Es brennt an vielen Stellen
Politik, Frauen und Soziales im Fokus der KVW-Bezirkstagung
Schlanders - Hohe Lebenshaltungskosten, teures Wohnen, steigende Preise in vielen Bereichen, wachsender Trend in Richtung Zweiklassenmedizin, Inflation und stagnierende Löhne. Diese und weitere Probleme, mit denen immer mehr Menschen zu kämpfen haben, kamen am 5. März bei der Bezirkstagung des KVW Vinschgau im Veranstaltungssaal „Kasino“ in der Basis in Schlanders aufs Tapet. KVW-Bezirksobmann Heinrich Fliri erinnerte einleitend an die Folgen der Pandemie, „die uns als Privatpersonen und als Gesellschaft seit zwei Jahren vor große Herausforderungen stellt“, und auch an den Krieg in der Ukraine: „Das ist ein Wahnsinn, der die ganze Welt überschattet. Wir sind alle entsetzt und fassungslos.“ Als konkretes Zeichen der Solidarität konnten die Tagungsbesucher für die Menschen in der Ukraine spenden. „Der gesammelte Betrag wird über den KVW Hilfsfonds weitergeleitet“, kündigte Fliri an.
Blick zurück und nach vorne
Wie es um das Sozialwesen, um die Politik und die Frauen in der Politik früher bestellt war und wie sich die Situation heute darstellt, wurde anhand an einer Podiumsdiskussion aufgezeigt, zu welcher der Moderator Josef Bernhart illustre Gäste begrüßen konnte: den „scharfen Denker“, „konsequenten Mahner“ und langjährigen geistlichen Assistenten des KVW, Josef Stricker, die Soziallandesrätin Waltraud Deeg, Tochter der „Landesmutter“ Waltraud Gebert Deeg, den langjährigen Landtagsabgeordneten Robert Kaserer, die frühere Schludernser Gemeindereferentin Anna Thaler und Karl Tragust aus Kortsch, den langjährigen Leiter der Landesabteilung Sozialwesen.
„Ein weltlicher Beichtstuhl“
Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden anhand des Wirkens von Waltraud Gebert Deeg (1928–1988) beleuchtet. Sie war Südtirols erste Politikerin, die landesweite Bekanntheit erreichte. Als Landesrätin für Soziales und Gesundheit lenkte die SVP-Exponentin das Augenmerk vom Kampf um Autonomie auf die sozialen Belange der Bevölkerung. Das Leben von Gebert Deeg, ihr politischer Werdegang sowie ihre Sozial-, Gesundheits- und Frauenpolitik haben Renate Mumelter, Siglinde Clementi und Karl Tragust im Buch „Waltraud Gebert Deeg - Die Landesmutter“ (Edition Raetia) beleuchtet. „Waltraud Gebert Deeg verstand es, den Zugang zu den Menschen zu finden“, erinnerte sich Josef Stricker. Sie sei wie ein „weltlicher, säkularisierter Beichtstuhl“ gewesen, in dem die Menschen ihre Sorgen und Anliegen loswerden konnte. Die Zeit, als Gebert Deeg vom KVW in die Politik kam, „war ungeheuer spannend. Es herrschte eine Aufbruchszeit, „wie ich sie seither nie mehr erlebt habe.“ Stricker erinnerte an die großen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, wie etwa die 40-Stunden-Woche, die große Rentenreform, das Arbeiterstatut und die Sanitätsreform, für deren Umsetzung Gebert Deeg politisch zuständig war. Lebhaft in Erinnerung aus ihrer Kindheit hat Waltraud Deeg die vielen Telefonate, die ihre Mutter führte. Oft seien die Leute, darunter viele Frauen, auch zu ihrer Mutter nach Hause gekommen: „Man sitzt mit am Tisch und hört mit.“ Ihre Mutter sei eine Frau gewesen, die ständig um Kompromisse gerungen habe, „die an ihre Ideen glaubt hat. Sie setzte sich durch und rannte auch gegen die Wand.“
„Noch immer zu wenig Frauen in der Politik“
„Als ich im Jahr 2000 gebeten wurde, in die Politik einzusteigen, sagte man mir nicht, dass es Frauen in der Politik brauche oder man sich solche wünsche, sondern es hieß: ‚Wir müssen eine Frau haben’. Das hat mir ganz und gar nicht gefallen.“ So beschrieb Anna Thaler den Beginn ihrer politischen Laufbahn. Sie sei als Quotenfrau in die Politik gekommen. Einiges habe sich mittlerweile zwar gebessert, „aber es gibt noch immer viel zu wenig Frauen in der Politik.“ Sie halte die Frauenquote daher weiterhin für ein notwendiges Übel. Robert Kaserer zeigte sich rückblickend beeindruckt vom Wirken von Gebert Deeg. Als Beispiel nannte er deren Einsatz beim Aufbau der Lebenshilfe im Vinschgau. Gebert Deeg sei auch eine Befürworterin des Paketes gewesen. Mitglied der 1975 gegründeten SVP-Arbeitnehmer wurde sie nie. Wie Josef Stricker im Buch zitiert wird, „war die SVP eine Schlangengrube und wer sich dort behaupten wollte, für den war das kein Honig-
schlecken … führende Exponenten hätten über die Frauen auch oft abschätzig gesprochen.“ Nach Ansicht von Karl Tragust bestand die Stärke von Gebert Deeg in ihrer inneren Überzeugung, „dass man für Menschen in schwierigen Situationen zusammen mit ihnen etwas unternehmen muss.“ Sie habe das Sozialwesen nie als Arme-Leute-Wesen verstanden, sondern als eine Einräumung von Rechten, auch im Sinne der Würde aller Menschen.
