Stefania Klotz: „Man soll im Leben nicht nur arbeiten.“

Ein „Gwandl“ mit drei roten Knöpfen

Publiziert in 6 / 2015 - Erschienen am 18. Februar 2015
Stefania Klotz (90) aus Stilfs blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Harte Kindheit und Jugend. „Laar sitzn isch nix“. Stilfs - Ihre Eltern in Latsch hatten wenig: eine Kuh, einen Garten mit viel Gemüse und sonst nicht viel. Der Vater war Aushilfslehrer. Es kam nicht von ungefähr, dass sich die Eltern von Stefania Klotz nach einer Arbeit für ihre Tochter umschauten. Als sie den ersten „Posten“ antrat, war Stefania 12 Jahre alt. Ihr Vater Martin brachte sie mit dem Fahrrad von Latsch nach Schlanders, wo sie der Bauer vom Mitterhof am Nödersberg abholte. Am Fahrrad hing eine Stofftasche mit Eisenringen. Sie enthielt alles, womit Stefania bei ihrer Arbeit im Sommer 1936 auskommen musste. Ihr erster Lohn war ein „Gwandl“ mit drei roten Knöpfen. „Diese Knöpfe habe ich heute noch“, erzählt Stefania. Sie ist am Christtag des Vorjahres 90 Jahre alt geworden. Normalerweise ist sie am Vormittag mit kleineren Arbeiten in der Küche ihres Hauses in Stilfs beschäftigt. Heute nimmt sie sich Zeit, ein bisschen zu erzählen. Von früher. Und auch von heute. Froh ist sie, dass sie es noch immer ohne fremde Hilfe schafft, sich anzuziehen. Etwas Bewegung brauche sie: „Laar sitzn isch nix. Do weard ma lei zochet.“ In der Früh kommen Hilfskräfte vom Sozialsprengel vorbei und helfen beim Waschen und Anziehen der Stützstrümpfe. Wenn Stefania nicht selbst kocht, beauftragt sie damit eine Zugehfrau. Immer „auf Posten“ Die Liste der Dörfer, Höfe und Gastbetriebe, in denen Stefania „auf Posten“ war, ist lang. Sie arbeitete zumeist als Kindermädchen und im Haushalt. Auf das Vigiljoch verschlug sie es ebenso, wie nach Meran, nach Mals, in das Passeiertal und sogar in die Schweiz. Von all dem, was sie bei so manchen „Herrschaften“ erleben und zum Teil auch erleiden musste, spricht sie nur ungern. Der Hunger gehörte nicht selten zum Alltag. Aber Stefania wusste sich auch zu wehren. Als es zum Beispiel bei ihrer Arbeit am Vigiljoch nur ein Stück Schüttelbrot und etwas Marmelade zum Halbmittag gab, überredete sie eine Freundin, die auf dem angrenzenden Bauernhof arbeitete, regelmäßig Milch zu bringen, während sie selbst etwas Brot „af’t Sait“ tat. „Do obm mecht i nit aufgmoln sein“ In der Zeit, als Stefania ein junges Mädchen war, fand die traditionelle Wallfahrt zu den Heiligen Drei Brunnen in Trafoi immer am Pfingstdienstag statt. An einem solchen Dienstag fuhr Stefania mit einem Fahrrad von Goldrain nach Trafoi. Ihre Familie hatte damals eine Unterkunft im Schloss Goldrain gefunden. Stefania: „Wir sind zu sechst mit Fahrrädern in Goldrain gestartet. Als wir nach Stilfser Brücke kamen, schaute ich nach oben und sah zum ersten Mal das Dorf Stilfs.“ Zu ihrer Freundin habe sie damals gesagt: „Do obm mecht i nit aufgmoln sein.“ Das Schicksal aber kam - wie so oft - ganz anders. Denn als Stefania wieder einmal auf der Suche nach Arbeit war, riet man ihr nach Trafoi zu gehen. Fast vier Jahre lang hat sie im Haus der Familie Thöni Friedrich und Greti und den Kindern, sowie in der „Sportbar“, die im Besitz der Familie Thöni war, gearbeitet. Der spätere Skirennläufer Roland Thöni, den Stefania in ihr Herz schloss, war damals zwei Jahre alt. „Warum kommt dieser Mann immer hierher?“ Zunächst nicht erklären konnte sich Stefania, warum ein junger Mann aus Stilfs immer und immer wieder in die „Sportbar“ kam. Zuerst stets zusammen mit einem Freund, später allein. Aber spätestens als Peter Moser seiner Verehrten einen Heiratsantrag machte, wusste Stefania, von woher der Wind blies. Am Martinitag 1956 läuteten in Stilfs um 5 Uhr in der Früh die Hochzeitsglocken für zwei Ehepaare. Eines davon waren Stefania und Peter. Ihre Habseligkeiten hatte Stefania am Tag zuvor von Trafoi nach Stilfs gebracht. Es war der Geiger-Sepp, der die Sachen auf seinen „Leoncino“ geladen hatte. Weil die Schmiedbrücke im Bau war, mussten der Herd und alle anderen