„Lebe die Berufung“
Publiziert in 13 / 2005 - Erschienen am 7. Juli 2005
Nach 34 Jahren feierte die Pfarrgemeinde Schlanders am 3. Juli wieder eine Primiz, jene von Christoph Wiesler. Der Jungpriester, Jahrgang 1978, wurde nach Abschluss seines Theologiestudiums im Oktober 2004 zum Diakon geweiht. Am 26. Juni erfolgte die Priesterweihe in Brixen und eine Woche später die Primizfeier in Schlanders.
„Der Vinschger“ hat mit dem Primizianten ein ausführliches Gespräch geführt:
„Der Vinschger“: War Ihr familiäres Umfeld prägend für die Entscheidung zum Priestertum?
Christoph Wiesler: Ich komme aus einer durchschnittlich religiösen Familie, in der meine Eltern und meine Großmutter einen gesunden Glauben an einen guten Gott vorlebten. Sie und meine Heimatpriester sind die prägendsten Gestalten für meine persönliche Christusnachfolge.
„Der Vinschger“: Ist eine religiöse Praxis in der Familie eine Voraussetzung für die Berufung?
Christoph Wiesler: Nicht unbedingt. Berufung kann auch dann verspürt werden, wenn zuhause keine Religiosität gelebt wird, aber ein religiöses Elternhaus erleichtert sicher diesen Weg.
„Der Vinschger“: Wollten Sie immer schon Priester werden oder gab es auch ganz profane Berufsvorstellungen?
Christoph Wiesler: Als Bub wollte ich Pfarrer werden, obwohl ich nie Ministrant war. In der Mittelschulzeit interessierte mich mehr die Land- und Forstwirtschaft. Deshalb habe ich die Landwirtschaftliche Oberschule in Auer besucht.
„Der Vinschger“: Da gab es sicher auch Mädchenbekanntschaften?
Christoph Wiesler: Ja, natürlich hatte ich normale Freundschaften mit Mädchen und Mitschülerinnen. Aber es war keine dabei, die ich mir als Lebenspartnerin hätte vorstellen können.
„Der Vinschger“: Und wenn es den Zölibat nicht gäbe?
Christoph Wiesler: Seit über 1000 Jahren besteht die Verpflichtung der Ehelosigkeit in der katholischen Kirche. Der zölibatäre Priester lebt in dieser radikalen Lebensform, auch um auf etwas zu verzichten. Ich glaube, es wären nur einige wenige Priester mehr, wenn der Zölibat aufgehoben würde.
„Der Vinschger“: Es sind vorwiegend die Frauen und Mütter, die Religion leben und weitergeben. Wäre ein Frauenpriestertum für Sie denkbar?
Christoph Wiesler: Frauen sind in der Glaubensvermittlung, aber auch in Pfarrgemeinderäten und katholischen Organisationen nicht wegzudenken. Frauen als Priesterinnen sind für mich zum momentanen Zeitpunkt unvorstellbar.
„Der Vinschger“: Wieso wird die Institution Kirche heute so in Frage gestellt?
Christoph Wiesler: Unsere Gesellschaft hat eine allgemeine Abneigung gegen Institutionen entwickelt. Auch politische Parteien und andere große Institutionen tun sich heute schwer, Anhänger zu finden. Es gibt sicher mehrere Gründe, warum gerade die Kirche so viele Menschen nicht mehr anspricht. Zum einen ist die Kirche in den Medien schlecht präsent. Im deutschsprachigen Raum, Südtirol ausgenommen, ist eine zunehmende mediale Aggression der Kirche gegenüber spürbar. Zum anderen spricht die Institution Kirche nicht mehr die Sprache der heutigen Zeit. Besonders junge Menschen sind so in ihrem Muster verhaftet, dass die Kirche keinen Zugang findet.
„Der Vinschger“: Wie sehen Sie dann die Zukunft?
Christoph Wiesler: Auf Westeuropa kommt noch eine große Umwälzung zu. Neben christlichen Werten werden in den nächsten Jahrzehnten auch Traditionen und Kulturen verloren gehen.
„Der Vinschger“: Inwieweit hat Sie die „Causa St. Pölten“ berührt?
Christoph Wiesler: Wir waren alle sehr betroffen und haben auch im Seminar darüber diskutiert, welch großer Schaden der Kirche, die als moralische Instanz auftritt, zugefügt worden ist. Trotzdem muss man auch die sündigen Glieder an ihrem Platz lassen, denn es wird nie die perfekte Kirche geben.
„Der Vinschger“: Wie fanden Sie das Verhalten der Kirche beim Referendum vom vergangenen Mai?
Christoph Wiesler: Ich vertrete die Meinung, die Kirche soll sich nicht unbedingt in die Tagespolitik einmischen. Sie hat aber, wie jeder noch so kleine Verein, das Recht, ihre Meinung und Empfehlung zu bestimmten Themen abzugeben.
„Der Vinschger“: Sie werden mit 1. September eine Kooperatorenstelle in Mals antreten. Was haben Sie für ein Gefühl dabei?
Christoph Wiesler: Mir ist wichtig, jeden Tag jene Aufgaben erledigen zu können, die anfallen. Häufig ist nicht das Außergewöhnliche der Normalfall, sondern das Alltägliche. Auf das freue ich mich.
„Der Vinschger“: Ich danke Ihnen für dieses offene Gespräch.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher