Raimund Prugger

Bergbauer ist nicht gleich Bergbauer

Publiziert in 21 / 2022 - Erschienen am 22. November 2022

Tschengls - Raimund Prugger, vom Schmiedhof in Tschengls, ist seit 2014 Bezirksobmann des Südtiroler Bauernbundes im Vinschgau und hat seither so seine Erfahrungen gemacht mit Veränderungen, Umwälzungen und Krisen in der Landwirtschaft. Nach dem „Vinschger Berglandwirtschaftstag“ in der Fachschule für Land- und Forstwirtschaft Fürstenburg am Martini-Tag, 11. November 2022, hat ihn der Vinschger um einen Über- und Ausblick auf die Berglandwirtschaft des Tales gebeten.

der Vinschger: Herr Prugger, wann ist im Vinschgau ein Bauer Bergbauer?

Raimund Prugger: Pauschal kann man das nicht sagen; darüber ist zu diskutieren. Nur hinaufschauen und sagen, das sind alles Bergbauern, kann richtig und auch falsch sein. Da kommt jetzt das System der Erschwernispunkte ins Spiel. Ab 40 Erschwernispunkte eines Viehhaltungsbetriebes redet man von Bergbauern. Die Hälfte unserer Bergbauern haben aber mehr als 40 Punkte. Dann muss man nochmals unterteilen in die „Extremen“ und „Kamotten“. Die muss man nochmals halbieren. Die mit mehr als 75 Erschwernispunkten gehen in Richtung extrem. Die darunter sind, leben auf Höfen, deren Flächen nicht so steil sind. Es geht ja um die Steilheit und die Bearbeitbarkeit. Wer 100 Erschwernispunkte aufweist, verrichtet Knochenarbeit. 

Kann man Zahlen nennen? Wie viele Bergbauern gibt es im Vinschgau? Wie viele Höfe des Vinschgaus befinden sich in Extremlage?

Wenn man es herunter bricht auf Betriebe, die Milch liefern, weiß man, dass von Schnals bis Reschen 500 Betriebe Milch schütten, und man weiß, dass ungefähr so viele in den letzten Jahren das Milch Liefern aufgegeben haben. Das heißt aber nicht, dass die Betriebe aufgegeben wurden. Es kann sein, dass diese Mutterkühe haben; es kann auch sein, dass sie nur mehr Schafe halten. Dann muss man unterscheiden: zum Beispiel gibt es Landwirte, die Kirschen anbauen. Und wenn wir hier von Einkommen reden, ist es ein anderes, als bei denen, die die Flächen nicht haben, eine Spezialkultur anzubauen. Andrerseits, wenn einer auf einem richtigen Schind-Hof lebt, aber in Panorama-Lage und Urlaub-auf-dem-Bauernhof bietet, steht wieder anders da, als der, der keine Möglichkeit dazu hat. 

Gibt es eine andere Beschreibung für die Höfe in „kamotter Lage“? 

Vielleicht „leichter bearbeitbar“. Inzwischen haben ja alle Hofzufahrten, haben Strom und können zu einer Arbeit auspendeln. Urlaub-auf-dem-Bauernhof oder die Direkt-Vermarktung könnten das verhindern; sie ermöglichen das Arbeiten zu Hause. Dasselbe gilt für eine kleine Hofkäserei oder einen Gemüsegarten, wenn man Gasthäuser oder Hotels beliefern kann. Wenn jemand rein von der Milchwirtschaft leben muss, muss er oder sie einem zusätzlichen Job nachgehen, außer es ist ein „mortialischer“ Hof. Wenn du 10 bis 15 Kühe hast, bist du an einer Grenze. Du kannst nirgends mehr hingehen, aber Familie kannst du auch kaum ernähren. Es gibt dann schon Beiträge. Die Erschwernispunkte sind dann auch an Beiträgen gekoppelt. Wenn sie nur von der Milch leben müssten, gäbe es keine Milchbauern mehr. Die Rechnung ist einfach: Wenn du 10 Kühe hast, kommst du auf 5.000 bis 6.000 Liter pro Jahr und pro Kuh. Gesamt hast du 10 x 6.000 Liter, multipliziert mit 50 Cent für einen Liter ergeben 30.000 Euro brutto. Davon nimmst du das Kraftfutter, das du brauchst; du unterhältst ein paar Maschinen, du sollst deinen Kindern eine Ausbildung zukommen lassen... Man kann sich ausrechnen, was übrig bleibt. Zum Überleben helfen dann die Flächenbeiträge. Die meisten haben 5 - 6 Kühe und gehen dann einem Job nach, z.B. in den Skigebieten, in Betrieben des Oberen und Mittleren Vinschgaus oder sie pendeln in die Schweiz. 

Man kann also sagen, dass es 500 Milch liefernde Betriebe gibt? Die könnte man als Bergbauern bezeichnen?

Das kann man. Erst ab Schluderns/Mals gibt es wieder Bauern in der Talsohle, die man schwerlich zu den Bergbauern zählen kann. Auch wenn die gesamte Provinz Bozen als Berggebiet eingestuft ist…

Wir stehen vor einer sehr komplexen Geschichte mit x-Faktoren und Kriterien, die alle aufzuarbeiten und einzuberechnen wären.

Es wäre Knochenarbeit, alle Quellen anzuzapfen und alle Daten in Beziehung zu bringen. Vielleicht taucht jemand auf, der beabsichtigt, eine Diplomarbeit zu schreiben, oder es nehmen sich andere Bildungseinrichtungen der Materie an. 

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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