Renate Telser

Unbekannte Sportlerin

Publiziert in 30 / 2007 - Erschienen am 5. September 2007
Prad/Turin – Sie ist hübsch, sie ist sehr sportlich und eine Vinschgerin, aber kaum jemand kennt sie: Renate Telser. Von sich reden machte die 31-­jährige Praderin unlängst wegen ihrer erfolgreichen Teilnahme an der Jeantex-Tour-Transalp an der Seite des Kortscher Radsportlers Andreas Gemassmer. Von Bruder Edmund Telser ins Gespräch gebracht, hatte sie anfänglich selbst kaum an ein gutes Abschneiden gedacht, letztlich dann aber um nur eine Minute den dritten Platz in der Kategorie Mixed verpasst. Und das nach 18.800 Höhenmetern und 861,9 km. Das ärgert die ehrgeizige und konsequente Sportlerin, die seit Geburt an gehörgeschädigt ist. Und doch verrät das Strahlen in ihren grünen Augen, wie zufrieden und glücklich sie ein solches Radrennen macht. „Während des Sports vergesse ich meine Behinderung, da fühle ich mich frei und vergesse meine Probleme“, erzählt sie. Die Kommunikation ist nicht einfach. Renate liest mir die Worte von den Lippen ab, einige Fragen schreibe ich auf, ihre Mutter vermittelt bei Missverständnissen. Aufgewachsen mit den beiden Brüdern Edmund und Adrian, behauptet sich Renate, indem sie ihnen nacheifert, mit­sportelt. Anfänglich war es das Langlaufen, das sie zwischen 1991 und 2000 trainierte. Später wechselte sie zum Radsport und war auch einige Zeit in einer Mannschaft mit Eva Lechner, ihrem großen Vorbild und Schützling ihres Bruders Edmund. Sie bevorzugt das Rennrad gegenüber dem Mountainbike, weil sie sich insbesondere bei den Abfahrten auf ersterem sicherer fühlt und besser das Gleich­gewicht halten kann. Im Jahr 2000 lernte Renate Telser bei den Italienmeisterschaften für Gehörlose ihren Partner Luigi kennen und zog zu ihm nach Turin, wo sie mit ihm gemeinsam ihre Trainingsrunden fährt. Sie fühlt sich in der Großstadt wohl, erklärt Renate, denn für Gehörgeschädigte ist das Leben auf dem Lande manchmal sehr einsam. Es gibt kaum Gesprächspartner, d.h. kaum Gehörgeschädigte, mit denen sie sich in der Gebärdensprache bzw. über Lippenlesen verständigen kann. In der Stadt ist dies anders, obwohl Renate in Prad kaum Verständigungsprobleme hat, kennt sie doch jeder. Ihre Mutter legte von Anfang an viel Wert darauf, dass Renate möglichst selbstständig durchs Leben kommt, trotz Behinderung. Heute ist Renate eine selbstbewusste Frau. So hat sie, kaum dass sie 18 war, den Führerschein gemacht und liebt es, Auto zu fahren, unabhängig zu sein. Sie macht den Eindruck, dass sie weiß, was sie will. Auf ihre Zukunftspläne bzw. auf die nächste Transalp angesprochen, lächelt sie vielsagend. Sie hat diverse Angebote, erzählt sie, und sie werde es sich überlegen. Aber als Zuhörer spürt man ihre Begeisterung und zweifelt kaum an ihrer nächsten Teilnahme, zu sehr strahlt ihr Gesicht, wenn sie von der Heimetappe von Naturns kommend über das Stilfserjoch spricht. Ihre Euphorie ist zum Greifen. Ähnlich muss sie sich heuer auch bei den Deaflympics, der Oympiade für Gehörlose, in Salt Lake City gefühlt haben. Im Teamsprint holte sie mit ihrer Teamkollegin die Bronzemedaille, beim Massenstart über 10 km reichte es für einen fünften, über 15 km Freistil für einen siebten Rang. Für sie ist es einfach ein gutes Gefühl, gemeinsam mit anderen Sport zu betreiben. Schade, dass wir von ihr und ihren Erfolgen bis jetzt so wenig gehört haben. Zwar hat sie als Teenager eine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin absolviert, aber zurück in diesen Beruf möchte sie nicht. Am liebsten wäre ihr, natürlich, sie könnte ihr sportliches Hobby mit einer Arbeit verbinden. Aber derzeit scheint nichts in Aussicht. Feststehen indes bereits die nächsten Termine: Im September geht es zur Italienmeisterschaft im Mountainbike für Gehörlose in Rom, im März nächsten Jahres ist sie bei der Langlauf-Europameisterschaft in Innsbruck dabei. Gern kommt sie nach Prad, gern kehrt sie zurück nach Turin, nicht nur weil dort ihre gehörgeschädigten Freunde leben, sondern auch, weil sie als gehörgeschädigte Sportlerin in Südtirol kaum Unterstützung erfährt, in Turin schon. Andrea Kuntner
Andrea Kuntner
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