Hans-Günter Lätsch vor seinem Zuhause in Schlanders.

Mit dem Stilfserjoch fing alles an

Publiziert in 44 / 2010 - Erschienen am 9. Dezember 2010
Schlanders/Frankfurt am Main – Er war noch ein ­kleiner Bub, als Hans-Günter Lätsch einen seiner Onkels immer wieder von der Stilfserjochstraße schwärmen hörte. Sein Onkel war Zahnarzt und ­einer der ersten, die in den 20er Jahren in Dresden mit einem Automobil unterwegs waren. Das war wohl auch der Grund, warum er sich für die Kurven dieser berühmten Passstraße so sehr interessierte. Wovon sein Onkel nur geträumt hatte, wurde für Hans-Günter wahr: „Zu meinem 30. Geburtstag am 14. September 1960 wollten ich und meine Frau Irene eine besondere Reise unternehmen. Wir sahen uns die Landkarte an, entdeckten das Stilfserjoch und fuhren mit unserem ­grauen VW Käfer von Frankfurt am Main aus los,“ erinnert sich der pensionierte Gymnasiallehrer. Er feierte am vergangenen 14. September den 80. Geburtstag, und zwar in Schlanders, wo er sich seit 50 Jahren daheim fühlt: „Ich lebe zwar in Frankfurt, zu Hause aber bin in Schlanders.“ Als er mit seiner Frau im September vor 50 Jahren im luftgekühlten VW Käfer das Stilfserjoch „erklimmen“ wollte, kam er nur bis ungefähr zur Hälfte, denn es begann ziemlich stark zu schneien. Auf der Franzenshöhe stießen Irene und Hans-Günter auf drei junge Leute, die sie kurzerhand nach Schlanders einluden, wo es ein gutes Quartier gäbe. Auf diese Weise landete das junge Paar zum ersten Mal beim „Schupferwirt“. Den Morgen danach hat Hans-Günter noch immer vor Augen und auch in der Nase: „Wir wurden von einem sonderbaren, lauten Lärm geweckt. Es war das ­Kreischen des Sägewerks, das beim Schweitzer schon in aller Früh in Betrieb war. Den Geruch des frisch gesägten Holzes habe ich heute noch in der Nase. Wir waren die einzigen Gäste beim Schupferwirt, die Sonne schien, die Glocken läuteten, es war ein herrlicher Tag und für uns stand sofort fest: diesen Ort werden wir öfter aufsuchen.“ Zwei- bis dreimal pro Jahr ­kamen Irene und Hans-Günter ab 1960 alljährlich nach Schlanders. Zunächst war es der Schupferwirt, wo sie die Gastfreundschaft genossen, später war es die Goldene Rose, wo für die Gäste aus Frankfurt immer ein Spezialzimmer bereit stand. Zwischen der Wirtsfamilie Franz und Lina Wielander und der Familie Lätsch entstanden rasch freundschaftliche Verbindungen. Anemone und Annette, die Zwillingstöchter von Irene und Hans-Günter, kamen ebenfalls ab dem Jahr ihrer Geburt (1964) regelmäßig mit ihren Eltern nach Schlanders, das für die Familie immer mehr zur zweiten Heimat wurde. Hans-Günter kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als Irmgard, die spätere Frau von Franz Wielanders Sohn Klaus, ihren Dienst als Bedienung in der Goldenen Rose angetreten hat. Klaus und Irmgard Wielander sind mittlerweile ge­storben. Anemone und Annette waren als kleine Mädchen Mitglieder des Sportclubs Schlanders und haben auf Schöneben das Skifahren gelernt. Damals gab es noch keine Umlaufbahn, man fuhr mit dem Auto über die Straße hinauf. Um die Not, die hierzulande in den 60er und 70er Jahren teilweise vorherrschte, etwas zu lindern, hat vor allem Irene Lätsch immer wieder versucht, tatkräftig zu helfen. Sie sammelte zusammen mit ihrem Mann und Freundinnen in Frankfurt Sach- und Geldspenden, um diese besonders bedürftigen Familien in Schlanders zu übergeben. Die Familie Lätsch brachte die Spenden mit einem VW Bus von Deutschland nach Schlanders. Geholfen wurde unter anderem der Familie am Pernui-Hof am Sonnenberg, wo es zu einem Großbrand gekommen war. Auch den damaligen Familien auf den Höfen Kopfanegg und Hasler am Nördersberg wurde geholfen. Enge Bekanntschaft schlossen die Lätschs unter anderem auch mit der Waldenthaler-Lina am Sonnenberg. Die berühmten Sprüche der Waldenthalerin kann Hans-Günter bis heute auswendig: „Die Liebe, die vergisst man, und dann, was frisst man?“ oder „Von Hemdsärmel zu Hemdsärmel sind es oft nur drei Generationen.