Wir müssen – jetzt – handeln!
Das energiepolitische Konzept des SEV für die neue Legislaturperiode
- In den kommenden fünf Jahren stehen in der Energiepolitik wichtige Entscheidungen an, die nicht nur Energieproduzenten und Energieverteiler betreffen, sondern alle Haushalte und Unternehmen in unserem Land. Der Südtiroler Energieverband SEV hat ein energiepolitisches Konzept mit grundsätzlichen Positionen, Zukunftsstrategien und zahlreichen konkreten Maßnahmen entwickelt, mit dem in der Produktion und im Marktdesign eine Energieautonomie erreicht werden kann und die Einhaltung der Ziele des Klimaplans Südtirol 2040 möglich ist. „Als Dachverband unserer Energiewirtschaft wollen wir die neue Landesregierung mit unserer Expertise unterstützten. Wir müssen jetzt handeln. Energiepolitischen Stillstand können wir uns in diesen bewegten Zeiten nicht länger leisten“, erklärt SEV-Präsident Hanspeter Fuchs.
Allerdings müsse die herausragende Position der Energiewirtschaft für die Zukunft unseres Landes auch bei der Bildung der neuen Landesregierung anerkannt werden. Schließlich sei der nachhaltige und klimaverträgliche Umbau der Energielandschaft auch in Südtirol „eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Die Ersetzung fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien in allen Lebensbereichen sollte jetzt gemeinsam – in einer offenen Diskussion auf Augenhöhe zwischen allen Akteuren der Südtiroler Energiewirtschaft und den politischen Entscheidungsträgern – diskutiert, geplant und umgesetzt werden. Hanspeter Fuchs: „Wer sich diesem Energie-Pluralismus und einer historisch gewachsenen dezentralen Ausrichtung verweigert, gefährdet ein Erfolgsmodell, um das uns heute sehr viele beneiden“.
Energie braucht demokratische Teilhabe. Die Menschen in unserm Land sollten daher – als soziale und ökonomische Stakeholder in eigener Sache – nicht nur indirekt, sondern auch aktiv und unmittelbar an den in ihrem eigenen Umfeld produzierten erneuerbaren Energien partizipieren. „Demokratisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung sind heute die wichtigsten Megatrends in der europäischen Energiedebatte. Man kann es auch anders sagen: Die Energie soll den Menschen dienen und nicht dem Kapital. Deshalb fordern wir die neue Landesregierung auf, eine fachlich unabhängige Regulierungsbehörde einzurichten – auch damit aus den echten Kosten für die Stromerzeugung in unserem Land auch echte Preise für Haushalte und Unternehmen werden. Wir müssen das Recht haben, über unsere Ressourcen selbst gestalterisch verfügen zu können“, erklärt SEV-Direktor Rudi Rienzner. So sei es den Menschen kaum vermittelbar, „dass unsere hohen Strompreise weiterhin von internationalen Gasmärkten abhängig sind, obwohl wir hier in Südtirol fast nur erneuerbare Energie erzeugen“.
In einer autonomen Regulierungsbehörde wäre energietechnisches, energierechtliches und energiepolitische Know-how fachlich unabhängig und institutionell konzentriert verfügbar. Energiewirtschaft und Landespolitik könnten darauf zurückgreifen und damit frühzeitig auf die Regulierungs- und Reformvorhaben aus Rom oder Brüssel reagieren. Die beste rechtliche Grundlage für eine eigene Regulierungsbehörde wäre eine Durchführungsbestimmung, die gemeinsam mit der Autonomen Provinz Trient angestrebt werden müsste. Rudi Rienzner: „Wir sollten jetzt konkrete Schritte setzen und unser Verband ist natürlich bereit, die Südtiroler Landesregierung bei der Ausarbeitung der Durchführungsbestimmung aktiv zu unterstützen“.
