Die Joggl-Fuirer
Es wird getragen, gebetet, gefeuert und gesungen, aber auch gedichtet, gegessen und getrunken.
Graun - Ein Tischler, ein Bauer, ein pensionierter Lehrer, ein Fabrikarbeiter, ein Kammerabgeordneter, ein Schütze, eine Mutter mit Kindern, ein Jäger. Die Herz-Jesu-Joggl-Fuirer sind seit jeher ein bunter, aber fest eingeschworener „Haufen“. Mindestens 4 Dinge vereinen sie: sie sind alle Grauer, sie halten die Tradition des Herz-Jesu-Feuerns hoch, sie lieben die Berge und sie sind auch dem Geselligen nicht abgeneigt. Das Wetter am 21. Juni war so, wie es an Herz-Jesu-Sonntagen fast immer ist: zwischen schlecht oder „et grod guat“. Schon der Pfarrer Anton Pfeifer hatte in der Früh beim Herz-Jesu-Gottesdienst in St. Valentin a.d.H. dazu aufgerufen, das Herz-Jesu-Gelöbnis stets zu erneuern, an den damit verbundenen Werten festzuhalten und die Tradition des Feuerns zu pflegen, „auch wenn es regnet oder kalt und windig ist.“
„Auch wenn das Wetter schlecht ist“
Zum Feuern aufgebrochen sind die Joggl-Fuirer traditionsgemäß am frühen Nachmittag. Vor der Feuerwehrhalle in Graun wurden Rucksäcke, Kraxen und nicht wenig Ess- und Trinkbares in den Fahrzeugen verstaut. Bei einer ersten kleinen Pause am „Kreuzl“ auf Halbweg in Richtung Grauner Alm stimmte der Obmann Alois Blaas die Joggl-Fuirer auf den Nachmittag und die (halbe) Nacht ein. Er rief dazu auf, sich „ordentlich aufzuführen.“ Die Gruppe betete ein Vaterunser und man gedachte auch verstorbener, besonders treuer Joggl-Fuirer. So wurde etwa an Peppi Plangger erinnert (gestorben am 11. April 2014) und an Raymund Plangger (verunglückt am 11. Dezember 1999). An diese zwei Fuirer erinnert am Gipfelkreuz des 2.652 Meter hohen Joggls, des Grauner Hausbergs, auch eine Gedenktafel. Bis hinauf zum Gipfel ist es heute aber noch weit. Erstmals Handarbeit ist hinter der Grauner Alm gefragt, wo die kräftigsten und geschicktesten Fuirer mit Keil und Schlegel daran gehen, dicke Holzscheiter und kurze Rundstämme zu spalten, damit sie besser brennen.
Wie viele Holzscheiter schaffe ich?
Es handelt sich um trockene Überreste des Fuirer-Holzes von 2019. Wie viele Scheiter er auf seine Kraxe oder seinen Rucksack binden will, bleibt jedem selbst überlassen. Während sich konditionsschwache Teilnehmer mit 2 oder 3 dürren Holzstücken begnügen, muten sich andere ganz schön etwas zu. Fast unberührt bleibt heuer eine kleine, fachmännisch geschnittene und gehakte „Plumm“ an Holz, die kurze Zeit vorher von einigen Fuirern vor Ort als Vorrat für die nächsten 3 Jahre vorbereitet worden ist. An einem Hinweisschild werden die „lieben Wanderer“ darüber informiert, „dass dieses Holz für das Entzünden des alljährlichen und traditionellen Herz-
Jesu-Feuers bestimmt ist.“ Außerdem werden Wanderer, „die Kraft und Energie sowie Wille und Enthusiasmus besitzen und Teil dieser Tradition sein wollen“, eingeladen, ein oder mehrere Holzstücke auf den Endkopf, also den Joggl zu tragen. Noch immer nicht richtig verdaut haben einige Joggl-Fuirer den frechen Holzdiebstahl einiger Hoader, die immer auf ihrem eigenen Berg das Herz-Jesu-Feuer entzünden.
