Dr. Barbara Plagg, Mitglied RSV-Expert:innengruppe der EFCNI (European Foundation for the Care of Newborn Infants)

RS-Virus bei Kindern: Anstieg der Infektionen auch in Südtirol wahrscheinlich


 In ganz Europa stecken sich immer mehr Säuglinge und Kleinkinder mit dem RS-Virus (Respiratorisches Synzytial-Virus) an. Dieses saisonale Virus verursacht Erkrankungen der Atemwege. In Deutschland warnen Kinderkrankenhäuser vor einer Überlastung, Frankreich und Spanien haben bereits den epidemischen Notstand ausgerufen. Auch in Südtirol dürfte es zu einer baldigen Zunahme der RSV-Infektionen kommen. Das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Boze

- Was ist das RS-Virus? 
Fast 90% aller Kinder infizieren sich in den ersten beiden Lebensjahren mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). „Weltweit ist das RS-Virus die häufigste Ursache für Infektionen der Atemwege bei Kindern. Wenngleich die meisten Infektionen mild verlaufen, kann es insbesondere bei Babys und Kleinkindern auch zu schweren Verläufen kommen, deswegen ist RSV eine der Hauptursachen für Krankenhauseinweisungen“, unterstreicht Dr. Barbara Plagg, Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health des Universitären Ausbildungszentrums für Gesundheitsberufe Claudiana in Bozen. „Prinzipiell können Menschen jeden Alters durch das RS-Virus krank werden, bei gesunden Erwachsenen verlaufen die Infektionen jedoch zumeist unkompliziert“, betont Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health und langjähriger Arzt für Allgemeinmedizin. 

Jahr für Jahr müssen weltweit ungefähr drei Millionen Kinder wegen einer Ansteckung mit dem RS-Virus stationär behandelt werden, drei Viertel davon sind Säuglinge unter einem Jahr. RSV-Infektionen treten zyklisch auf: In Mitteleuropa ist die Inzidenz von November bis April am höchsten, wobei sich der Gipfel der RSV-Saison ca. über vier bis acht Wochen erstreckt. „Wann genau der Höhepunkt eintritt, kann nicht eindeutig vorhergesagt werden“, erklärt Dr. Markus Markart, Primar der Pädiatrie im Krankenhaus Brixen. „Letztes Jahr ist der Höhepunkt aufgrund der Hygienemaßnahmen durch die Corona Pandemie bereits im November erreicht worden“, so Dr. Markart. Primar Dr. Alex Staffler und sein Team der Neonatologie und Neugeborenen-Intensivstation im Krankenhaus Bozen mussten letztes Jahr besonders viele kleine Patient:innen mit schwerwiegendem Verlauf betreuen. „Es war eine Herausforderung, aber wir konnten die Versorgung aller Patient:innen gewährleisten und mussten keine Babys in benachbarte Krankenhäuser unterbringen,“ so Dr. Staffler. Für die aktuelle Saison ist der Höhepunkt der Infektionsrate noch nicht erreicht. „Ein baldiger Anstieg der RSV-Infektionszahlen ist auch in Südtirol wahrscheinlich“, sagt Dr. Markus Markart. 

Wie infizieren sich Kinder mit RSV? 
„Wie bei der Grippe oder bei einer Erkältung verbreitet sich RSV durch Niesen oder Husten: Dadurch entstehen winzige infizierte Tröpfchen“, erklärt Dr. Barbara Plagg. „RSV kann auf harten Oberflächen und Gegenständen bis zu sechs Stunden überleben und infektiös bleiben, auf weichen Gegenständen (z.B. auf Handtüchern) ungefähr 45 Minuten und auf ungewaschenen Händen kann es schätzungsweise 20 Minuten überleben“, betont die Humanbiologin Dr. Plagg. 

Wie wird eine RSV-Infektion festgestellt? 
Eine laufende Nase, trockener Husten, Appetitmangel oder Hals- und Kopfschmerzen: Eine Ansteckung mit dem RS-Virus beginnt mit vertrauten und vielfach unterschätzten Anzeichen, die an eine Erkältung oder Grippe denken lassen. Wenn bei einem Baby unter sechs Monaten folgende Symptome auftreten, sollte die Kinderärztin/der Kinderarzt verständigt werden:

  • das Baby macht beim Atmen Pfeif- oder Keuchgeräusche
  • das Baby atmet schnell, flach und unregelmäßig
  • das Baby lehnt Stillen oder Saugen am Fläschchen ab
  • das Baby hat geweitete Nasenlöcher und/oder beim Versuch, Luft zu holen, sinken die Muskulatur und die Haut des Brustkorbs ein
  • das Baby hat steigendes oder hohes Fieber
  • wenn das Baby sehr müde ist, schnell atmet und dessen Lippen und Fingernägel bläulich gefärbt sind (Sauerstoffmangel), sollte der Notarzt verständigt werden 

