Der Kiwanis-Vortrag war gut besucht.
Georg Kaser fand deutliche Worte in Sachen Klimawandel.
Kiwanis-Präsident Christian Mair: „Es ist gut, wenn der Vortrag zum Nachdenken anregt“.

Düstere Aussichten

Wie der Klimawandel uns bedroht.

Publiziert in 4 / 2024 - Erschienen am 27. Februar 2024

GOLDRAIN - „Wirklich dramatisch wird es für jene, die sehr jung sind bzw. jetzt geboren werden“, zeichnete Georg Kaser ein düsteres Bild. Es gelte, nüchtern die Fakten zu betrachten. Diese sprechen eine mehr als deutliche Sprache. „Die Klimakrise hat begonnen, wo führt sie hin?“ so der Titel des Vortrages, der kürzlich im Bildungshaus Schloss Goldrain stattgefunden hat. Georg Kaser ist Professor für Klima- und Kryosphärenforschung in Ruhe. Der in Karthaus, Innsbruck und Wien lebende Meraner gilt als einer der einflussreichsten Klimaforscher weltweit. Dem Kiwanis-Klub Vinschgau war es gelungen, ihn nach Goldrain zu holen. Gute Nachrichten hatte er aber nicht im Gepäck.

„Dramatischer, als wir glauben“

„Es ist um vieles dramatischer, als es uns die EU-Klimapläne vermitteln“, so der Forscher. Kurzum: Geht es so weiter, dann könnte die Erde schon bald in weiten Teilen nicht mehr bewohnbar sein. Das 1,5 Grad-Ziel sei kaum noch zu schaffen. Zur Erinnerung:  2015 war das Pariser Abkommen geschlossen worden, mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau (dem Mittelwert der Jahre 1850 bis 1900) zu begrenzen.
Kaser informierte über den 6. IPCC-Sachstandsbericht. Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) mit seinen 195 Mitgliedsstaaten lässt solche Berichte zum Status Quo in Sachen Klimawandel im Abstand von rund 6 Jahren von der Wissenschaft erstellen. Im März des vergangenen Jahres wurde der 6. Bericht veröffentlicht. „Dort ist zu lesen, was für Entscheidungsträger relevant ist, welche Auswirkungen der Klimawandel bereits hat und wie wir Schlimmeres verhindern können“, erklärte Kaser. Der Experte auf dem Gebiet der tropischen Glaziologie war selbst seit 2003 an drei aufeinanderfolgenden IPCC-Sachstandsberichten beteiligt – am 4., 5. und eben dem 6. Laut dem aktuellen Bericht seien drastische Schritte nötig, um den Klimawandel zu stoppen.
Die Erwärmung zwischen vorindustriellen Werten, dem Mittel von 1850 bis 1900, und heute sei beispiellos. War die globale Mitteltemperatur an der Erdoberfläche über tausende Jahre relativ konstant, sei diese nun drastisch gestiegen: Laut dem IPCC Bericht von 2023 lag der Erderwärmungsgrad zwischen 2011 und 2020 bereits bei 1,1 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. „In der Zwischenzeit nähern wir uns der 1,5 Grad Marke“, so Georg Kaser. Erst kürzlich vermeldete der EU-Klimawandeldienst Copernicus, dass die Erderwärmung erstmals über einen Zeitraum von 12 Monaten dauerhaft über 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter lag. Dabei brachte Kaser auch Werte aus dem Vinschgau als Beispiel, so seien in Latsch am 4. Februar 21 Grad Celsius gemessen worden. Die Temperatur der vergangenen Monate im Raum Schlanders sei weit über dem Durchschnitt, wartete er mit einigen Daten des Landeswetterdienstes auf.

Klimaschwankungen und Klimawandel unterscheiden

Es sei wichtig, so genannte Klimaschwankungen vom menschgemachten Klimawandel zu unterscheiden. „Zyklische Schwankungen um einen langzeitigen Mittelwert werden von den Erdbahnschwankungen um die Sonne erzeugt, episodische durch Vulkanausbrüche. Der Klimawandel hebt das Klimasystem auf ein neues Energieniveau und nimmt dabei alle Schwankungen mit“, erklärte Kaser. Kurzzeitige Abweichungen vom fortschreitenden Klimawandel dürften nicht als Klimasignale missverstanden werden, „die sind in dem hochdynamischen System auch während des Wandels normal, vor allem im Niederschlagsgeschehen“, so der Forscher. Dass es früher auch mal schneearme Winter gab – wie häufig insbesondere in sozialen Netzwerken von Verschwörungstheoretikern eingeworfen – sei daher kein Argument gegen den Klimawandel.

