Die schreibende Hausfrau

Publiziert in 16 / 2002 - Erschienen am 29. August 2002
Ihr eisgraues Haar ist widerspenstig und steht wie die Stacheln eines Igels steif in die Höhe. Die grünen Augen blicken dem Besucher neugierig und durchdringend entgegen. Ihr Händedruck ist fest und sogleich sprudeln die ersten Obervinschger Worte aus dem Mund. Die Hände von Wilhelmine Habicher-Kuntner helfen, wie bei einem Dirigenten, kräftig mit. Die 75-jährige Malserin denkt nicht ans Ruhegeben und sich Zurücklehnen. Seit den 80er Jahren schreibt sie Mundartgedichte über den Vinschgau, seine Leute und deren Gebräuche. Die Radiosendung “Tirol isch lai oans” im Rai – Sender Bozen hat sie dazu inspiriert. “I hon déin Aufruaf an nuie Schraibr in Radio käart und miar denkt, deis konn i a amol probiarn”, erinnert sie sich. Und die Reaktion aus Bozen ließ nicht lange auf sich warten. Der Moderator der Sendung meldete sich am Telefon und fragte nach, ob sie noch mehr solcher Gedichte auf Lager hätte. Ganz überrascht sei sie über diesen Anruf gewesen. “Und nor hon i oungfongen zu schraibm, ober nit über eppas, was olle schraibm, nitt über schäane Bliamlan und Olmen”. Sie versuchte den Vinschgau anders zu sehen und prägte beispielsweise den heute gängigen Begriff des “Vinschger Flecklteppichs”. Dr Flecklteppich – richti guat gmischt – zoag, wia mai Hoamat, dr Vinschgau, isch. A bißl va olls probiari z’drzeiln; van Scheanen, van Letzn, van Schintn, van Weirn. Das ausführliche Gedicht findet sich im Buch "Dr Vinschger Flecklteppich, Bozen 1989". Ihr Sprachgefühl und ihre Gewandtheit für das Deutsch wurden - seltsamerweise - in der Zeit des italienischen Faschismus gefördert. Wilhelmine besuchte die Katakombenschule in Mals und hatte das Glück, bei der außergewöhnlich kompetenten Deutschlehrerin Antonia Menardi zu lernen. Deshalb langweilte sie sich während der Deutschkurse für Optanten sehr. “I hon jo schun olz kennt”, so Wilhelmine. “Obr schun sellm hot man mi versuacht mit Aufsetz in Dialekt méiglichscht long zu beschäftign”, denn die temperamentvolle Wilhelmine hätte ansonsten für Unruhe in der Klasse gesorgt. Nach dem 2. Weltkrieg arbeitete Wilhelmine als Hilfslehrerin in Schlinig, Matsch und auf den Runhöfen (Matsch). Nach der Heirat mit Heinrich Habicher musste sie auf seinem Wunsch hin das Lehren aufgeben. So wurde aus ihr eine “Hausfrau” die neben ihren fünf Kindern, den Hausgästen und dem Garten noch Zeit fand, ihre Umgebung bis ins Detail zu beobachten und ihre Gedanken niederzuschreiben. Wilhelmine bezeichnet sich selbst als “schreibende Hausfrau”. “Di Temen folln uan jo grot ins Haus, denn Moler, Fotografn und Schraibr häarn und sechn mear als ondre Lait”, überlegt sie. Ihr kesses Mundwerk fürchten so manche Zeitgenossen. “Wos i denk, sell sog i a”, denn Wilhelmine will Klarheit und das können nicht alle gut leiden. Bisher hat sie in drei Bücher all das reingepackt, was sie sagen will: “Der Vinschger Flecklteppich”, “Wundrsupp und Fratschlgräascht” und “Der Bergpfarrer Toni”. Aber es gab nicht nur Lob. Viel Kritik musste sie für ihre eigenwillige Schreibweise einstecken. Sprachforscher wie der Pusterer Egon Kühebacher wollten und konnten sich nicht mit ihrer Niederschrift des Obervinschger Dialektes anfreunden. “I hatt ‚höbm’ stott ‚heibm’ schraibm solln”, ärgert sich Wilhelmine. Ihre Stimme wird lauter, grad’ so wie ihre Hände es dirigieren. Die resolute Vinschgerin wollte ihr Manuskript “Dr Vinschger Flecklteppich” aus dem Verlag zurückziehen. “Denn dia Schraibwais konn i maine Lait nitt ountäan”, kontert sie und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Bei dieser Beharrlichkeit musste der Herausgeber Prof. Alfred Gruber vom Südtiroler Autorenverlag klein beigeben und das Buch erschien in Wilhelmines gewünschter Schreibweise. Zfriidnhait – Zfriidn isch nitt, weer mäa kriag, mäa hott; zfriidn isch deer, deer in ondrn aa eppas lott! aus: Wilhelmine Habicher-Kuntner, Wundrsupp und Fratschlgräascht, Brixen 1993. In ihrer zweiten Publikation veränderte Wilhelmine ihre Schreibweise nochmals. “Wia i in Obervinschger Dialekt häar, assou schraib in”, hat sich Wilhelmine zur Aufgabe gemacht. Die 26 Buchstaben des Alphabets reichen dafür nicht aus. Sie versucht mit “punktierten” Buchstaben (z. B. déin für diesen) die sprachlichen Grenzen zu sprengen. Für “schön” schreibt sie nicht “schean”, sondern “schäan” und für werden “wäarn”. Das ungewöhnliche Schriftbild fordert den Leser und seine Konzentration. Die Gedichte können nicht so einfach überflogen und dann weggelegt werden. Und das ist gut so. “Deis wos i schraib, solln di Lait verschtäan”, wünscht sich Wilhelmine Habicher-Kuntner. Zur Zeit arbeitet sie am vierten Gedichtband. Ihre Hände streichen durchs Haar, glätten es ein wenig und sinken dann auf die Tischplatte nieder. Andrea Kuntner
Andrea Kuntner
Andrea Kuntner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.