Viele Anliegen auch heute noch aktuell
Dass viele soziale Anliegen, um die sich Gebert Deeg als Politikerin und Frau gekümmert hat, im Kern bis heute dieselben geblieben sind, zeigte sowohl das Podiumsgespräch als auch die Diskussion mit dem Publikum, das teils präsent und teils online zugeschaltet war. Als eines der Beispiele kann die Gesundheitsversorgung in der Peripherie genannt werden. Von der Tendenz der Zentralisierung sei man zwar etwas weggekommen, aber laut Josef Stricker besteht dennoch Handlungsbedarf: „Die ländlichen Gebiete, ich meine damit ganz besonders die Berggebiete und die Seitentäler, müssen gestärkt werden. Ein ‚Abrüsten’ wäre der falsche Weg.“ Das Krankenhaus Schlanders sei nicht nur ein wesentlicher Baustein der Gesundheitsversorgung im Vinschgau, sondern auch ein wichtiger Arbeitgeber. Dass das Krankenhaus heute nicht mehr in Frage gestellt werde, sei unter anderem auch dem Einsatz des KVW zu verdanken, warf Josef Bernhart ein, seines Zeichens auch Vizeobmann des KVW Bezirks Vinschgau.
Wer Geld hat, braucht nicht zu warten
Mehrfach angesprochen wurde die Zweiklassenmedizin. „Wer Geld hat, kann sich an private Kliniken wenden und braucht auf ärztliche Untersuchungen nicht lange zu warten“, hieß es. Waltraud Deeg erinnerte daran, dass die Gesundheit mit ca. 1,5 Milliarden Euro pro Jahr der größte Haushaltsposten ist. Im Vorjahr seien infolge der Pandemie rund 150 Millionen dazugekommen. Dass man über die private Schiene schneller zu bestimmten Dienstleistungen kommt, sei eine Tatsache. Eine vielleicht noch größere Herausforderung der Zukunft sieht Waltraud Deeg angesichts der Alterung der Bevölkerung im Pflegebereich. Es stelle sich die Frage, „wie wir uns die Pflege von morgen vorstellen, um Standards, wie wir sie heute haben, aufrecht erhalten zu können.“ Auch im Pflegebereich zeichnen sich zunehmend Privatisierungstendenzen ab: „Investoren sehen hier den Markt der Zukunft.“ Es gelte, auch in Zukunft eine angemessene gesundheitliche und pflegerische Betreuung für alle zu gewährleisten, „egal wo die Menschen sind und welche Geldtasche sie haben.“ Die Landesrätin rief den KVW auf, sich entsprechend einzubringen.
Bessere Löhne und leistbares Wohnen
Nicht zu überhören war auch die Forderung nach besseren Entlohnungen für die Mitarbeitenden in der Sanität und in der Pflege sowie in vielen weiteren Bereichen. „Das Krankenhaus funktioniert ganz gut und es wird hervorragend gearbeitet. Um junge Leute für Berufe in der Sanität und in der Pflege zu gewinnen, müssen die Löhne besser werden“, sagte Robert Kaserer. Zum Thema Wohnen hieß es, dass es für junge Menschen, die auf keinen finanziellen Rückhalt der Eltern setzen können, immer schwieriger wird, zu einer Wohnung zu kommen. „Die Immobilienmakler reißen sich alles unter die Nägel und junge Leute sehen sich gezwungen, zwischen Auto, Wohnung oder Familie auszuwählen“, hieß es. Waltraud Deeg riet dem KVW, im Zuge der Erstellung der Gemeindeentwicklungsprogramme darauf zu schauen, „dass die Siedlungsgrenzen nicht zu eng gezogen werden.“ Sie verwies auch auf die Möglichkeit der Schaffung von „Wohnungen mit Preisbindung“. Zu den weiteren Diskussionsthemen gehörten die Inflation, die steigenden Preise und auch die Landtagswahlen im nächsten Jahr. Josef Stricker hatte bereits eingangs festgestellt, „dass die Sozialbewegungen in Südtirol, Italien und europaweit seit den 1990er Jahren ein bescheidenes Dasein fristen: „Das Sagen haben andere“, sprich die starken Wirtschaftsverbände. Laut Robert Kaserer „müssen wir als Sozialverbände gemeinsam und geschlossen auftreten, um mehr Einfluss zu haben, als dies zum Teil heute der Fall ist.“
„Mehr wir und weniger ich“
Mit Gruß- und Dankesworten an die Ortsstellen und den KVW Bezirk warteten der Landesvorsitzende Werner Steiner und der Geschäftsführer Werner Atz auf. „Es braucht uns als KVW und es braucht euch als Mitglieder“, sagte Steiner. Heinrich Fliri betonte abschließend, „dass wir auch die heutigen und künftigen Herausforderungen nur gemeinsam überwinden können“, und zwar mit Respekt vor den Mitmenschen, mit Dialogbereitschaft in Konfliktsituationen, mit Hilfsbereitschaft in Notlagen sowie mit „mehr wir und weniger ich.“ Der Bezirksobmann ließ auch kurz die vielfältige Tätigkeit des KVW und des Patronates Revue passieren. Die Palette der Themen, die den KVW beschäftigen, ist breit gefächert. Sie reicht von der Arbeitswelt und gelebter Solidarität bis hin zur Nahversorgung und den Lebenshaltungskosten. Einen besonderen Dank zollte Fliri allen Mitgliedern, den ehrenamtlich Tätigen, den Mitarbeitenden und Sponsoren. Unterstützt hat die Bezirkstagung die Volksbank. Das Team des „Sendemostn1“ sorgte für die Liveübertragung im Internet.