„Kind in dr Wonn”
Publiziert in 22 / 2006 - Erschienen am 11. Oktober 2006
Vom 12. bis zum 14. Oktober findet im Stadttheater Sterzing der Internationale Kongress „Geburtshilfe im Wandel“ statt. Das 2000ste im Wasser geborene Baby wird in diesen Tagen im Sterzinger Krankenhaus erwartet. Albin Thöni, in Tartsch geboren, Primar der Gynäkologie, hat die Wassergeburt populär gemacht. Ein Portrait.
Schwimmen ist nicht unbedingt sein Hobby. Er fährt Ski und wandert. Liebt Blumen, fotografiert und geht gerne am Strand spazieren: näher kommt Albin Thöni, Primar der Gynäkologie am Sterzinger Krankenhaus, dem Element Wasser auf privater Ebene nicht. Ganz im Gegenteil: Hoher Seegang macht ihn blass, vor tiefem Wasser hat er Angst. Auf dem Segelboot, von Ischia nach Neapel, freuen sich die Italienischen Kollegen: „Wäre ja lustig“, spotten sie, „wenn der Wasserdoktor unterging“. Er selbst muss ja nicht eintauchen: das machen die gebärenden Frauen, denen er seit rund zehn Jahren zum Geburtserlebnis im Wasser verhilft. Albin Thöni ist „der Wasserarzt“. Beim Zuschauen der Wissenschaftssendung „Universum“ des Österreichischen Fernsehens stößt er auf seine persönliche Goldmine – die sich in weniger als zehn Jahren als goldener Fund auch für rund 2000 werdende Mütter erweisen wird: Aufmerksam geworden durch den Verhaltensforscher Desmond Morris stößt Thöni wieder und wieder auf das Gebären im Wasser. In Palermo, auf dem Internationalen Gynäkologenkongress, ist es dann soweit: Den Vertreter einer Geburtswannen-Firma spricht er endlich an: „Die Zeit war reif. Auch dazu, bei uns alles umzugestalten“.
„Weiß nicht, aus welchem Sack ich sie ziehen soll“
Der Fortbestand der Abteilung selbst wurde zum politischen Gespräch: „In einer Landtagssitzung erörterte der Landeshauptmann die Frage, ob eine Abteilung mit nur 250 Geburten im Jahr überhaupt tragbar sei“. Im eigenen Einzugsgebiet des Krankenhauses erfolgen nicht mehr als 200 bis 230 Geburten. Damals sagte er: „Ich weiß nicht, aus welchem Sack ich sie ziehen soll“. Letztlich sei es ein Ansporn gewesen, neue Wege aufzuzeigen. „Damit das Erlebnis der Geburt auch für die Frauen in schöner Erinnerung bleibt“. Er verwandelt gemeinsam mit den Schwestern und Hebammen die Räume. Mittlerweile ist das Sterzinger Krankenhaus eine der wenigen „stillfreundlichen“ Institutionen. Gebärende kommen in den letzten Jahren aus dem Trentino, aus dem Veneto, um bei ihm in die Wanne steigen zu können: „Im Sterzinger Umfeld ist der Großteil der werdenden Mütter für eine Geburt in unserem Haus. Vielleicht weniger als fünf Prozent sagen: ‚lass mich mit dem Wasser in Ruhe‘“. Thöni und sein Team verstehen sich als Dienstleistungsbetrieb, um den Wünschen der Frauen entgegenkommen zu können. Nach der 100. Wassergeburt stellt er Erhebungen an, mittlerweile hat er über 100 Publikationen in fünf Sprachen veröffentlichen lassen. „Spanisch“, sagt er, „kommt noch“. Dass sein Englisch eher rudimentär ist, stört ihn sehr: „Ich habe Griechisch und Latein gelernt.“ Der Klosterschüler, der von 1960 bis 1965 bei den Benediktinern auf Marienberg war, gibt zu: „Bauer wollte ich nie werden. Und die soziale, helfende Komponente habe ich unter anderem Marienberg zu verdanken“. Eine Berufung zum Priester verspürt er nicht, höchstens als Missionar. „Interessanterweise sagt man jetzt auch, ich sei ein Missionar. Nicht für die Seelen, sondern für die Frauen und die Wassergeburt.“ Er ist viel unterwegs für die Wassergeburt, im deutschen und italienischen Sprachraum, nach Polen reist er und spricht auf Kongressen.
Landgeburt in Tartsch
Eintönig erschien ihm die klösterliche Erziehung, „einen größeren Horizont musste man sich schon selbst aneignen“. Zu würdigen weiß er die Zeit auf Marienberg dennoch: „Die deutsche Sprache kann ich schon“. Lektor vieler seinerPublikationen ist der aus Prad stammende und in Berlin lebende Autor Toni Bernhart. „Der Taliban der Deutschen Sprache weist mich immer wieder auf meine Vinschger Wurzeln hin“. „Kind in dr Wonn, s’Goggele in dr Pfonn, koa Mensch frogg, wia long“ dichtet Bernhart für den Wasserdoktor, „man könnte auch sagen: Wossrkindr, ollm gsinder!“ Dass die Kinder gesünder zur Welt gebracht werden, stimmt nicht, wohl aber, dass Frauen eine angenehmere Geburt erleben. „Schlimm ist es“, so Thöni, „wenn eine so bereichernde Erfahrung wie das Gebären als schrecklich abgespeichert werden muss“. Seine eigene Mutter wanderte – schwanger mit ihm, dem fünften von sechs Kindern – von Prämajur durch den Wald nach Mals zur Hebamme, um ihn im Tarscher Elternhaus auf die Welt zu bringen. „Wenn ich bedenke, dass sie mit Wehen zwei Stunden alleine marschiert ist, was hätte da alles passieren können...“ Der Primar, selbst Vater von fünf Kindern, kämpft heute nicht mehr mit zu wenig Gebärenden auf der Station: „Ganz im Gegenteil“, klagt er, „die Frauen sind richtig fixiert auf die Wassergeburt. Wir müssen einige wegschicken“. Im April 2007 könnte er in Pension gehen: „es ist ein gutes Gefühl, sagen zu können, man kann gehen“. Dass er nicht gehen wird, liegt nahe. Er organisiert nicht ungern seine Kongresse: auf den kommenden in Sterzing ist er sichtlich stolz.
Mit dem Vinschgau, so sagt er, verbindet ihn vor allem sein Akzent. Er ist auf 1700 Metern Meereshöhe aufgewachsen – mit „Horizonten, die in die Weite gehen“. Heute noch trifft er sich mit seinen Kollegen der „Alt-Marienberger“. Und liebt vor allem die Vinschgauer wegen ihrer sturen Köpfe, die ihr Ziel erreichen.
Katharina Hohenstein