Wer eine nachhaltige Energieunabhängigkeit will, muss möglichst viel erneuerbare Energie selbst erzeugen. In Südtirol sind noch längst nicht alle „grünen“ Ressourcen ausgeschöpft. So spielt der Sonnenstrom „auf der Sonnenseite der Alpen“ leider eine Nebenrolle. Der Südtiroler Energieverband setzt sich für eine Solaroffensive ein, auch weil Dach- und Fassadenflächen nicht ausreichen, um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Neue PV-Systeme müssen daher auch auf versiegelten Flächen oder an Standorten mit geringer ökologischer Bedeutung entstehen. Der SEV empfiehlt ein landesweites Monitoring, um den verfügbaren Bestand zu erheben. Zudem sollten Flächen für Agri-Photovoltaik – die Kombination von Landwirtschaft und Solarenergieerzeugung – ausgewiesen werden. Rudi Rienzner: „Auch in diesem Bereich sollten wir jetzt innovativ und technologieoffen denken“. So werden in der Schweiz bereits Staumauern von Wasserspeichern und Bergseen als leistungsstarke Solarkraftwerke genutzt.
Auch bei der Wasserkraft gibt es Spielräume für einen weiteren Ausbau. Zukunftsstrategien sind die Modernisierung und Optimierung des historischen Bestands und der ökologisch unbedenkliche Bau neuer Kraftwerke an noch nicht erschlossenen Fließstrecken. Schon 2022 haben der SEV und die Handelskammer Bozen das Potential für den Ausbau von Wasserkraftanlagen in Südtirol erhoben. Mit den damals vorgeschlagenen neuen Kraftwerken könnte die Stromproduktion aus Wasserkraft pro Jahr um 15 Prozent erhöht werden. Um diese Ressourcen nutzen zu können, müsste der Gewässerschutzplan überarbeitet und eine Haltung, die Neubauten schon vor einer Machbarkeitsprüfung verwirft, aufgegeben werden. Die Wasserkraft ist seit dem Beginn der Elektrifizierung der wichtigste Energieträger in Südtirol. Unsere Wasserkraft macht eine „grüne“ Energieautonomie überhaupt erst möglich.
Südtirol verfügt heute über die höchste Konzentration von Biomasse-Fernheizwerken in Europa. Wie bei der Wasserkraft müssen bei der nachhaltigen Versorgung mit Wärme viele seit Jahrzehnten bestehende Anlagen modernisiert, technisch potenziert und – durch die Verdichtung der Leitungsnetze – optimiert werden. Bei der Ersetzung fossiler Energieträger durch erneuerbare Energie ist auch das einheimische Biogas ein wertvoller Rohstoff. Biogas erzeugt Strom und Wärme und aus Biogas wird Biomethan zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff und Bio-LNG gewonnen – ein CO2-neutrales Flüssiggas, das als LKW-Kraftstoff getankt werden kann. Nur 20 Prozent des tierischen Wirtschaftsdüngers werden in Südtirol heute für die Produktion von Biogas genutzt. Und das ist – so der SEV – natürlich viel zu wenig.
In den vergangenen fünf Jahren wurde in der Energie- und Klimapolitik vieles angekündigt. Jetzt brauchen wir konkrete Lösungen. Die „grüne“ Energiewende – die wohl tiefgreifendste Umwälzung seit der Erfindung der Glühbirne – kann aber nur gelingen, wenn die Menschen „mitgenommen“ werden. „Ich würde mir daher lokale Energiepläne wünschen, mit denen jede Gemeinde im Dialog mit ihren Bürgerinnen und Bürgern die eigenen Optionen auslotet, wenn es darum geht, Erdgas oder Öl bei der Produktion von Strom und Wärme durch Sonne, Wasser, Holz, Geothermie oder Wind zu ersetzen“, erklärt dazu SEV-Direktor Rudi Rienzner. Ohne diese Selbstbestimmung und Selbstverantwortung gibt es keine Energieunabhängigkeit.
Südtiroler Energieverband