Die Vielfalt ist der zentrale Faktor
Zwischenergebnisse des Biodiversitätsmonitorings vorgestellt. Der Vinschgau spielt eine besondere Rolle.
Bozen/Vinschgau - Die Landschaftsvielfalt ist der zentrale Faktor der Biodiversität. Um die Artenvielfalt nicht weiter zu gefährden, ist darauf zu achten, dass Landschaften, die mit vielen unterschiedlichen Strukturelementen durchsetzt sind, etwa mit Hecken, Steinmauern oder Sträuchern, erhalten bleiben und dass sich Monokulturen nicht weiter ausbreiten. Das war die Kernbotschaft der Pressekonferenz, bei der am 8. September an der Eurac in Bozen die Zwischenergebnisse des Langzeitprojektes „Biodiversitätsmonitoring Südtirol“ vorgestellt wurden. Zwei Jahre lang war ein 10-köpfiges Forscherteam von Eurac Research im ganzen Land unterwegs gewesen, um an ausgewählten Standorten systematisch die Artenvielfalt zu erheben und zu dokumentieren.
Über 400 Erhebungspunkte
320 Orte „an Land“ und 120 Fließgewässer wurden bzw. werden landesweit ins „Visier“ genommen. An den bisher untersuchten Orten konnte das Forscherteam 1.094 verschiedene Arten von Gefäßpflanzen erheben, 116 Vogelarten, 20 Fledermausarten und 128 Arten von Tagfaltern. Das ist nur ein Ausschnitt der bisherigen Arbeit. „Bereits jetzt klar feststellen lässt sich die Tatsache, dass eine Kulturlandschaft, die aus vielfältigen Elementen besteht, zum Beispiel Wiesenflächen, durchbrochen von Hecken, Bäumen, Gewässern oder auch einer vielfältigen Hofstelle, eine besonders hohe Artenvielfalt aufweist“, fasste Ulrike Tappeiner, die Verantwortliche für das Biodiversitätsmonitoring und Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt von Eurac Research, die Erkenntnisse der bisherigen Forschungsarbeiten zusammen. Alle vier bzw. fünf Jahre sollen genau dieselben Standorte erneut untersucht werden, um Rückschlüsse auf die Entwicklung der Artenvielfalt ziehen zu können.
Landschaftsveränderungen und Klimawandel
Das Hauptaugenmerk des Monitorings liegt auf Artengruppen, die sensibel auf Veränderungen in der Landschaft und auf den Klimawandel reagieren wie etwa Schmetterlinge, Heuschrecken, Vögel, Fledermäuse und Gefäßpflanzen. Ulrike Tappeiner: „Südtirol ist durch die Lage im Gebirge an der Schnittstelle zwischen mediterranem und gemäßigtem Klima reich an Biodiversität. Wir haben eine gute Ausgangslage, aber wir haben auch die starke Nutzung in Gunstlagen, etwa in der Talsohle, vor allem durch Landwirtschaft, Siedlungs- und Straßenbau.“ Ein Überblick über die Veränderungen der Biodiversität Südtirols werde erst in einigen Jahren vorliegen. Ein klares Muster lasse sich allerdings schon jetzt erkennen: Erhebungspunkte, in deren Umkreis sich viele verschiedene Lebensräume befinden, weisen eine größere Zahl an Arten auf. Dies schließt auch Siedlungsräume mit ein, beispielsweise eine Hofstelle mit Garten in der Nähe eines Waldstückes, mit Steinmauern, Heckenreihen und Feuchtstellen.
