Andreas Weitgruber, Präsident der Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte Latsch.
30. Oktober 2018: Ein Teil des Schusterwaldes war nicht mehr wieder zu erkennen.
Schneedruckfolgen an der Fraktionsgrenze Latsch/Morter.
Aufwändige und kostspielige Holzarbeiten im Sommer 2019.
Schadholz-Stapel soweit das Auge reicht.

Als der Wald Sorgenkind und Pflegefall wurde

Eigenverwalter bürgerlicher Nutzungsrechte zwischen Windwurf und Schneedruck

Publiziert in 21 / 2020 - Erschienen am 18. Juni 2020

Latsch - Als Frau Vaia Jakobs irgendwann im Oktober 2018 199 Euro + Mehrwertsteuer in Berlin auf den Tisch legte, um ein „Tiefdruckgebiet“ zu kaufen und nach ihr benennen zu lassen, ahnte sie nicht, dass ihr Vorname im fernen Südtirol eine Katastrophe bezeichnen wird. Seit 29. Oktober 2018 steht „Vaia“ bei Förstern, Waldbesitzern, Verwaltern und Politikern für unermessliche Schäden an Südtirols Wäldern. Vaia wurde das Synonym für Windbruch und Zerstörung am Waldbestand. Zu den am stärksten betroffenen Gebieten gehört im Vinschgau, genauer im Forstinspektorat Schlanders, der im Nationalpark Stilfserjoch liegende Fraktions-Wald am Latscher „Nörderberg“. Seit der Sturmnacht vom 29. auf den 30. Oktober säumt eine Vielzahl gigantischer Holzablagerungen die Straße nach Tarsch. Spaziergänger fragen und fragten sich immer wieder, was mit den riesigen Holzstapeln - im Dialekt „Plummen“ - wohl passiert. Mit Engelsgeduld versucht dann Andreas Weitgruber, Präsident der Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte (E.B.N.R.) in Latsch, auf Ursachen und Herkunft von Tausenden Vorratsfestmetern an Holz und dessen Verwendung hinzuweisen. Dieselbe Engelsgeduld hat der „Fraktionsvorsteher“ auch gegenüber dem der Vinschger an den Tag gelegt. 

Ein Tornado am Nörderberg

Am späten Abend des 29. Oktober, ein Montag, stand Andreas Weitgruber als Feuerwehrmann im Einsatz. Mit Sorge beobachtete er den bedrohlichen Anstieg der Wassermassen im südlich von Latsch fließenden Lehmbach. Als der Regen gegen 22 Uhr abflaute und Windböen einsetzten, schien eine neuerliche Überschwemmung des Ortes wie im Mai 1983 gebannt. Sandsäcke hatte die FF Latsch unter Kommandant Werner Linser vorsorglich an kritischen Stellen bereit gestellt. Fraktionsvorsteher Weitgruber, seit 2011 im Amt, und seine Leute überprüften inzwischen auch höher gelegene Abschnitte des Almbachs. Materialschübe wurden nicht entdeckt. Man glaubte, wieder einmal davon gekommen zu sein. Am nächsten Tag war die Katastrophe dann sichtbar. Man traute seinen Augen nicht. Was die Scheinwerfer in der Nacht zuvor nicht erfasst hatten, rief bei den Verwaltern blankes Entsetzen hervor. Eine Windhose, eine Art Tornado, war vom „Verklair-Tal“ (üblich Vogloar-Tal; oberhalb des Eisstadions) aufgestiegen, hatte eine Schneise der Verwüstung über „Schwarzbrunn“ Richtung „Schwellenweg“ hinterlassen und an vielen Stellen, aber besonders im „Schusterwald“ gewütet. Später werden die Wetterexperten von einem „Düseneffekt in den steilen, sich nach oben verengenden Tälern“ sprechen. Vorsteher Weitgruber meinte: „Es hat das Herzstück unseres Waldes getroffen. Der Schusterwald bildet die wichtigste Fläche in unserer Waldbewirtschaftung.“ 

