Kuno Kaserer

„Ich muss das Urteil annehmen, als gerecht empfinde ich es aber nicht“

Publiziert in 23 / 2005 - Erschienen am 30. November 2005
Fünf Jahre lang hat der „Lawinenprozess Kuno Kaserer“ gedauert. Vor wenigen Tagen zog das Kassationsgericht in Rom einen endgültigen Schlussstrich. Es bestätigte das Urteil des Oberlandesgerichtes und somit die Verurteiung des Bergführers Kuno Kaserer aus Partschins. „Ich muss das Urteil annehmen, als gerecht empfinde ich es nicht“, sagte Kuno Kaserer am 23. November auf einer Pressekonferenz auf der Haselburg in Bozen. Vertreter von Bergführer- und Alpenvereinsorganisationen aus Südtirol und Österreich zeigten sich schwer enttäuscht. Das Kassationsurteil könnte negative Auswirkungen auf das Skibergsteigen und Varianteskifahren insgesamt haben. Ausgehend vom Unfalltag am 19. November 2000 bis herauf zum jetzigen endgültigen Urteilsspruch ließ Kuno Kaserer seine fünf Prozess- und Leidensjahre Revue passieren. Am genannten 19. November vor fünf Jahren hatte er mit einem Freund gut einen halben Tag lang den Neuschnee auf dem Schnalstaler Gletscher genossen. Die Verhältnisse seien gut und sicher gewesen. Kuno Kaserer beschloss, von der Grawand durch die Kurzenkaarrinne abzufahren. Er kannte diese Rinne. Er war sie schon Tage und Wochen zuvor gefahren. „Nach dem zweiten Schwung löste sich ein Schneebrett“, führte Kaserer weiter aus. Rund 300 Meter tiefer löste sich ein zweites Schneebrett. Dieses überrollte als Staublawine eine noch nicht für die Skisaison präparierte Piste. Personen kamen nicht zu Schaden. „Ich fuhr sofort auf einem Ski zum Unfallort ab, um zu schauen, ob möglicherweise Personen verschüttet wurden,“ sagte Kaserer. Er sei direkt vom Lawinenkegel „weggebeten“, von den Carabinieri in Kurzras verhaftet und in Handschellen in das Gefängnis nach Bozen gebracht worden. Zwei Tage lang saß er dort ein. Ein Pflichtverteidiger habe ihn vor die Wahl gestellt, entweder einem außergerichtlichen Vergleich zuzustimmen oder sich auf einen Prozess einzulassen. „Ich folgte meinem Herzen, das mir sagte ‚du warst nicht fahrlässig gegen Dritte’ und ließ mich auf den Prozess ein“, führte Kaserer vor den Medien aus. Die Lawinengefahr am Unfalltag war vom Eidgenössischen Institut für Lawinenforschung im Nachhinein (Gerichtsgutachten Jürg Schweizer) als mäßig bis erheblich angegeben worden. Zitat aus dem Gutachten: „Die Wahrscheinlichkeit, dass in den untersten Gefahrenstufen (gering, mäßig, erheblich) eine Lawine abgeht, ist in den meisten Fällen sehr gering bis gering, das heißt, es passiert in den wenigsten Fällen etwas. Die Lawine ist also eher die Ausnahme“. Jürg Schweizer hielt auch klar fest, dass der Lawinenabgang nicht voraussehrbar war“. Was Kuno Kaserer von Anfang an vehement bestritt, war, die Lawine fahrlässig ausgelöst zu haben. Schon allein die Gefahrenstufe „erheblich“ besage, dass das Auslösen einer Lawine möglich und eben nicht wahrscheinlich sei. Voller Freispruch im ersten Prozess Im ersten Prozess an der Außenstelle Schlanders des Landesgerichtes Bozen hat Richter Stefan Tappeiner den Angeklagten Kuno Kaserer frei gesprochen. „Der Freispruch basierte ganz entscheidend auf den Aussagen von Experten“, sagte Kaserer. Den Vorwurf der spezifischen Fahrlässigkeit (Missachtung des Schildes „Lawinenhand“) hat Stefan Tappeiner mit der Feststellung entkräftet, dass es sich dabei nicht um ein Verbots-, sondern um ein Hinweisschild handle. Verurteilung im zweiten Prozess Sofort nach dem Freispruch reichte Staatsanwalt Giancarlo Bramante Rekurs ein. An der Außenstelle Bozen des Oberlandesgerichtes Trient (Vorsitz: Giuseppe Bisignano, Senatsmitglieder: Manfred Klammer und Pietro Merletti) wird Kuno Kaserer zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung und zur Übernahme der Prozesskosten verurteilt. Am Oberlandesgericht sei das Hinweisschild als Verbotsschild ausgewiesen worden. Jürgen Schweizer hatte im Gegenteil dazu bereits im Zuge des Ersturteils festgehalten, dass es sich um ein Warn- bzw. Hinweisschild handelt, dessen Bedeutung international verankert ist, und nicht um ein Verbotsschild: „Zweck des Schildes ist es, den Skifahrer darauf hinzuweisen, dass er nunmehr gesichertes Gelände verlässt und für seine eigene Sicherheit und die Einschätzung der Lawinengefahr selbst zuständig ist.