Noch immer Faust im Sack
Es war vor über 10 Jahren, als ein Teil des hergerichteten Holzes der Joggl-Fuirer just am Herz-Jesu-Sonntag „Füße bekam“. Noch immer die Faust im Sack macht deswegen u.a. Max (Maximilian) Plangger, der älteste Sohn von Abi (Albrecht) Plangger. Der „Max“ im übertragenen Sinn ist am heurigen Herz-Jesu-Sonntag der frühere Grundschullehrer, Sänger, Gitarrenspieler und Chorleiter Valentin Paulmichl. Er ist 1957 geboren und der älteste Fuirer 2020. Das hindert ihn aber nicht daran, die schwer tragenden Fuirer, die sich wie die Sherpas an den Hängen des Joggls hocharbeiten, mit Abstand anzuführen. Er hat auf seinen Rucksack nicht nur in Wachs getränkte Stoffreste aufgebunden, sondern auch die Gitarre. Auch die Aufgabe, das Holz beim Gipfelkreuz fachgerecht „aufzukatastern“ und dann auch anzuzünden, hat Valentin seit dem Ableben von Peppi Plangger übernommen. Mit zwei Ausnahmen waren alle heurigen Herz-Jesu-Fuirer beim ihm in der Schule. Auch das ist eine Besonderheit.
Gewicht geht in die Knie
Recht viel „palavert“ wird während des Aufstiegs nicht. Das Gewicht des Holzes geht manchem doch etwas in die Knie. Und weil er nicht nur das Holz, Speck und Käse sowie ein paar gute Flaschen zu tragen hat, ist Abi streckenweise das letzte Glied der zum Gipfel strebenden Menschenschlange. Um eine Flasche leichter wird der Rucksack, als an einer der windstillen Stellen, bei denen gerastet wird, der frühere Schützenhauptmann Christian Eberhart mit seiner Frau und den Kindern dazu stößt. Er wird heute 38 Jahre alt und hat wieder einmal an einem Herz-Jesu-Sonntag Geburtstag. Das kommt nur alle 11 Jahre vor. In einer weiteren Senke auf Halbweg öffnet sich der Blick zum Habicher Kopf. Sein Gipfel liegt genau um einen Kilometer tiefer das der Ortlergipfel (3.905 m).
„Das Wasser rinnt nach Graun“
Bei wem das „Gipfelkreuz-Recht“ liegt, zeigt ein Spruch, der bei der Rast vorgetragen wird. Dieses Recht wird von den Graunern mit Wasser oder einer Weinflasche bestimmt: „Man betrachte hier die Wasserscheide, dann wissen es die Touler (Langtaufers) und auch die von der Haide (St. Valentin). Man stehe hier und staune, das Wasser rinnt nach Graun.“ Nach weiteren kurzen Pausen erreichen die Fuirer den Gipfel. Gerne entledigen sie sich der Holzstücke an der Feuerstelle. Mit der beim Aufstieg erkämpften Körperwärme ist es alsbald vorbei. Pausenlos fegt starker Wind über den flachen Gipfel des Endkopfs, der ganz im Westen der Ötztaler Alpen liegt. Der auffallende, tafelbergartige Berg besteht großteils aus Kalkstein. Für die Geologen ist er sogar der nördlichste Punkt Afrikas in Europa!
Plastikplane leistet gute Dienste
Ohne eine Plastikplane, die übrigens seinerzeit der Alt-Fuirer Fred beim Schlussverkauf des Tartarotti-Geschäftes in Latsch erworben hat, ohne die gemeinsamen Lieder mit Valentin an der Gitarre und ohne eine gute Marende und ein paar guten Tropfen wären die windigen und kalten Stunden bis zum Höhepunkt wohl nur sehr langsam vergangen. Nicht einmal das berühmte „Engadiner Abend-Sunnen-Fenster“ tat sich auf. Nur die zwei Tiroler Fahnen, auf den Gipfel getragen und dort gehisst von Max und Christian, flatterten tapfer im Nordwind. Kalte Finger bekamen heuer auch die „Dichter“. Dass bei jedem Herz-Jesu-Feuern Vier- oder Achtzeiler in das Gipfelbuch eingetragen werden, ist eine weitere originelle Tradition der Joggl-Fuirer. Besondere Begebenheiten einzelner Fuirer während des Jahres finden ebenso Einlass in das Gipfelbuch, wie „Vorkommnisse“ während des jeweils aktuellen Aufstiegs. Mit Samthandschuhen wird in der Regel nicht vorgegangen. Im Gegenteil: schon so mancher wurde „ordala gnummen“.