„Müssen Klimawandel stoppen“

„Wir müssen den Klimawandel stoppen und bei den Emissionen sehr schnell auf null kommen“, mahnte Kaser. Jedes weitere Zehntelgrad Erderwärmung habe weitere drastische Folgen. Katastrophen, Hungersnöte, aufgrund der Hitze immer mehr unbewohnbare Gegenden, Flüchtlingswellen. Bereits in den nächsten Jahrzehnten werden Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Starkniederschläge zunehmen. Auch Südtirol bleibe nicht davon verschont. „Wir sind nahe am Mittelmeer mitten in einem Hotspot des Klimawandels. Diesen Raum wird der Klimawandel mit am stärksten treffen“, so Kaser. Dies habe man durch die Unwetter der letzten Jahre schon jetzt zu spüren bekommen. Die Niederschläge seien nicht häufiger, aber viel intensiver geworden. Die Wirkungen von Klimaschutzmaßnahmen werden erst in rund 20 Jahren erkennbar werden. „Es muss also jetzt und sehr schnell gehandelt werden“, forderte der Forscher.
Man könne jedoch noch vieles stoppen, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten würde, „oder zumindest das 2-Grad-Ziel“. Bis auf den Anstieg des Meeresspielgels. Der Eisverlust der Gletscher und der beiden Eisschilde finde stark verzögert statt. Würde es gelingen, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, dann stiege der Meeresspiegel bis 2300 dennoch um rund 3 Meter. In noch schlimmeren Szenarien stiege der Meeresspiegel um 15 Meter. „Dann würden rund zwei Drittel aller Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren“, so Kaser.

Politische Entscheidungen verfehlen bisher das Ziel

„Der menschengemachte Klimawandel ist da und bedroht Mensch und Natur. Einige Veränderungen sind nicht mehr aufzuhalten und werden für Jahrhunderte und Jahrtausende bleiben“, fasste Kaser einige Kernaussagen aus dem 6. IPCC-Report zusammen. Erste Grenzen einer Anpassung seien bereits erreicht worden und weiten sich mit jedem Zehntelgrad weiterer Erwärmung aus. „Politische Entscheidungen und Ge-
setzesänderungen verfehlen bisher sowohl die Möglichkeiten zur umfassenden Anpassung als auch zur Minderung des Klimawandels“, kritisierte Kaser. Fehler aus der Vergangenheit seien derzeit schwierig zu korrigieren.

Was macht Europa?

Die EU hatte sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. „Da es aber darum geht, eine Gesamtmenge an Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht zu überschreiten, müssen Nullemissionen mit jedem versäumten Tag früher erreicht werden“, so Kaser. 2050 sei schon auf 2040 korrigiert worden, bzw. sei das Ziel für 2040 eine Emissionsreduzierung um 90 Prozent verglichen zum Stand von 1990. „Eigentlich müssten die Nullemissionen schon 2037 erreicht werden. Bisher ist es noch nicht gelungen, die Emissionen wie notwendig zurückzufahren“.  Der European Green Deal habe klare Pfade vorgegeben. „Ob diese eingehalten werden, wird auch vom neuen EU-Parlament abhängen, das in Kürze gewählt wird. Folgende politische Hebel könnten einen Großteil der Treibhausgasemissionen eindämmen, und zwar: Vermeidung durch Effizienzsteigerung und Reduktion von Energiekonsum, der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger sowie die Entwicklung und der Einsatz von Energiespeichern. Zudem hofft man auf den Einsatz noch nicht ausgereifter Maßnahmen zur Entnahme und Speicherung von CO2“.

In Südtirol: Verkehr ein großes Problem

Jeder müsse aber auch vor der eigenen Haustür kehren. In Südtirol etwa sei der Individualverkehr ein großes Problem. „Der Verkehr ist insgesamt für 44 Prozent der in Südtirol verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich“, erklärte Kaser. Zwar seien Elektroautos im Betrieb klimaschonender als Verbrenner, aber schlussendlich auch nicht die Lösung. „Der individuelle Verkehr ist und bleibt ein Kernproblem für unser Klima“, fand er drastische Worte. Um den Klimaschutz in den Griff zu bekommen, dürfte man „nicht mehr einen Euro in das Straßennetz investieren“.

Viele Lösungen bereits „versemmelt“

Viele mögliche Pfade hin zu einer lebenswerten Zukunft hat die industrialisierte Gesellschaft bereits „versemmelt“. Der Klimawandel und seine Auswirkungen seien bereits vor 40 Jahren klar absehbar gewesen. Nun müssten die Hebel „sehr schnell, tiefgreifend und nachhaltig umgelegt werden“, mahnte der Forscher. Nur wenn das gelinge, sei eine lebenswerte Zukunft möglich. „Es gibt noch Möglichkeiten, aber es geht nur, wenn alle gemeinsam anpacken und zusammenhalten, die weltweite Politik, die Gemeinden, die Unternehmen, Interessensgruppen und jeder Einzelne“, betonte Kaser.

Michael Andres
Michael Andres
Vinschger Sonderausgabe

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