Dorothea Oberegelsbacher

Euterpe – die Muse der Freude

Publiziert in 2 / 2005 - Erschienen am 3. Februar 2005
Franziska empfindet keine Freude mehr. Seit einer schweren Erkrankung in der Pubertät ist sie gehirngeschädigt und behindert. Sie mag sich selbst nicht mehr und möchte oft nicht mehr leben. Heute ist das grüne kurzärmelige Leibchen ihr Problem. Es hat einen kleinen Schmutzfleck. Franziska ist verzweifelt. Nun ist es an Dorothea Oberegelsbacher, der Musiktherapeutin, Franziska aus ihrer Verzweifelung zu locken, ihr grünes Leibchen wieder makellos zu machen, damit Franziska sich wieder freuen kann. Dorotheas Kommunikationsmittel sind Trommel, Glöckchen, Gongs, Gitarre, Stimme und vieles mehr. Sie versucht nun gemeinsam mit Franziska dieses für sie schreckliche Erlebnis nochmals musikalisch zu durchleben und zu verarbeiten. Die Patientin wählt die passenden Instrumente aus. Das grüne makellose Leibchen klingt wie Glöckchen, dann werden die Trommeln geschlagen, für den Ärger und Schrecken, denn nun hat sich ein dunkler Fleck gebildet und Franziska fühlt sich schlecht. Und wie klingt die Waschmaschine, die das Leibchen reinigt? Sehr rhythmisch, ganz so wie sich die Waschtrommel dreht, einmal in die eine, einmal in die andere Richtung. Mit der szenischen Darstellung solcher für Behinderte oftmals belastenden Situationen versucht Dorothea eine Beziehung herzustellen und Lösungen anzubieten. Oft in musikalischer Version oder auch mit Texten unterlegt. "Wichtig ist der Aufbau des Selbstwertes und das Gefühl des Angenommenseins zu fördern", so erklärt Dorothea Oberegelsbacher ein Ziel ihrer Arbeit. Seit 25 Jahren arbeitet die Psychologin und Psychotherapeutin mit dieser Therapieform mittels Musik. Sie hat Musiktherapie in Wien studiert und unterrichtet mittlerweile auch dort an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Neben ihrer Privatpraxis arbeitet sie als Gastdozentin in Bozen im Lehrgang zur Ausbildung von Musiktherapeuten in Südtirol. Zudem ist sie Referentin bei Fachkongressen in Verona und in den Sommermonaten in Assisi anzutreffen. Dort leitet sie Ausbildungsgruppen für Musiktherapie. Ihre Wurzeln hat Dorothea im Vinschgau, in Schlanders. Dort wurde auch der Grundstein für ihre Arbeit gelegt. Die musikalische Familie Oberegelsbacher mit Vater August als Organisten und Kapellmeister, der sozial engagierten Mutter Frieda, Lehrerin, und dem Bruder Pauli, mit dem sie sich am besten über die Musik verständigen konnte. "Es waren zwei Schlüsselerlebnisse, die mich zur Musiktherapie führten", erinnert sich Dorothea. Die Entdeckung, dass man mit der Musik Menschen vorbehaltlos begegnen kann, die hat sie durch ihren Bruder Pauli gemacht, mit dem Sprechen nicht gut möglich war, aber über die Musik war das Trennende aufgehoben. Das zweite Schlüsselerlebnis widerfuhr ihr mit einer Klavierlehrerin, Margit Schild, die sie in den Jugendjahren auch menschlich besonders gefördert hatte. Die Musik hat eine heilsame Wirkung und wird in der Zeit der Dauerberieselungen in Supermärkten und Wartesälen oftmals verkannt. In ihrem Buch "Il potere di Euterpe" findet man 50 Jahre Erfahrung der Musiktherapie in einige hundert Seiten gepackt. Die beiden Autorinnen Dorothea Oberegelsbacher und Giovanna Rezzadore haben ihr Wissen niedergeschrieben. Einmal heißt es dort: "Therapie und Rehabilitation ist das Abenteuer des fast Erreichbaren". Ein anderes Mal wird festgestellt, dass Euterpe, die griechische Muse der Freude, im Unterricht und in der Therapie oft vernachlässigt wird. Das schwierige an der langjährigen Arbeit als Musiktherapeutin besteht unter anderem darin, den Zugang zur "eigenen" Musik nicht zu verlieren, persönliche Bedürfnisse zu pflegen, sich abzugrenzen und die Empathie zu erhalten. “Einfach auf die eigene Gesundheit achten”, resümiert Dorothea, “und nicht die Freude am Musizieren verlieren.” Die französische Psychologin Francoise Dolto sagte: "Kinder mit schweren Behinderungen und geistigen Rückständen stellen wegen ihrer Fähigkeit zu leiden einen unverzichtbaren Wert dar. Sie zeigen uns, wie man mit Leiden umgeht und sie sind deshalb wichtig für unsere Gesellschaft, damit die Solidarität erhalten bleibt."
Andrea Kuntner
Andrea Kuntner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.