Der SVP-Kammerabgeordnete Albrecht Plangger

„Complimenti, siete gli unici...“

Publiziert in 45 / 2016 - Erschienen am 14. Dezember 2016
Albrecht Plangger über den Ausgang des Verfassungsreferendums, die Stimmung in der SVP und in Rom, die Aussichten für die Zukunft und seine geplante „Revanche” in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft für Südtirol.* der Vinschger: In den Gemeinden des Vinschgaus von Partschins bis Graun haben am 4. Dezember im Durchschnitt etwas mehr als 74% für die Verfassungsreform gestimmt. In Schnals und Martell waren es sogar über 80%. Sie hatten im Vorfeld des Referendums überzeugt und vehement für ein Ja zur Reform gekämpft. Ist das Wahlergebnis aus der Sicht der SVP, der Sie im Vinschgau als Obmann vorstehen, insofern als Erfolg zu werten? Albrecht Plangger: Ich bin mit dem Ergebnis als Bezirks­obmann sehr zufrieden und bedanke mich bei allen, die uns das Vertrauen geschenkt haben. Leider hat man sich italienweit eine Chance vertan. Nicht imstande zu sein, sich von innen heraus selbst zu reformieren, ist immer schlecht. Mit diesem Reformvorschlag hätten wir in Südtirol leben können, bei den Zuständigkeiten aufrüsten und unser Autonomiestatut „revi­sionieren” können, ohne dass uns unsere Parlamentskollegen etwas „herausstehlen” hätten können. Wir haben von den Oppositionsparteien viel Prügel abbekommen, aber in Autonomiefragen soviel Standfestigkeit, Kohärenz und Kompetenz bewiesen, dass der Wähler letztendlich mit großer Mehrheit uns beauftragt hat, die Südtirolautonomie zu schützen und in Rom Land und Leute zu vertreten. Die Geschlossenheit der Südtiroler bei solch wichtigen Fragen hat alle Parlaments­kollegen tief beeindruckt. Das spricht zweifelos für uns. Staatsweit erteilten die Wähler der Reform allerdings eine klare Absage. Indirekt wurde auch Matteo Renzi stark abgestraft. Wie erlebten Sie den Tag nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer in Rom? Ich kam erst am Dienstag­morgen nach Rom. Mir schien alles verändert. Ich habe am Dienstag niemanden mehr in Feierstimmung gesehen, mir schien, alle lassen „die Ohren hängen” wie die ganz kleinen Hunde. Alle sahen sich schon in einen Wahlkampf geworfen, auf den sie keinesweigs vorbereitet sind. Die Angst vor der eigenen Zukunft war am Vormittag sicher noch größer als die Angst um die politische und wirtschaftliche Zukunft Italiens. Am Nachmittag hat sich die Stimmung gebessert. Man hat sich gegenseitig Mut gemacht und verstanden, dass die Suppe nie so heiß gegessen wird, wie sie gekocht wird. Dann wurden schnell auch wieder große Sprüche geklopft. Uns Südtirolern ist man mit ganz großem Respekt gegenüber­getreten, unabhängig von den Parteifarben: „Complimenti, siete gli unici...”. Was bedeutet das staatsweite Nein für Südtirol und was für Italien? Statt eines neuen Durchstarts bei den Reformen kommt es jetzt wieder zu einem Stillstand in der Sachpolitik. Viele Reformvorhaben und Gestzesvorschläge drohen nun wieder in einer Schublade oder auf einem stillgelegten Geleis zu landen. Die Justizreform, die Reform der öffentlichen Verwaltung, das Gesetz zur Konkurrenz, zu den Natur- und Nationalparks und die Reform der Volksbanken könnten wieder „versanden“. Der Schaden dieser Regierungskrise wird auf jeden Fall groß sein.   Gelten die Südtiroler mit ihrem mehrheitlichen Ja zur zentralistischen Reform jetzt in Rom als Zentralisten? Die Angst vor einem Zentralismus hat man nur hier in Südtirol geschürt. In Rom ist das kein wirkliches Thema. Im Gegenteil, man macht sich große Sorgen, dass die Prozessflut zwischen Staat und Regionen am Verfassungsgerichtshof gleich weitergeht und jedes Staatsgesetz in allen 20 Regionen anders umgesetzt wird. Besorgt ist man auch darüber, wie die Sanität staatsweit „auf Reihe gebracht“ und der Geldvergeudung ein Riegel vorgesetzt werden kann. Die „Flurbereinigung“ bei den Zuständigkeiten hätte es in Italien gebraucht, weil viele Regionen damit nichts anfangen konnten und die Kompetenzen vielfach nur zum „Verhindern und Hinauszoegern“, siehe z.B. wichtige Infrastrukturprojekte, eingesetzt haben, statt für eine Prozessbeschleunigung. Welchen Sinn hat es jetzt noch, den Autonomiekonvent weiterzuführen? Ohne das „Prinzip des Einvernehmens“ in der Verfassung wird es unmöglich sein, das Autonomiestatut aufzuschnüren und zu „revisionieren“. Wenn unsere Parlamentskollegen in Rom bei Proporz und Schule in der Muttersprache mitreden können, dann kommt das Gegenteil heraus von dem, was wir in Südtirol möchten, auch wenn wir im Konvent wirklich parteiübergreifend zu