“ Auch in Frankfurt setzte sich Hans-Günter für seine Wahlheimat Schlanders ein. Nach seiner ersten Tätigkeit als ­Lehrer war er 1953 von Dresden nach Frankfurt gezogen, wo er im Herzen der Stadt seine eigene Fahrschule eröffnete und 20 Jahre lang betrieb. Parallel dazu studierte er und wurde­ schließlich Gymnasiallehrer für Mathematik und Chemie. Außerdem hatte er vom Bischof von Fulda die „Missio canonica“ erhalten, also die Beauftragung der römisch-katholischen Kirche mit Verkündigungs- und Lehraufgaben. Den Lehrerberuf übte er aus, bis er 66 Jahre alt war. An den Schaufenstern der „Fahrschule Lätsch“ betrieb Hans-Günter bereits seit 1967 Werbung für das Feriengebiet Schlanders. Er hängte Prospekte und großflächige Plakate aus. Als Anerkennung dafür verlieh ihm 10 Jahre später der damalige Verkehrsverband Schlanders eine Auszeichnung. Das wohl wichtigste Zeichen dafür, dass die Familie Lätsch in der Gemeinde Schlanders ihre Wahlheimat gefunden hat, war der Erwerb der alten Mühle­ am Mühlbach im Ortszentrum von Schlanders. Aus der Mühle wurde ein gemütliches Häuschen, in dem es sich gut sein lässt. Dass der Mühlbach im dortigen Bereich nicht zu geschüttet wurde, ist dem Protest von Hans-Günter Lätsch und weiterer Anrainer zu verdanken. „Es war gut, dass der Bach hier offen geblieben ist. Ohne sein Rauschen könnte ich nicht einschlafen,“ so der rüstige 80-Jährige. Irene ist 1983 in Frankfurt gestorben. Hans-Günter ließ sie nach Schlanders überführen und im Ortsfriedhof beisetzen. Auch dieser Umstand bezeugt, wie sehr der Familie Lätsch die Gemeinde Schlanders ans Herz gewachsen ist. Den Beweis dafür, dass er nicht nur ein guter Fahrlehrer war, sondern immer noch ein guter Autofahrer ist, belegt eine Anerkennung der besonderen Art, die ihm am 5. Juni 2010 die Verkehrswacht Frankfurt zukommen ließ. Zumal er 60 Jahre lang unfallfrei gefahren war, durfte der „Superfahrer“ - so wurde er in der Frankfurter Presse genannt - eineinhalb Stunden lang mit einem Niederflurstraßenbahnwagen in Dresden fahren. Die Erlaubnis dazu hat er, und zwar schon seit seiner Zeit in Dresden, als er bei den Dresdner Verkehrsbetrieben - der damals einzigen Fahrschule - den Führerschein in allen Klassen erwarb. Und noch ein Detail zum ­Autofahren: Als Hans-Günter zum erstem Mal auf das Stilfserjoch fuhr, gab es in manchen Kehren in unmittelbarer Nähe von Wasserläufen noch angekettete Gießkannen. Mit diesen konnten die Fahrer von wassergekühlten Autos Wasser nachschütten. Dass der Name Lätsch mit Latsch zu tun hat, ist mehr als eine Vermutung. Hans-Günter: „Mein Vater, der bei der Lufthansa war und Stammbaumforschung betrieb, stieß auf alte Urkunden und Dokumente, in denen von einem gewissen Georg von Lätsch die Rede ist.“ Das „von“ sei nicht als Adelstitel zu verstehen, sondern bezeichne die Herkunft: aus ­Lätsch. Er selbst habe in Urkunden erforscht, dass man die zwei Punkte deshalb auf das „a“ gesetzt habe, weil das Wort kurz gesprochen wird, im Gegensatz zu „Laatsch“, das bei Mals liegt. Hans-Günter glaubt, dass seine Vorfahren vor langer, langer Zeit möglicherweise über Wege der Deutschordensritter vom Vinschgau nach Deutschland gelangt sein könnten.Besonders am Herzen liegt Hans-Günter seit jeher die Förderung des Kulturlebens. Den Rimpfhöfen hat er in der Vergangenheit schon mehrfach Leben eingehaucht, etwa mit Kunstausstellungen und dem Erlebnis- und Kulturaufenthalt von Jugendlichen aus Deutschland. „Der Jugend muss man eine Zukunft öffnen, aber nicht eine der Abguckerei, sondern eine, in der die jungen Menschen Kraft finden, um Neues und Gutes zu schaffen.“ Worüber sich Hans-Günter seit seinem Hiersein in Schlanders besonders freut und wofür er auch dankbar ist, „ist das angenehme, freundschaftliche und herzliche Verhältnis mit den Schlandersern. Dafür kann ich nur einen Tiroler Spruch anführen: ‚Ein altes DANKE ist ein neues BITTE’.“ Zu seinen besonderen Leidenschaften zählt auch die Oper. Hinter dem Kürzel „HL“, unter dem im September 2009 im „Vinschger“ eine viel beachtete Rezension zur Oper „Der Barbier von Sevilla“ erschien, aufgeführt im Kulturhaus Schlanders am 4. September 2009, verbirgt sich Hans-Günter ­Lätsch.
Josef Laner
Josef Laner

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