Im Bild (v.l.): Josef Bernhart, Werner Atz (KVW Geschäftsführer), Primaria Christine Kirchlechner, Heinrich Fliri (KVW Vinschgau), LR Hubert Messner, Johanna Constantini, Ulrich Seitz (AASA) und Bürgermeister Dieter Pinggera.:
Als Privatmann im Publikum: der ehemalige Sanitätsdirektor Florian Zerzer mit Bürgermeister Dieter Pinggera.
Der ehemalige Fußballprofi, Dennis Grassow, arbeitet heute in einem Seniorenheim.

Demenzfreundlichkeit ist eine Eigenschaft

Hubert Messner Ehrengast bei Netzwerk „Demenzfreundlicher Vinschgau“

Publiziert in 6 / 2024 - Erschienen am 26. März 2024

Schlanders - Die Diagnose einer Demenzerkrankung kommt immer überraschend und unvorbereitet. Die Erkrankung ist für alle Betroffenen und für deren familiäres Umfeld beschwerlich und belastend. Dennoch muss man gemeinsam dafür Sorge tragen, dass dieser letzte Lebensabschnitt für die  Erkrankten würdig und sinnvoll ist, und dass diese Zeit auch für die Angehörigen erträglich bleibt. Das „Netzwerk Demenzfreundlicher Vinschgau“ hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen für Menschen mit Demenz zu verbessern, indem das Thema  durch regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit, Bildungsangebote und Sensibilisierungskampagnen zugänglicher gemacht wird. Dadurch können  Fragen von Angehörigen und interessierten Personen gezielt beantwortet werden und Ängste und Vorurteile abgebaut werden. Eine besondere Diskussionsrunde  in der Veranstaltungsreihe „Ein Herz für die Peripherie“ fand vergangene Woche im Bürgerheim von Schlanders statt. Heinrich Fliri, Bezirksvorsitzender des KVW zeigte sich überwältigt von der großen Zahl der Interessierten, die sich eingefunden hatten, und Bürgermeister Dieter Pinggera gratulierte dem KVW als Mitinitiator dieser wertvollen Vortragsreihe und gleichzeitig zum Engagement für den Erhalt des Krankenhauses von Schlanders.

Begleitung mit Lebensfreude und Lebensmut

Moderator Josef Bernhart konnte Johanna Constantini als erste Diskussionsteilnehmerin begrüßen. Sie ist die Tochter des ehem. Österreichischen Fußballnationaltrainers Didi Constantini, selbst Psychologin und Autorin der Bücher „Abseits“ und „Abseits 2“, in denen sie die Demenzerkrankung ihres Vaters beschreibt und verarbeitet. Als einen Risikofaktor für die Demenz bezeichnete sie die Isolation und den Rückzug ihres Vaters nach einem intensiven Leben in der Öffentlichkeit. Dennoch haben sie und ihre Familie versucht, den Vater stets mit Lebensfreude und Lebensmut zu begleiten. Der Wechsel ins Pflegeheim sei der Familie nicht leicht gefallen; ohne jemals mit dem Vater darüber gesprochen zu haben, musste die Familie den notwendigen Schritt machen. Heute sagt Johanna Constantini, es wäre unbedingt eine Vereinbarung mit ihrem Vater notwendig gewesen. Genauso wie dem „Netzwerk demenzfreundlicher Vinschgau“ ist es Johanna Constantini wichtig, dass Menschen mit Demenz und deren Angehörige weiterhin am öffentlichen Leben teilhaben und nicht ins Abseits gestellt werden.

1.200 Neuerkrankungen jährlich

Christine Kirchlechner, Primaria der Geriatrie am Krankenhaus Meran nannte die demografische Entwicklung und die daraus resultierenden Alterserscheinungen als Hauptgründe für die steigende Zahl an Demenzerkrankungen. 1.200 Neuerkrankungen gibt es in Südtirol jedes Jahr, wobei Frauen mehr betroffen sind. Die Ursachen für Demenz sind vielfältig, die Erscheinungsformen ebenso. Hellhörig sollte das Umfeld werden, wenn Menschen im hohen Alter plötzlich eine Depression bekommen oder wenn sich ihr Charakter stark verändert. „Patienten entwickeln oft die erstaunlichsten Strategien, um eine anbahnende Demenz zu verstecken“, so Christine Kirchlechner. In 95 Prozent der Fälle könne die richtige Diagnose erstellt werden. Präventiv könne man einiges tun: regelmäßiges Wechseln der Sprache, andere Gehirnleistungen, Denksport und Orientierungsübungen, aber ebenso wichtig sei Bewegung und ausgewogene Ernährung.  Angesprochen auf die Kopfbälle im Fußball riet die Primaria stark davon ab, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Die hohen Demenzerkrankungen im Boxsport seien ein deutliches Indiz, wie folgenschwer Schädelhirntraumata sein können.