“ Trotz dieser Experten-Gutachten fiel das Zweiturteil anders aus. Zitat aus der Urteilsbegründung: „...und um die Lawinengefahr in diesem Fall zu erkennen (= nicht ausschließen zu können), braucht es nicht etwa eine besondere Erfahrung und schon gar nicht einen Experten, sondern es genügt der einfache Hausverstand. Auch jemand, der noch nie in seinem Leben eine Skitour unternommen hat, versteht, dass die Kombination extreme Steilheit des Geländes plus große Mengen von Neuschnee plus plötzlicher Temperaturanstieg eine Lawinengefahr in sich birgt“. Kassation bestätigt Verurteilung Mit dem endgültigen Kassationsurteil, das nun die Verurteilung bestätigt hat, muss Kuno Kaserer jetzt zwar leben, als gerecht aber empfinde er es keineswegs. Dieses Urteil mache das Skibergsteigen und Varianteskifahren bei Lawinenwarnstufe „erheblich“ zu einer fahrlässigen Handlung. Das Urteil betreffe all jene, die die Berge lieben, und die wissen, dass diese Liebe mit Gefahren verbunden ist. Gemäß dem Urteil muss Kuno Kaserer auch die Pozesskosten tragen. Diese dürften sich auf bis zu 40.000 Euro oder noch mehr belaufen. Die Reaktionen Als „vorsintflutartige Pauschalierungen“ bezeichnete Michael Larcher, Ausbildungsleiter für den Bergsportbereich im Österreichischen Alpenverein und Chefredakteur der Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport „bergundsteigen“, das Zweiturteil im Fall „Kuno Kaserer“. Es nicht nachvollziehbar, dass der Freispruch im Ersturteil, der auf Gutachten international anerkannter Experten fuße, im zweiten Prozess plötzlich auf den Kopf gestellt werde. Die jüngsten Entwicklungen in der Lawinenkunde seien schlichtweg ignoriert worden. Der Ansicht namhafter Experten, wonach der Lawinenabgang nicht vorhersehbar und somit auch keine Fahrlässigkeit gegeben war, sei plötzlich nicht mehr Rechnung getragen worden. Auch Michael Larcher unterstrich, dass Hinweisschildern gemäß internationaler Vereinbarungen keine Verbotsschilder sind. In Österreich sei der Lawinenprozess mit großer Aufmerksamkeit mitverfolgt worden: „Die Nachricht von Kuno Kaserers Verhaftung hat uns alle schockiert. Solche Maßnahmen sind weder in Österreich, noch in Deutschland oder in der Schweiz denkbar“. Bitter enttäuscht von der endgültigen Verurteilung gab sich auch Luis Vonmetz, Erster Vorsitzender im Alpenverein Südtirol. Experten-Gutachten aus drei Ländern seien ignoriert worden. Vonmetz verwies auch auf die hohen Prozesskosten, die Kuno Kaserer zu tragen hat, sowie auf den Imageschaden für Südtirol, zu dem es gekommen sei, speziell infolge der Verhaftung Kaserers. „Nach Südtirol braucht ihr gar nicht mehr hineinzufahren, denn dort sperren sie dich ein“, soll es laut Vonmetz nicht nur in Österreich geheißen haben. Dem Alpenverein bereite die endgültige Verurteilung große Sorgen, denn es seien negative Auswirkungen für den gesamten Skitourismus zu befürchten. „Für mich als Bürger ist es völlig unverständlich, dass die Gutachten von Experten aus aller Welt in einem Prozess ausschlaggebend sind und in einem weiteren offenbar nichts mehr gelten“, sagte Othmar Prinoth, der Präsident des Südtiroler Berg- und Skiführerverbandes. Er stellte auch klar, dass die Gefahrenskala, die von Stufe 1 bis Stufe 5 reicht, „für uns zwar eine wichtige Mitteilung ist, aber eben nur eine Mitteilung und kein Verbot“. Jeder habe für sich zu entscheiden, wie er mit dieser Mitteilung umgehe und wo er Skitouren unternimmt. „Ich für meinen Teil unternehme auch Skitouren bei Stufe 5“. Zu bedenken gab Prinoth zudem, „warum es nicht auch im Zusammenhang mit dem Pistenfahrzeug zu einer Verurteilung gekommen ist, das im Auftrag der Skiliftgesellschaft am Unfalltag im Einsatz war“. Ohne Kuno Kaserer wäre es in Kurzras nicht zu einer Lawinen-Absicherung der Parkplätze gekommen. Franco Capraro, der Präsident des italienischen Alpenvereins CAI, gab sich von der Verurteilung Kuno Kaserers zwar ebenfalls enttäuscht, sagte aber, dass man jetzt wohl oder übel daran gehen müsse, aus diesem Urteil eine Lehre zu ziehen. Mit dieser Ansicht ging Capraro deutlich auf Distanz zu den bis dahin geäußerten Meinungen. „Eine Polemik will ich aber nicht heraufbeschwören“, sagte er. „Ist denn bei jedem Unfall zwingend ein Täter notwendig?“, fragte der Referent für Alpinwesen im AVS, Hubert Mayrl. Das Urteil im Fall Kuno Kaserer sollte nicht als Präzendenzfall Schule machen. Thomas Aichner, der als persönlicher Freund von Kuno Kaserer mit diesem in den vergangenen zwei Jahren viele Berg- und Skitouren unternommen hat, meinte, dass jetzt der Gesetzgeber gefragt sei. Welche Konsequenzen es aus gesetzgeberischer Sicht geben werde, sei offen. Luis Vonmetz sagte, „dass es bereits Gespräche mit unseren Vertretern in Rom gegeben hat und weiterhin geben wird“. Zu Kuno Kaserer sagte Thomas Aichner: „Das Pferd ist tot, du kannst jetzt absteigen. Lege das ‚Paktl’, das du fünf Jahre lange getragen hast, jetzt ab.“
Josef Laner
Josef Laner

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