Die Historikerin Mercedes Blaas
Publiziert in 22 / 2003 - Erschienen am 20. November 2003
Mein absoluter Traumurlaub wäre, drei Wochen lang in einem Archiv verbringen zu können!" Wenn Mercedes Blaas von ihrer Arbeit als Historikerin spricht, wird sofort spürbar, mit welcher Leidenschaft sie sich dieser Aufgabe hingibt.
Als Kind hat sich ihr Weg bereits abgezeichnet, denn durch ihren Vater, einen Ortschronisten, kam sie sehr früh in Kontakt mit alten Quellen. Auch ein fähiger Geschichtslehrer war für sie Inspiration, und so entstand sehr früh der Wunsch, sich beruflich mit Geschichte zu befassen, wobei Mercedes dabei zuerst jedoch an den Lehrerberuf dachte. So besuchte sie nach der Mittelschule das Klassische Lyzeum in Bozen. Hier lernte sie Latein, eine Sprache, die sie für ihre Arbeit als sehr wichtig einstuft. Nach der Matura begann Mercedes in Innsbruck Geschichte und Germanistik zu studieren. Für ihre Dissertation befasste sie sich mit dem Thema des letzten Churer Bischofs in Tirol, und für Recherchen fuhr sie für zwei Wochen ins Bischöfliche Archiv nach Chur. Diese Arbeit bildete den Einstieg in ihre Tätigkeit als Historikerin. Die Erinnerungen an damals sind in ihr noch sehr lebendig, und so erzählt sie mit einem Schmunzeln: "Ich war da also in diesem Archiv, und der Archivar legte mir die Abschrift des Briefverkehrs des Bischofs und der Tiroler Priester, die von den Bayern verfolgt wurden, vor. Ich war sehr aufgeregt, da traf es mich wie ein Schlag: Ich konnte diese alte Schrift nicht lesen. Der Archivar meinte nur, das wäre doch eine sehr schöne Schrift, und so konnte ich am ersten Tag in acht Stunden nur wenige Zeilen entziffern!" An den nächsten Tagen sei es dann immer besser geworden, und der anfängliche Frust wich der Freude, diese alte Schrift lesen zu können. Im Gespräch wird klar, dass diese erste Begegnung mit Originalquellen für Mercedes ein Schlüsselerlebnis gewesen sein muss. Auf die Frage, was diese Faszination denn ausmache, erhalte ich eine präzise Antwort. Es ist die Arbeit mit den unmittelbaren Quellen, die sie so sehr reizt. Sie ermöglichen es, Neues erarbeiten zu können. Dieses Gefühl wird noch verstärkt, wenn es sich dabei um das Heimattal, den Vinschgau handelt. Nach dem Erwerb des Doktorats an der Universität führt Mercedes noch ihr Magisterstudium zu Ende, das in Österreich Voraussetzung für die Unterrichtstätigkeit ist, denn zu diesem Zeitpunkt wird ihr klar, dass sie in Innsbruck bleiben möchte. Kurz vor Abschluss erhält sie dann das Angebot für die Lektorenstelle in einem wissenschaftlichen Verlag. Diesen Beruf übt sie nach wie vor aus und sieht darin auch einen Vorteil für ihre wissenschaftliche Tätigkeit, da ein Schwerpunkt des Verlagsprogrammes historische Literatur über Tirol ist. Leider bleibt ihr nicht genügend Zeit, sich in dem Ausmaß mit der Geschichte des Vinschgaus zu befassen, in dem sie dies gerne täte, denn gerade in dem Bereich könnte noch sehr vieles erarbeitet werden: Die Geschichte des Vinschgaus wurde lange Zeit recht stiefmütterlich behandelt. In den letzten Jahren hat sich aber der Präsident des Südtiroler Kulturinstitutes, Dr. Marjan Cescutti, bemüht, diesem Forschungsdefizit in seiner Lieblingslandschaft in Südtirol abzuhelfen, und eine Reihe von Publikationen initiieren können, die sich mit der Vergangenheit des Tales befassen. Dafür konnte er Autoren gewinnen, die sich mit den noch nicht erforschten Quellenbeständen befassen, wie etwa Rainer Loose oder eben Mercedes Blaas. Obwohl Mercedes im Ausland lebt, besucht sie sehr gerne ihre Familie in Mals und spaziert dann mit ihrem Vater durch den alten Dorfkern und bewundert die alten Häuser. Vielleicht ist in Zukunft auch eine Arbeit zur Geschichte von Mals geplant, verrät sie mir noch am Ende dieses faszinierenden, kurzweiligen und sehr gemütlichen Gespräches.
Mercedes Blaas hat diverse Vorträge im Vinschgau und in der Schweiz über historische Themen, vor allem aber über ihr Spezialgebiet, die Calvenschlacht 1499 und die Geschichte der Gotteshausleute im Vinschgau, gehalten. Aus ihren zahlreichen Publikationen sind vor allem zu nennen: ihre Dissertation mit dem Titel: "Die "Priesterverfolgung" der bayerischen Behörden in Tirol 1806-1809. Der Churer Bischof Karl Rudolf von Buol-Schauenstein und sein Klerus im Kampf mit den stattlichen Organen. Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1809", diverse Beiträge in der Zeitschrift "Der Schlern", diverse Publikationen zum Thema Calvenschlacht oder zu den Ereignissen um 1809, Arbeiten zu Vinschger Themen wie Kloster Marienberg, die Frauenpfarrkirche von Mals, das Dorfbuch von Laatsch und der erste Teil des Buches "Die Fürstenburg". Diese Auflistung umfasst jedoch nur einen kleinen und unvollständigen Teil der Arbeiten der Historikerin, bei der die Aufarbeitung der Geschichte des Vinschgaus eine zentrale Rolle spielt.
Andrea Perger