Wie wird eine RSV-Infektion behandelt? 
Noch gibt es keine spezifischen Medikamente – behandelt werden derzeit nur Symptome, etwa das Fieber. „Nasenspülungen mit Kochsalzlösungen spülen den Nasenraum der Babys gründlich durch. Zudem sollte die Luft im Haus befeuchtet werden, z.B. mit feuchten Handtüchern auf Heizkörpern, Inhalationen können zusätzlich unterstützen – bei Babys sicherheitshalber nur einen Inhalator und kein heißes Wasser verwenden. Dem Kind sollte über den Tag verteilt Flüssigkeit zugeführt werden, gegebenenfalls kann dem Baby ein fiebersenkendes Medikament verabreicht werden“, informiert Dr. Barbara Plagg. Im Falle eines schweren Verlaufs muss dem Baby im Spital intravenös Flüssigkeit verabreicht werden. „Manchmal ist eine Atemunterstützung mit Luft oder Sauerstoff über Maske, Nasenbrille oder Nasenkanüle erforderlich. Wenn das Baby zu schwach ist, um selbstständig zu atmen, muss es mechanisch beatmet werden“, erklärt Dr. Plagg. Noch gibt es keine zugelassene aktive RSV-Impfung, sondern nur eine passive Immunisierung. Diese kostspielige und häufig zu wiederholende Immunisierung wird aktuell nur besonders gefährdeten Babys (z.B. Frühgeborenen) verabreicht. Das Pharmaunternehmen Pfizer meldet unterdessen schon positive Zwischenergebnisse seiner Impfstoffentwicklung. 

Kann eine RSV-Infektion vermieden werden? 
Durch das Einhalten der AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist unser Immunsystem mit weniger Infektions- und Krankheitserregern in Berührung gekommen. Milde oder asymptomatische Infektionen waren folglich seltener der Fall. „Häufiges Händewaschen, Kontakt zu größeren Personengruppen vermeiden, beim Husten und Niesen die Nase und den Mund bedecken, Oberflächen regelmäßig desinfizieren, auf strikte rauchfreie Umgebung beim Baby achten“, fasst Dr. Adolf Engl die Faustregeln der RSV-Prävention zusammen. Trotz Einhaltung dieser Vorsichtsmaßnahmen sei es allerdings nicht immer möglich, einer Ansteckung mit dem RS-Virus vorzubeugen, insbesondere wenn das Baby beispielsweise ein Geschwisterkind im Kindergartenalter hat, sagt Pädiatrie-Primar Dr. Markus Markart

Studie „ResQ Family“: Teilnahme auch in Südtirol möglich 
RSV-Infektionen treten sehr häufig auf, dennoch gibt es nur wenige Informationen über die Auswirkungen einer schweren Infektion auf die Lebensqualität der betroffenen Familien. Die Humanbiologin Dr. Barbara Plagg gehört seit einem Jahr der Expert:innengruppe der internationalen Studie „ResQ Family“ der EFCNI (European Foundation for the Care of Newborn Infants) an. „Das Ziel dieser Studie ist es, herauszufinden, wie sich eine Krankenhauseinweisung nach einer RSV-Infektion auf die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Familien auswirkt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sollen helfen, Eltern, das Gesundheitspersonal und die Öffentlichkeit für RSV und dessen Folgen zu sensibilisieren. Zudem sollen betroffene Familien gezielt unterstützt werden“, erklärt Dr. Barbara Plagg. 

An der internationalen Studie „ResQ Family“ können auch Südtiroler Eltern teilnehmen, deren Kind jünger als 24 Monate ist und sich derzeit im Krankenhaus befindet oder in den vergangenen vier Wochen aufgrund einer RSV-Ansteckung im Spital war. Die anonyme Datenerhebung findet bis Frühjahr 2023 mittels Online-Fragebogen statt: 

→ https://www.surveymonkey.de/r/K6TVY2B?lang=de 
„Die COVID-19-Pandemie hat Familien enorm belastet. Die RSV-Infektionen potenzieren diese Belastung. Daher unterstützt unser Institut die ResQ-Family-Studie, um dieses für die öffentliche Gesundheit wichtige Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen“, betont Dr. Adolf Engl, Präsident des Südtiroler Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health. „Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen ist in der Gesundheitsforschung wichtig, denn Wissenschaft braucht auch Internationalität. Unser ,junges’ Institut schafft den Spagat zwischen Forschungsprojekten vor Ort und internationaler Vernetzung, um in einem freien Diskurs wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen“, schließt Dr. Engl. 

Institut für Allgemeinmedizin

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