Negative Faktoren
Grenzt eine Obstanlage an einen Wald und einen Fluss, finden sich hier zum Beispiel mehr Arten als in einer Obstanlage, die rundum von weiteren Apfelanlagen umgeben ist. Dasselbe gilt für eintönige Wiesenlandschaften, wie sie im Mittelgebirge zu finden sind. Flurbereinigungen wirken sich in diesem Sinn negativ auf die Biodiversität aus. Wie die Erhebungen außerdem zeigen, spielt nicht nur die Anzahl der einzelnen Lebensräume in einer Landschaft eine Rolle, sondern auch ihre Größe und Verteilung. „Wir sehen an den erhobenen Standorten deutlich, dass wertvolle Lebensräume wie Magerwiesen oder Feuchtlebensräume sich besonders dann positiv auf die Biodiversität auswirken, wenn sie auch eine gewisse Flächengröße haben“, sagt Andreas Hilpold von Eurac Research, der Koordinator des Biodiversitätsmonitorings. „Eine Landschaft, in der ein Lebensraumtyp wie zum Beispiel ein Weinberg flächenmäßig dominiert, weist dann eine größere Artenvielfalt auf, wenn Nischenlebensräumen wie Hecken oder Steinmauern auch ein gewisser Platz eingeräumt wird.“
Feuchtlebensräume besonders wichtig
Ein besonders wichtiges Element für die Artenvielfalt seien Feuchtlebensräume, die als Nahrungsquelle und Trinkstelle für die Tierwelt eine große Rolle spielen. Ebenfalls schon gezeigt haben die bisherigen Ergebnisse, das Feuchtlebensräume auch die meisten Rote-Liste-Arten in Südtirol beherbergen, also Arten, die hierzulande zu verschwinden drohen. An den Gewässerstandorten wird untersucht, wie viele Arten von Wasserinsekten vorkommen. Gerade wasserlebende Larven brauchen sehr spezifische Lebensräume und sind dadurch gute Indikatoren für eine ökologisch wertvolle Gewässerstruktur und für die Wasserqualität. „Der Verlust an Biodiversität ist ein globales Phänomen. Große Veränderungen hat es in der fernen Vergangenheit zwar mehrmals gegeben, aber heute müssen wir erstmals feststellen, dass der Schwund an Biodiversität auf den Menschen zurückzuführen ist“, sagte Vito Zingerle, der Direktor der Abteilung Innovation, Forschung, Universität und Museen, der im selben Atemzug auch den Klimawandel nannte. Dieser stellt eine Bedrohung für die Arten und die Biodiversität dar. Experten sehen die Bewältigung der Biodiversitätskrise und des Klimawandels als große Herausforderungen für die Menschheit. „Deshalb brauchen wir auch in Südtirol ein kontinuierliches systematisches Monitoring, um zu verstehen, wie rasch sich die Biodiversität ändert und wo solche Veränderungen besonders problematisch sind,“ so Zingerle weiter. In diesem Sinne trage auch Südtirol einen Teil der weltweiten Verantwortung. Ähnlich äußerte sich auch der Eurac Research-Präsident Roland Psenner: „Mit dem Biodiversitätsmonitoring liefern wir die notwendige Grundlage für nachhaltige politische Entscheidungen in der Raumplanung, in der Landwirtschaft und im Naturschutz.“ Schon 2019 hatte Eurac Research im Auftrag der Landesregierung mit dem großangelegten Biodiversitätsmonitoring begonnen. Die wichtigsten Projektpartner sind das Naturmuseum Südtirol und die Abteilungen Landwirtschaft, sowie Natur, Landschaft und Raumentwicklung.
Vinschger Besonderheiten
Der Vinschgau weist im Rahmen der landesweiten Monitorings einige Besonderheiten auf. Was das Vorkommen der Arten betrifft, hebe sich der Vinschgau laut Andreas Hilpold vor allem insofern vom restlichen Südtirol ab, „als dass wir es zusammen mit Gebieten im Aostatal und dem Wallis mit einem Trockengebiet mitten in den Alpen zu tun haben.“ Das wirke sich vor allem auf die Flora und Fauna aus, die speziell in den steppenartigen Gebieten einzigartig und schützenswert sei. Was die Artenvielfalt insgesamt betrifft, weise der Vinschgau neben dem Dolomiten-Gebiet, speziell der Seiser Alm, den landesweit größten Reichtum auf, wenngleich die Unterschiede zwischen der intensiv genutzten Talsohle und den Berghängen bzw. Seitentälern zum Teil sehr markant seien. „Der Erhalt der noch bestehenden Artenvielfalt im Vinschgau ist ganz wesentlich“, so Hilpold. Zu erhalten gelte es u.a. auch die Weideflächen: „Fällt die Beweidung aus, kommt es rasch zu Verbuschungen, die sich negativ auf die Artenvielfalt auswirken können.“