Es gibt das Fernheizwerk

Im Forstinspektorat Schlanders war eine erste Schätzung über 8.500 Vorratsfestmeter an Schadholz aus der Gemeinde Latsch eingegangen. Inzwischen sind allein in der Eigenverwaltung Latsch bereits 15.000 Vorratsfestmeter aufgearbeitet worden. Dass es so schnell gehen konnte, lag einmal an der Entschlossenheit des Fraktionsrates und dann natürlich an der Wirtschaftskraft der Eigenverwaltung. „Ja, wir können uns trotz überbordender Bürokratie und trotz Auflagen noch eine Verwaltung leisten“, meinte der Vorsitzende der Eigenverwaltung. Weitgruber gewährte einen Überblick über die Standbeine der knapp 1.600 ha umfassenden Fraktion. Erlöse aus der Obst- und Almwirtschaft, aus Mieten auf Flächen ermöglichten die Aufräumarbeiten im betroffenen Waldgebiet. Bis zur Einfuhr von billigem Nutz- und Brennholz aus dem Osten sei die Waldwirtschaft eine wichtige Einnahmequelle aller Eigenverwaltungen gewesen, erklärte Weitgruber. Dann seien die Holzpreise aber regelrecht in den sprichwörtlichen Keller gerutscht. Inzwischen gäbe es eine Übereinkunft zwischen Land und Fernheizwerken. In einem Umkreis von 70 km sollen die Hackschnitzel möglichst aus heimischem Holz bezogen werden. Dafür erhalten die Werke auch Beiträge. „70 % der verarbeiteten 15.000 Vorratsfestmeter entfallen auf Brennholz“, so Weitgruber. „Allein dem Schusterwald haben wir 7.800 Vorratsfestmeter entnommen, 5.500 davon waren Brennholz. Wenn es uns gelingt, „Bringkosten“ von 50 bis 60 Euro für Holzarbeit und Transport des Nutzholzes durch den Erlös aus dem Verkauf von Brennholz an das Fernheizwerk zu decken, bleibt der Fraktion wahrscheinlich ein ‚Unwetterbeitrag‘ der EU, der noch zu beziffern ist.“ Die Antwort auf die Frage nach der Verwendung des gelagerten Holzes, gab die Energiegenossenschaft Latsch (EGL) selbst: „Je nach Winter werden zwischen 25.000 und 30.000 Kubikmeter Hackschnitzel benötigt.“ Also weit mehr als derzeit Holz im Einzugsgebiet der Fraktion gestapelt wird. Die Sorge, dass die „Plummen“ bis zum Nimmerleinstag Dauereinrichtungen bleiben, scheint demnach unbegründet.

Schneedruck war die Steigerung

Fast genau ein Jahr nach Vaia sorgten im November 2019 gleich 8 Mittelmeertiefs wieder für verheerende Schäden in den Wäldern des Vinschgaus. Sie übertrafen in der Forststation Schlanders sogar die geschätzten Schadensmengen vom Oktober 2018 durch Vaia. Im „Schneedruck/Schneebruch-Report“ stellte das Landesforstamt fest: „Die drei kräftigsten Mittelmeertiefs sorgten in der Woche zwischen 11. und 17. November für die größten Probleme in Südtirol vor allem durch Schneebruch. Aufgrund des nicht gefrorenen und durchnässten Bodens und durch die Last des schweren feuchten Schnees stürzten zahlreiche Bäume (…) um.“ (Hinweis von Amtsdirektor Dr. Pircher, Forstinspektorat Schlanders) Darauf angesprochen meinte Fraktionspräsident Weitgruber in resignierendem Ton: „Das Schadholz aus Schneedruck ist noch gar nicht zum vorhandenen Vaia-Schadholz dazu gerechnet. Es hat punktuell den gesamten Wald getroffen. Wir sind nicht mehr imstande, in den nächsten 10 Jahren aufzuräumen. Der Jungwuchs ist dahin. Die im Waldwirtschaftsplan angeführten „Hiebsätze“ (jährlich mögliche Holzernte, Anm.) kann es in nächster Zeit nicht mehr geben.“

Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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