Die Musikkapelle überraschte die 100-jährige Berta Tappeiner mit einem Ständchen; Foto: MS

Sie erlebte die Kronen, die Lira und den Euro

Publiziert in 19 / 2011 - Erschienen am 18. Mai 2011
Laas – Wenn jemand noch weiß, wie österreichische Kronen und Heller aussahen, darf man von dieser Person annehmen, dass sie einiges erlebt und mitgemacht hat. Als Südtirol 1918 an das Königreich Italien fiel, war Berta Tappeiner 7 Jahre alt. Zu dieser Zeit musste sie zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Jörg jeden Abend den Schweinetrog zur Etsch tragen, um ihn im ­Wasser zu waschen. Bertas Kindheit war sicher entbehrungsreich, aber wohl auch schön. Vor Autos jedenfalls war man damals sicher, auch in Laas. Der 100. Geburtstag von Berta fiel genau mit dem Muttertag am 8. Mai 2011 zusammen. „Und weil die Berta auch uns gehört“, wie der „Großer Franz“ meinte, wurde ihre Geburtstagsfeier zu einem kleinen Dorffest. Neben ihren Verwandten, Freunden und Bekannten feierte auch die Dorfgemeinschaft mit. Die ­älteste Laaserin bestand darauf, zu Fuß von ihrem Zuhause in der Kugelgasse bis zum Friedhof zu gehen, wo ihr Mann Paul Stimpfl seit 1984 ruht. Berta geht sonst auch immer zu Fuß, etwa beim wöchentlichen Einkaufen im Konsum, beim Bäcker und beim Metzger. Sie lebt noch völlig ­eigenständig, verrichtet alle Arbeiten, die ihm Haus anfallen, selbst, interessiert sich für alles, liest gerne Zeitungen und Bücher, strickt Socken für ihre Enkelkinder und hat es gar nicht gern, wenn ihr jemand beim Tragen der Einkaufstaschen helfen will: „Das mach ich schon selbst.“ Den Gottesdienst in der Pfarrkirche, den Pfarrer Artur Werth zelebrierte, gestalteten der ­Kirchenchor und der Dreigesang „Anreiter“ mit einem Marienlied mit. Heiner Lechner, fast schon 80 und einer ihrer Schüler, sagte an der Kirchentür ein Gedicht für seine einstige Lehrerin auf. Die Zahl der Gratulanten beim anschließenden Umtrunk auf dem Kirchplatz ist groß. Die ­Musikkapelle mit Obmann Michl Grasser überrascht die Jubilarin mit einem musikalischen Ständchen. Bürgermeister Andreas Tappeiner überreicht ihr einen Blumenstrauß und der Dorfbäcker Andreas Tröger eine Brez’n in Form der Zahl 100. Zum Mittagessen begeben sich Berta, die Verwandten und mehrere Ehrengäste in den Gasthof „Schwarzer Adler.“ Geschenke will die Jubilarin keine an­nehmen: „Spendet lieber für die Tarneller Kirche“, hatte sie sich schon im Vorfeld gewünscht. Für diesen Zweck sind immerhin 1.600 Euro eingegangen, darunter auch Spenden, die der Friseur Franz Schönthaler am Nach­mittag beim kleinen Zeltfest auf ­Laretz II, dem Geburtsort von Berta, von all jenen bekam, denen er freiwillig die Haare verschnitt. Das festliche Treiben wurde mit Ansprachen und Anek­doten angereichert, über welche die Jubilarin selbst am meisten lachen musste. Ihre Energie und Lebensfreude sind schier unerschöpflich. Beim Gartenfest wartete der Dreigesang „Anreiter“ übrigens mit Jodler-Stücken auf. Berta hat nicht nur die Kronen überlebt, sondern auch das ganze Zeitalter der Lira und der Centesimi. Nach dem Besuch der Volksschule in Laas lernte sie in Meran das Kochen. Daraufhin war sie Dienstmädchen bei der Lehrerin Franziska Kaserer („Tant Litti“) in Schlanders. 1928 ging sie mit „Litti“ für mehrere Jahre nach Mailand. Nach ihrer Rückkehr nach Laas unter­richtete sie 2 Jahre lang heimlich als Katakombenlehrerin in 3 Stuben in Laas. Nach der Optionszeit folgte die Ausbildung als Lehrerin. 1943 heiratete sie in Meran den aus Bozen stammenden Lehrer Paul Stimpfl, der später lange Zeit Schuldirektor in Schlanders war. Als 1945 Bertas erster Sohn Wilfried auf die Welt kam, brach sie ihren Beruf als Lehrerin ab. Ein Jahr später wurde Waltraud geboren, 1951 Franz. In den Rhythmen der Natur sind 100 Jahre nur ein Klacks. Für eine Menschenleben ist es eine sehr lange Zeit, vor allem wenn man sich vor Augen führt, wie sich die Welt von 1911 bis 2011 verändert hat. Berta hat immer Schritt gehalten. Mit der Um­stellung auf den Euro hat sie sich leichter getan als so manch Jüngerer. Was aber nicht heißt, dass sie die Heller vergessen hat, denn sie weiß noch gut, wie sie und ihre ältere Schwester Sefa - es waren insgesamt zwölf Kinder in der Familie - gemeinsam eine Geldtasche hatten. Und wenn genug Heller beisammen waren, gingen sie gemeinsam Strümpfe kaufen.
Josef Laner
Josef Laner

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