„Ordala gnummen“
Der maßgebliche Kopf im Hintergrund der Dichterei ist Manuel Padöller. Fast zu jedem einzelnen Teilnehmer werden spritzige und humorvolle Zeilen gedichtet. Heuer fielen die Geschichten kürzer aus „denn es war einfach kein Wetter zum Dichten.“ Zum Wetter vom 21. Juni 2020 wurde festgehalten: „Richtiges Herz-Jesu-Wetter, noch wenig Regen, aber ein fürchterlicher Wind und auch kalt – kein Blick Sonne.“ Gegen 21.30 Uhr ist es endlich soweit. Die Gruppe versammelt sich beim Kreuz. Manuel spricht besinnliche Worte zum Herz-Jesu-Gelöbnis und alle singen zum Abschluss „Auf zum Schwur“ und „Großer Gott, wir loben Dich.“
Auf zum Schwur
Das Feuer lodert stark und wild im Wind. Es grüßt die Fuirer im weiten Umkreis des Endkopfs und die Menschen im Tal, in erster Linie die Grauner. Beim Rückweg mit Stirnlampen werden viele Lieder angestimmt und so manche Pausen eingelegt. Nach der langen Zeit auf dem Gipfel fühlt es sich in windstillen Mulden wie in einer Stube an. Gesungen werden vor allem Tiroler Lieder, Schützenlieder und Lieder der Berge. Auch die Kehlen bleiben nicht trocken. In der Nähe der Grauner Alm stößt die heimkehrende Gruppe auf drei Weinflaschen, die der Fuirer Hubert Joos, der beim Fuiern normalerweise als „rabenfederntragender Gendarm“ betitelt wird, hinterlassen hat. Als Gruß und vielleicht auch ein bisschen als Entschuldigung für sein heuriges Fernbleiben. „Bei diesem Wetter …“, wird sich der pensionierte Staatspolizist wohl gedacht haben.
Steine im Rucksack
Kurz vor dem Abschiednehmen bei der Grauner Alm, auf der die Lichter schon längst ausgegangen sind, ruft jemand aus der Gruppe, dass jetzt noch eine Rucksackkontrolle durchgeführt wird. Falls jemand mit Steinen vom Gipfel erwischt wird, muss er am nächsten Herz-Jesu-Sonntag eine Kiste Bier ausgeben. Der Schreiber dieser Zeilen wähnt sich zunächst in Sicherheit, muss dann aber in seinem Rucksack 4 faustgroße Steine entdecken. Ahnungslos hat er sie vom Gipfel getragen. Schlimmer wäre ein Hinauftragen gewesen. Auch das ist so manchem Fuirer in der Vergangenheit schon widerfahren. Aber auch einen guten Rat gab man dem Schreiber mit: „Aufpassen musst du vor allem auf die Freundlichsten, wenn sie sich mit irgendeinem Vorwand an deinem Rucksack zu schaffen machen.“ Das Gestein am Joggl ist übrigens an manchen Stellen stark mit Muscheln durchsetzt. So manche Kinder machten sind früher einen Spaß daraus, die Muscheln herauszuhacken und sie den „Herrischen“ auf der Alm gegen ein Trinkgeld abzutreten.
Wenige Stunden nach dem Fuiern in Rom
Während die Sonne am Tag nach dem Herz-Jesu-Sonntag zum Teil ziemlich lange warten musste, bis sie die Joggl-Fuirer zu Gesicht bekam, saß der Abi schon vor Mittag in der Kammer in Rom. Seine Frau Sieglinde hatte ihn ihm Morgengrauen nach Bozen chauffiert und in den Zug gesetzt. Zwischen dem Fuiern und der Arbeit in Krawatte in der „Ewigen Stadt“ lagen dieses Mal nur wenige Stunden. Aber alle, die ihn kennen, wissen es: im Zug schläft der Abi wie ein Ross.