Wir brauchen Visiten vor Ort!

Irina Pergentilini, ausgebildete Krankenpflegerin und Angehörige eines Demenzpatienten nannte  Freiräume für Angehörige als unbedingt notwendig, auch wenn diese oft Schwierigkeiten hätten loszulassen. Die Peripherie bräuchte unbedingt die Möglichkeit von Visiten der Memory Clinic vor Ort, denn die Fahrten nach Meran seien für die Patienten oft zu aufregend und beschwerlich. Dass es eine Frage der Ressourcen ist, war zu erwarten, aber das Angebot der Primaria, in Zukunft unkomplizierte Televisiten zu machen, schenkte den betroffenen Anwesenden etwas Hoffnung.

„Ein Arzt für den KVW“

Als Ehrengast hatten der KVW und das „Netzwerk demenzfreundlicher Vinschgau“ Hubert Messner, den neuen Landesrat für Gesundheitsvorsorge und Gesundheit eingeladen. Er lobte das „Storytelling“ von Johanna Constantini, das dem Menschen hinter der Demenz Sichtbarkeit und Wertschätzung gebe. „Alle Patienten brauchen Gespür, Zeit für ein Gespräch und Empathie“, so der neue Landesrat. Man dürfe die an Demenz erkrankten Menschen nicht verstecken oder ausschließen,  sondern sie in das soziale Leben integrieren, mit ihnen hinaus in die Natur gehen und ihnen Bewegung ermöglichen. Diese Anforderungen können nur mehr im Netzwerk gemeistert werden, und so plädierte Hubert Messner für Mehrgenerationenhaushalte und andere Modelle des sozialen Zusammenlebens. Applaus und großen Zuspruch erntete der Landesrat mit seiner Forderung, die Kommunikation zwischen Krankenhaus und Patienten, aber auch zwischen Ärzten und Pflegepersonal müsse mehr auf Augenhöhe erfolgen. Leider fehle vielfach die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und den Hausärzten. Die fehlende Wertschätzung gegenüber dem Pflegepersonal und dem  nichtmedizinischen Personal bemängelte der Landesrat ebenso. „Wir müssen die „Corona-Heldinnen und Helden“ wieder abholen und ihnen ihre verdiente Wertschätzung geben“, forderte er. Auch ein freundlicher Empfang der Patienten am Eingang zum Krankenhaus seit wichtig, „er ist die Visitenkarte eines Krankenhauses“, so Hubert Messner.

Keine zeitgemäße Pflegeeinstufung

Ulrich Seitz, Präsident der Südtiroler Alzheimervereinigung kritisierte die nicht mehr zeitgemäße Pflegeeinstufung bei Demenzpatienten. „Die Vorladungen sind für Betroffene und deren Familien eine Zumutung. Eine fachärztliche Diagnose darf einfach nicht mehr infrage gestellt werden!“, so Ulrich Seitz. Es brauche wieder neue Pflegemodelle, junge Menschen hätten sehr wohl Lust, in pflegende Berufe einzusteigen. Und noch etwas legte Ulrich Seitz den Anwesenden ans Herz: „Man muss sich nicht schämen, einen Demenzkranken in der Familie zu haben bzw. zu pflegen: da misst sich unsere Gesellschaft, wie wir mit dementen Menschen umgehen!“

Überraschungsgast Dennis Grassow

Von den meisten Anwesenden unbemerkt, saß Dennis Grassow, ehemaliger Fußballprofi beim FC Bayern, bei Unterhaching, Köln usw … im Publikum. Nach seiner Fußballkarriere hat der „harte Abwehrspieler“ eine Arbeit als Haustechniker im Seniorenheim „Arche Noris“ in Taufkirchen bei München angenommen. Auch in der „Arche Noris“ gebe es viele an Demenz erkrankte Senioren. Am meisten bedauere er, dass diese Menschen „ihre Familie innerlich verlieren, wenn sie sie nicht mehr erkennen“. Bei einem kleinen Umtrunk und angeregten Gesprächen endete die interessante, kurzweilige Veranstaltung.

Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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