen? Besonders heikel ist die Überwachung der Reifen. Für jedes Rennauto steht pro Rennwochenende nur eine bestimmte Stückzahl an Reifen zur Verfügung. Mit diesen Reifen muss jeder Pilot auskommen, und zwar vom freien Training und den Qualifikationsrennen bis hin zum eigentlichen Wettkampf. „Dank eines elektronischen Lesegerätes und eines Codierungssystems können wir genau und blitzschnell feststellen, ob die Reifen auch zu den Gestatteten gehören“, so Heinz Unterholzer.
Die 4 Tage in Monza seien Schwerarbeit gewesen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kommissare über jegliche Tätigkeit genauestens Protokoll führen müssen. Protokolle, die unter Umständen auch den Rennkommissaren in Streitfragen als Entscheidungshilfe dienen können.
Die Rennautos in den Boxen dürfen von den Kommissaren in der Regel nie allein gelassen werden. Und was geschieht über Nacht? Heinz Unterholzer: „Wir decken die Autos mit Planen zu und bringen Plomben an.“
Nicht entgangen ist Heinz Unterholzer natürlich die Meisterleistung der Ferrari-Mechaniker, die am 12. September nur 3,4 Sekunden brauchten, um dem Auto von Fernando Alonso neue Reifen zu verpassen und ihm so zum Sieg zu verhelfen.
Während Alonso, sein Teamkollege Felipe Massa und Jenson Button (McLaren) unmittelbar nach dem Rennen ihre ersten Stellungnahmen abgaben, waren Heinz Unterholzer & Co. noch damit beschäftigt, alle Rennautos, die in die Wertung kamen, zu wiegen und zu vermessen.
Mittlerweile sitzt Heinz wieder in seiner Werkstatt bzw. in seinem Büro in Schlanders und hat wieder etwas mehr Zeit für seine zweite große Leidenschaft: die Modelleisenbahnen.
Josef Laner