Meine ersten Schritte in der Südtirol-Politik

Publiziert in 44 / 2010 - Erschienen am 9. Dezember 2010
Der Festakt auf Schloß Tirol am 5. September 2010, bei dem ich mit elf anderen Persönlichkeiten den Großen Verdienstorden des Landes Südtirol erhalten habe, und in dessen Rahmen Landeshauptmann Luis Durnwalder in seiner Laudatio meinen lang­jährigen Einsatz für Südtirol gewürdigt hat, erinnert mich an meine ersten Schritte in der Südtirolpolitik. Es war im November 1954. Ich war damals junger Legationssekretär im Wiener Außenamt und leitete seit wenigen Wochen das Südtirol-Referat in der Politischen Abteilung des ­Ministeriums. Der Tiroler Landeshauptmann Ökonomierat Alois Grauss hatte zu einer ersten Besprechung im Gasthof „Wilder Mann“ in Lans bei Igls für den 20. November 1954 eingeladen. Von Tirol waren u.a. der Tiroler Nationalratsabgeordnete Univ.-Prof. Franz Gschnitzer und aus Südtirol Kanonikus Michael Gamper, damals Chefredakteur der Dolomiten, der neugewählte Landesobmann der SVP und Kammer­abgeordnete Toni Ebner sen. sowie zwei weitere Abgeordnete der SVP im italienischen Parlament, der Schlanderser Rechtsanwalt Karl Tinzl sowie Otto von Guggenberg (Brixen) anwesend. Als Vertreter der Wiener Regierung war an sich Außenminister ­Leopold Figl eingeladen, der aber anscheinend kein Interesse daran (und als Niederösterreicher auch keinen besonderen Be­zug zu Südtirol) hatte, oder vielleicht tatsächlich verhindert war. So wurde ich beauftragt, als Vertreter des Außenamts an der Besprechung teilzunehmen. Das ohnehin nur dürftige ­Pariser Abkommen vom 5. September 1946 war von Italien nur unzureichend erfüllt worden. Die Südtiroler Abgeordneten im Römischen Parlament waren, ohne konkrete Erfolge, bemüht, Verbesserun­gen durchzusetzen. Auch die ständigen Interven­tionen der österreichischen Botschaft in Rom fruchteten wenig. Österreich hatte damals, als vierfach besetzter Staat, kaum eine effektive Möglichkeit, interna­tional aktiv zu werden. Bei der Besprechung in Lans wies Landeshauptmann Grauss darauf hin, dass es an der Zeit sei, dass sich auch Österreich wieder eingehend mit der Südtirol-Frage befasse. Die erfolgte Lösung des Problems von Triest und die bevorstehende Regelung der Saak-Frage erinnerten daran, dass auch der jetzige unbefriedigende Zustand in Süd­tirol einer Änderung bedürfe. Der Zweck der Besprechung sei es, zu prüfen, inwiefern Österreich in der Lage sei, die Südtiroler Abgeordneten, die gegenwärtig mit der italienischen Regie­rung in Unterhandlung stehen, zu unterstützen. Karl Tinzl sprach im Namen der Südtiroler Abgeordneten und unterstützte die Ausführungen des Herrn Landeshauptmanns. Kanonikus Gamper wirkte nachdenklich, er hat wenig gesprochen und mehr aufmerksam zugehört. Was er gesagt hat, war sach­lich und überlegt, seine Worte hatten aber Gewicht und wurden von den Teilnehmern ernst genommen. Meine Aufgabe war es, den Vertretern von Nord- und Südtirol zu erklären, dass Österreich in der derzeitigen weltpolitischen Situation nicht viel mehr tun könne, als die österreichische Botschaft in Rom ständig zu Interven­tionen im römischen Außenministerium anzuhalten. Also eine im Ergebnis unbefriedigende Rolle, die ich zu spielen hatte. Von den damaligen Teil­nehmern an der Besprechung bin ich heute der einzige Überlebende. Übrigens, mein erster „offizieller“ Kontakt mit Süd­tiroler Politikern hatte bereits drei Monate vorher, im August 1954, stattgefunden. Ich war gerade auf Urlaub bei meinen Eltern in Obermeis und die Parteileitung der SVP, die damals ihren Sitz in der Villa Brigl in Gries bei Bozen hatte, hat mich zu einer ersten Begegnung eingeladen. Man wollte offensichtlich den jungen Südtiroler, der vor einem Jahr den Dienst im Wiener Außenamt angetreten hatte, kennenlernen. Wer alles anwesend war, weiß ich nicht mehr; ich erinnere mich aber an Karl Tinzl und Friedl Volggar, die ich bereits gekannt hatte, sowie an Kanonikus Michael Gamper. Erst nach dem Abschluss des Staatsvertrag von Wien vom 5. Mai 1955 sollte eine Wende eintreten. Österreich hatte durch den Staatsvertrag seine volle Unabhängigkeit und Souveränität erhalten und konnte nunmehr auch in der Südtirol-Frage aktiv werden. Die weiteren Schritte sind bekannt: bereits ab 1956 massives Drängen Österreichs Italien gegenüber auf Verhandlungen zu einer echten Erfüllung des Pariser Abkommens; 1957, Großkundgebung auf Schloß Sigmundskron mit der Forderung eines „Los von Trient“ und der Schaffung einer echten Landesautonomie für Südtirol; 1960/1961, Spreng­stoffanschläge in Südtirol; 1960, Befassung der Vereinten Nationen durch Österreich; 1961, Schaffung der Neunzehner-Kommission durch Italien; Paket-Verhandlungen zwischen Österreich und Italien und gleichzeitig zwi­schen Landeshauptmann Magnago und den jeweiligen italienischen Mi­nisterpräsidenten (Moro, Andreotti, Colombo); 22. November 1969, Annahme des Pakets auf einer außerordentlichen Landesversammlung der SVP in Meran; weitere Verhandlungen und Gespräche über die Durch­führung des Pakets; 11. Juni 1992 Streitbeilegungserklärung zwischen Österreich und Italien. Damit begann die auch heute noch anhaltende Erfolgsgeschichte Südtirols, die nunmehr weitgehend von den Südtirolern selbst getragen wird. Als aus dem Vinschgau stammender Südtiroler erfüllt es mich mit großer Befriedigung, dass ich – neben vielen anderen – an der Entstehung und Weiterentwicklung dieser Erfolgsgeschichte mitwirken konnte. Franz Matscher

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