Weihbischof Franz Grave

„Wer sich an Gott hält, wird von ihm gehalten“

Publiziert in 31 / 2008 - Erschienen am 10. September 2008
Laas – Weihbischof Franz Grave aus Essen verbringt seit Jahren den Sommerurlaub in Laas. Er hat inzwischen Land und Leute kennen und ­schätzen gelernt. Bischof Grave ist seit 1991 Vorsitzender der ­Bischöflichen Kommission Adveniat. Als solcher war er immer wieder in Lateinamerika und kennt die dortige Situation wie kein anderer. Ich durfte ihm einige Fragen stellen. „Der Vinschger“: Die Säkularisierung der Gesellschaft scheint voranzuschreiten. G.K. Chesterton hat gesagt: „Seitdem die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht etwa an nichts, sondern an alles.“ Trifft eine solche Aussage zu? Bischof Grave: Die Säkularisierung ist ein Phänomen, das unsere Gesellschaft in allen Lebensbereichen erfasst hat und prägt. In einer solchen Situation ist der Glaube nicht mehr selbstverständlich und vom Milieu getragen. Christ ist, wer sich bewusst zum Glauben bekennt und Profil zeigt. Darin liegt auch eine große Chance, durch das persönliche Zeugnis die Bedeutung des Glaubens an Gott für die Gesellschaft und die Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben herauszustellen. Es gibt deutliche An­zeichen dafür, dass der Glaube an Gott wieder an Bedeutung gewinnt. Viele Menschen spüren, dass sie sich selbst nicht Halt geben können. Wer sich aber an Gott hält, der wird auch von ihm gehalten. Schwindet der Einfluss der Religion durch den materiellen Wohlstand? Sind Wohlstand und Reichtum natürliche Feinde der Religion? Bischof Grave: Das glaube ich nicht. Der Mensch braucht zum Menschsein und zur Sicherung der Zukunft eine ausreichende wirtschaftliche Grundlage. Und die sollte nicht knapp und eingrenzend sein. Wer heute in unserer Gesellschaft bestehen will, muss die dazu notwendigen materiellen Mittel be­sitzen. Insofern ist der Wohlstand nicht Feind der Religion. Aber es gibt eine Verabsolutierung der Wohlstandsgesellschaft und damit verbunden ein „ungebremstes“ Konsumverhalten. Darin liegt eine große Gefahr, dass der Konsum zum beherrschenden Lebensideal erhoben wird und alle anderen Werte dem Konsum untergeordnet werden. Das Wort des Evangeliums entlarvt diese Ein­stellung: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“. Wir haben mehr zu bieten als nur materielle Befriedigung. Der Priestermangel ist in Deutschland noch stärker spürbar als in Südtirol. Was könnte, sollte, müsste die Kirche dagegen tun bzw. was tut sie? Wäre die Weihe so genannter Viri probati ein Ausweg? Bischof Grave: Es stimmt: Die Priesterzahlen sind rückläufig und wir müssen die Seelsorge mit immer weniger Priestern gestalten. Da gilt es zunächst daran zu erinnern, dass die Priesterfrage für die Kirche eine Existenzfrage ist. Wir brauchen dringend Priester, auch in Zukunft, und ich will nicht verschweigen, dass Priestersein ein faszinierender Beruf ist. Aber wir müssen auch die Frage stellen: Was will Gott uns mit dieser Mangelsituation sagen? Ganz sicher will er uns hinweisen auf die große Bedeutung der Laien. Die aktive Einbeziehung der Laien hat schon große Fortschritte gemacht, und viele hauptamtliche Laienmitarbeiter übernehmen eigenverantwortlich wichtige Dienste in der Pastoral. Die Hauptamtlichen haben vor allem die Aufgabe, die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, nach dem Grundsatz: Hauptamtliche um der Ehrenamtlichen willen! Die Frage nach der Lebensform der Priester ist eine gesamtkirchliche Angelegenheit. Ich kann mir vorstellen, dass die Weihe von „Viri probati“ eine Möglichkeit ist, die Mangelsituation abzuschwächen. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass das 2. Vatikanische Konzil eine Art Wiederentdeckung des ­diakonalen Weiheamtes auch für Verheiratete vorgenommen hat. Damit ist ein Weg geöffnet worden, der für die Zukunft der Kirche Bedeutung haben könnte. Im Bistum Essen wurden auf Grund des Priestermangels Pfarreien aufgelöst und Großpfarreien mit 40.000 und mehr Einwohnern gebildet. In Süd­tirol geht man daran, Seelsorgseinheiten zu bilden. Eine gute Lösung? Bischof Grave: Im Bistum Essen haben viele Probleme wie z. B. die demographische Entwicklung, der Priestermangel und auch die finanzielle Lage die Verantwortlichen gezwungen, einschneidende Maß­nahmen zu treffen. Die Schuhgrößen – wenn ich dieses Bild gebrauchen darf – hatten sich eben geändert und das kann für die Strukturen nicht ohne Folgen bleiben. Sie müssen passen, wenn sie der Seelsorge dienlich sein sollen. Die neue Pfarreienstruktur ist auf die besondere Art des Bistums Essen – das fast nur Großstadtbistum ist und die Entfernungen zwischen den Kirchen betragen durchwegs nicht mehr als zwei km – zugeschnitten und versucht die vorhandenen Personalkräfte zu konzen­trieren und zugleich zu differenzieren. Klar ist jedenfalls, dass nicht mehr alles, was bisher für selbstverständlich gehalten wurde, auch in Zukunft möglich ist. Hier denke ich besonders an die Zahl der hl. Messen. Sind sie wirklich alle nötig? Ich vermute, dass der Weg der Bildung von Seelsorgseinheiten, wie in Südtirol begangen, ähnliche Ziele verfolgt. Als Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat kennen Sie die Situation in ­Lateinamerika wie kein anderer. Die Problematik der illegalen Einwanderung beschäftigt Sie auch sehr. Italien handelt verschärft dagegen, es hat sogar den Notstand ausgerufen. Guter Rat teuer? Bischof Grave: Die modernen Wanderungsströme in Lateinamerika habe ich aus nächster Nähe beobachtet. Ich bin dankbar, dass die kirchliche Pastoral dort die Menschen konsequent auf einem risikoreichen Weg begleitet. Ohne diese Begleitung wären die Menschen total ihrem Schicksal überlassen. Die Migranten sind natürlich keine Abenteurer! Es ist die Not, die perspektivlose Armut, die sie zum Aufbruch in die Fremde treibt. Damit sind große menschliche Belastungen verbunden, wenn z.B. der Ehepartner und Vater mit seinem armseligen Gepäck Abschied nimmt in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Die bittere Not und Armut sind die treibenden Ursachen für die wachsende Zahl der Migranten. Im Zeit­alter der Globalisierung kommt es darauf an, durch weltweite Solidarität und eine gerechte Weltwirtschaft die Lebensverhältnisse vor Ort zu verbessern. Ist das gerecht, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung unter dem Existenzminimum leben? Für Christen ist Globalisierung vor allem eine Offensive der Globalisierung von Solidarität. Eine „Notstandspolitik“ passt nicht in dieses Konzept! Die Menschenrechte verpflichten die Staaten und Institutionen zu humanem Handeln. Sie haben das „Theater“ mit dem gekreuzigten Frosch im Museion in Bozen mitbekommen. Viele Leserbriefe, den Hungerstreik eines Politikers usw. hat es gegeben. Was sagt ein deutscher Bischof dazu? Bischof Grave: Als Außen­stehender habe ich die zahlreichen Leserbriefe und andere Stellungnahmen zur Kenntnis genommen. Daraus entnehme ich, dass die Darstellung des gekreuzigten Frosches viele Menschen in ihren religiösen Empfindungen betroffen und verletzt hat. Hier stellt sich ganz entschieden die Frage, ob Darstellungen – wenn sie als Provo­kation gedacht sind – dann nicht die Grenzen künstlerischer Freiheit überschreiten. Zudem ist zu überprüfen, ob die Verletzung religiöser Gefühle und Überzeugungen im Blick auf die Verfassung rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen muss. Im Übrigen begrüße ich es sehr, dass hier im Lande Christen für ihre Überzeugung deutlich eintreten. Interview: Hermann Schönthaler
Hermann Schönthaler

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