Sachen mit einem Ziehwagen bis zum Haus gezogen werden. Dem Mann das Kochen beigebracht Peter Moser, geboren 1921, arbeitete lange Zeit als Koch bei der Wildbachverbauung. Die Kochkunst hatte ihm Stefania beigebracht. „Er war zu Beginn nicht einmal imstande, einen Kaffee zu kochen“, erinnert sie sich. Später aber wurde er ein guter Koch. Wenn ihm die Mitarbeiter, der Ingenieur und der Geometer auf Baustellen hoch oben am Berg bescheinigten, in derartigen Höhen einen schmackhaften und gewürzten Braten aufgetischt zu haben, durfte sich ein Stück des Lobes auch Stefania abschneiden. Trotz der Arbeit im Haus, wo die Kinder Oswald (geboren 1959) und Martina (geboren 1970) heranwuchsen, arbeitete Stefania auch auswärts. Manchmal nahm sie den Sommer über auch Kinder in Pflege. Zumal es im kleinen Haus der Familie Moser ziemlich eng war und auch die Gefahr bestand, dass es bei Unwetter zu Schäden infolge von Erdrutschungen kommen konnte, fassten Stefania und Peter den Entschluss, ihr Heim zu erweitern. Den Plan fürs Haus hatte Stefania schon im Kopf. Die Arbeiten wurden 1969 und 1970 durchgeführt. Es hieß natürlich auch Geld leihen. „Trotzdem haben wir einen Schwarz-Weiß-Fernseher und eine Waschmaschine dazu genommen,“ erinnert sich Stefania. Mit 62 ab in die weite Welt Ab dem Alter von 62 Jahren fand Stefania endlich Zeit und hatte auch genügend eigenes Geld, um das zu tun, wovon sie immer schon geträumt hatte, nämlich Reisen: „Im Frühjahr und Herbst unternahm ich meistens längere Reisen, in der Zeit dazwischen etliche Zwei- bis Drei-Tagesfahrten.“ Sie hat Holland gesehen, Ägypten, Israel, die Insel Madeira, Frankreich und weitere Länder. Auch als Reise-Organisatorin hatte sie ein besonderes Talent. Vom Balkon ihres Hauses aus sprach sie die Leute im Dorf an und es dauerte meistens nicht lange, „bis ein Bus voll beisammen war.“ Von all dem, was sie auf ihren Reisen gesehen und erlebt hat, „zehre ich heute noch. Ich habe nichts vergessen. Ich bereue nichts.“ Die Erinnerungen reichen vom Varieté Moulin Rouge in Paris bis hin zu den Tulpen in Holland und den Pyramiden in Ägypten. Auch Schifffahrten vom Mittelmeer bis hinauf nach England hat Stefania unternommen. In Stilfs war sie - wie übrigens auch ihr Mann, der 2003 gestorben ist -, in Vereinen tätig und hat sich ehrenamtlich eingebracht, wie z.B. beim KVW oder beim Frontkämpferverband, sie hat auch im Frauenchor und im Kirchenchor in Stilfs viele Jahre mitgesungen. Im Heimatdorf Latsch und im Schloss Goldrain war sie vom Kindergarten an bis sie etwa 20 Jahre alt war beim Theaterverein aktiv dabei. „Man soll nicht nur arbeiten“ Arbeiten ist zwar wichtig, „aber man soll im Leben nicht nur arbeiten“, ist Stefania überzeugt. Froh ist sie, dass sie ihren Haushalt noch mehr oder weniger selbstständig führen und eigenständig leben kann. Sie hat sich einen eigenen Lebensrhythmus zurechtgelegt, aus dem sie nur ungern ausschert. Bestimmte Ausnahmen sind aber willkommen. So zum Beispiel der Auftritt, mit dem sie zum 90. Geburtstag am 25. Dezember 2014 die Männersinggruppe aus Stilfs überraschte. Nach dem Mittagessen nimmt sich Stefania regelmäßig eineinhalb Stunden Zeit zum Lesen. Sie liest vor allem Tages- und Bezirkszeitungen, und zwar genau. Eine Brille braucht sie übrigens nicht. Es sind vielleicht das frühe Erwachsenwerden und die vielen Entbehrungen vor, während und nach dem Zweiten Krieg, die Stefania zu einer resoluten und in gewissem Sinn auch modernen Frau gemacht haben. Die Menschen ihrer Generation, unter anderen auch die Stiefschwester Anna (geboren 1910), ihre Schwester Katharina (geboren 1923) und der Bruder Josef (geboren 1926), haben rasante Entwicklungen erlebt. Das veranschaulichen schon ganz belanglose Gegebenheiten. Etwa jene, als Stefania als junges Mädchen in Mals den Zug verpasste. Sie ging zu Fuß nach Schlanders: „Ich sah entlang der ganzen Strecke nur zwei Autos, die in Richtung Reschen fuhren.“ Sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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