einvernehmlichen Reformvorschlägen gekommen sind. Die Arbeit soll aber auf jeden Fall abgeschlossen und ein breitest möglicher Konsens zu den Südtiroler Zukunftsfragen gefunden werden. Wenn sich in der Politik ein nächstes Fenster auftut - vielleicht wieder im Rahmen einer Verfassungsreform -, dann haben wir neben einem schon lange aufliegenden Gesetzesvorschlag unserer Senatoren auch noch den Vorschlag des Südtirol-Konvents, der sicher noch weit­reichender und konsensfähiger ist. Der PD, der Bündnispartner der SVP, ist jetzt stark angeschlagen. Läuft die SVP Gefahr, den einzigen ernsthaften Ansprechpartner und Verbündeten zu verlieren und in Zukunft in Rom allein da zustehen? Der PD hat seine Probleme, aber er ist und bleibt „staatstragend“. In den Reihen des PD gibt es viele autonomiefreundliche ­Kräfte. Beim Referendum haben wir wieder unsere Geschlossenheit eindrucksvoll bewiesen. Wer mit uns redet und etwas ausverhandelt, der weiß, dass wir die Bevölkerung hinter uns haben, dass wir für unser Land und unsere Leute reden, nicht nur für uns selbst. Gerade dadurch begegnet man uns mit sehr ­großem Respekt, auch von Seiten der 5-Sterne-Bewegung. Wir haben nun unter den Regionen mit Sonderstatut bewiesen, dass wir noch „spezifischer“ sind als alle anderen und uns unsere Sonderstellung immer noch verdienen. Nach dem Votum in England über den Brexit, der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und weiteren Überraschungsabstimmungen scheint überall alles möglich zu sein. Können Sie sich vorstellen, dass die SVP künftig mit einem Grillo oder einem Salvini am Verhandlungstisch sitzen wird? In der Politik ist alles möglich. Ich bin mir aber sicher, dass wir wieder mit Renzi am Verhandlungstisch sitzen werden oder zumindest mit jemandem aus seinen Reihen, vielleicht gar mit einem Delrio! Mit den LEGA-Leuten haben wir im Parlament wenig Kontakte, aber dafür umsomehr außerhalb im privaten und persönlichen Umfeld, da diese Kollegen durchaus gleich „ticken“ und gleiche Interessen haben wie wir. Mit ihren poli­tischen Initiativen zu Flüchtlingen, Euro und EU-Austritt können wir leider nichts anfangen, aber sie vertreten solche Ideen vielfach nur, um sich als kleine 20- Mann-Truppe die Sichtbarkeit zu bewahren. Wenn sie wieder „regieren“ dürften, dann werden sie schnell wieder umgänglicher. Mit der Führungsebene der 5-Sterne- Bewegung hätten wir am Anfang sicher ein großes Problem, da sie unsere Autonomie nicht kennen und ihr Südtirolbild noch voll von Vorurteilen und anderen Klischees ist. Wenn wir aber geschlossen auftreten, dann sind auch diese schnell froh, verlässliche Gesprächsparter auf der anderen Seite des Verhandlungstisches zu haben, statt der üblichen „Fähnchen im Wind” ohne Handschlagcharakter. Während es Ihnen bei verschiedenen Podiumsdiskussionen, die vor dem Referendum im Vinschgau und darüber hinaus stattgefunden haben, gelungen ist, mit Argumenten zu überzeugen, war dies bei einer Podiumsdiskussion, die im Oktober in Prad zum Thema doppelte Staats­bürgerschaft für Südtirol stattgefunden hat, nicht der Fall. Damals gingen Sie mit ihren Argumenten unter. Ich bin zu dieser Podiums­diskussion gegangen, um meine persönliche Meinung und die meiner Partei kundzutun, ohne den geringsten Anspruch, jemanden im Saal von meiner Sicht der Dinge überzeugen zu müssen. Ich habe in der Zwischenzeit meine Meinung zum Thema aber nicht gewechselt. Im Gegenteil, ich hatte jüngst bei der 70-Jahr-Feier zum Gruber-Degasperi Abkommen in Bozen Gelegenheit, mit dem Völkerrechtler Professor Walter Obwexer und dem Präsidenten des Südtirolauschusses im österreichischen Parlament, Hermann Gahr, zu sprechen und mich auf den aktuellsten Stand der Dinge zu bringen. Ich arbeite jetzt an einer Initiative, um meinen „Vinschgern“ die Problematk viel sachlicher und vor allem aus der Perspektive Österreichs aufzeigen zu können, als es in der Podiumsdiskussion geschehen ist. Letztes Mal hatten sie mit mir ein gutes „Opfer”, das sie ­„wursten“ konnten, beim nächsten Mal werden es aber sicher Andere sein, deren Sprüche und Behauptungen „auseinandergeklaubt“ werden. In dieser Sache sollten beide Seiten, vor allem die „Geberseite“, gehört werden, dann erst kann sich der Bürger eine ausgewogene Meinung bilden. Interview: Sepp Laner * Das Interview wurde am 9. ­Dezember geführt. Am 11. Dezember beauftragte Staats­präsident Sergio Mattarella den bisherigen Außenminister ­Paulo Gentiloni mit der Regierungs­bildung.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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